Predigt ü/ Jesaja 54, 7-10 19.3.2023
Jubiläumskonfirmation in Oberdiebach
Zeig uns dein königliches walten, bring Angst und Sorgen selbst zur Ruh, du wirst am Ende recht behalten, Herr, mach uns still und rede du.
Amen.
Liebe Festgemeinde,
nichts ist so sicher wie die der ständige Wandel. Laufend hört und sieht man Neues, vor allen Dingen in den verschiedenen Medien. Und auch im ganz privaten Bereich gibt es immer wieder Neuerungen, Umstellungen und Neuanpassungen, in einem Ausmaß, wie es frühere Generationen niemals erfahren haben. Wenn man nicht auf der Strecke bleiben will, muss man ständig flexibel und offen sein. Besonders, wenn schon älter ist- und zu diesen Menschen gehöre ich ja auch- fragt man sich manchmal, wo will das alles enden? Vieles entwickelt sich ganz anders, und vor allen Dingen rasend schnell, als wir uns das zunächst einmal vorgestellt haben.
Hand aufs Herz, bei wem unter uns ist denn das wirklich eingetreten, was man sich zum Beispiel bei der Konfirmation, bei der Heirat oder auch im Beruf vorgenommen oder vorgestellt hat? Einiges kam bestimmt so, wie wir uns das wünschten. Vieles aber, auf das wir persönlich keinen Einfluss haben, müssen wir so nehmen, wie es kommt. Wir haben ja auch gar keine andere Möglichkeit.
Dazu kommt die total schwierige gesamte Weltsituation. Krieg in der Ukraine, schwere Erdbeben in der Türkei und Syrien und eine Klimaveränderung die wir meines Erachtens nicht mehr alleine in den Griff bekommen. Man ist schlicht nicht bereit, sich total umzustellen.
Dann fragt man sich, gibt es denn nichts 100%ig zuverlässiges? Kann man sich auf rein gar nichts mehr verlassen. Gibt es denn nichts, was ewig dauert? Etwas, was alles bisher Dagewesene unbeschadet übersteht? Doch, wir können und dürfen uns 100% auf unseren Gott verlassen. Wer ihm vertraut, steht wie auf einem Felsen in der Brandung. Und dieser Felsen ist unerschütterlich. Das darf man glauben und das darf man getrost leben. Und damit kann man auch gute Erfahrungen machen.
Im für heute vorgeschlagenen Predigttext geht es um Gottes Gnade. Die steht immer felsenfest für uns Menschen und wankt nie. Gott lässt durch den Propheten Jesaja verkünden, dass er sich wieder gerne dem Volk Israel annimmt und für sie sorgt. Er sichert uns seine ewige Gnade zu. Und da wir durch Jesus Christus auch zum Volk Gottes gehören dürfen, gelten diese Mut machenden Worte auch uns, auch hier und heute.
Ich lese einige Verse aus dem 54. Kapitel des Propheten Jesaja.
Gott spricht:
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich dein Erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser.
Denn solches soll mir sein wie das Wasser Noahs, da ich schwur, dass die Wasser Noahs nicht mehr über den Erdboden gehen. Also habe ich geschworen, dass ich nicht über dich zürnen noch dich schelten will.
Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Liebe Gemeinde,
das sind Worte, besonders der letzte Vers, die Trost spenden, die Hoffnung geben und uns voller Vertrauen in die Zukunft gehen lassen. An der Güte und Gnade Gottes soll niemand zweifeln oder gar verzweifeln. Der Prophet Jesaja macht uns Mut und möchte, dass alle Menschen auf Gottes Gnade vertrauen.
Ich gehe einmal davon aus, dass von den heutigen Jubilaren oder sonstigen Gottesdienstbesuchern jemand dabei ist, der den letzten Vers des Predigttextes als Konfirmationsspruch hat. Es ist ein Wort der Hoffnung und Zuversicht.
Wenn wir jedoch ehrlich sind, liebe Gemeinde, Gott hat auch seine dunklen Seiten. Und die erleben wir auch je und dann. Diese Tatsache wird ja auch nicht verschwiegen. Und die müssen wir Menschen auch manchmal tragen und ertragen. Denn unser Leben ist nicht immer ein Spaziergang am sonnigen Sandstrand oder über eine blühende Frühlingswiese.
Ihr, die ihr vor 50, 60, 65, 70 oder sogar 75 Jahren konfirmiert worden seid, habt auch eure Päckchen zu tragen. Und bei manchen Menschen sind es gar Pakete, die sie mitzuschleppen haben. Dann an Gottes Güte, an seiner Gnade und seiner Freundlichkeit nicht zu verzweifeln, ist kein leichtes Unterfangen.
In der Zeit, als der Prophet Jesaja lebte, waren die Juden, zu denen zunächst unser Text gerichtet ist, in babylonischer Gefangenschaft. Ja, da stimmt das Wort: Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen.
Und trotzdem sind Güte, Gnade und Barmherzigkeit die ewigen und unerschütterlichen Wesensmerkmale unseres Gottes.
Die Juden haben sehr unter der Fremdherrschaft gelitten und nach und nach bröckelte das Vertrauen zu Gott. Wenn wir ehrlich sind, können wir das gut nachvollziehen. Je länger sie in babylonischer Gefangenschaft waren, desto mehr schwand ihr Gaube an den barmherzigen und gnädigen Gott.
In der Fremde ist alles ungewiss geworden. Wo ist dieser Gott? Gibt es diesen Gott überhaupt noch, an den unsere Vorfahren geglaubt haben? Was ist mit ihm? Ist er ganz verstummt, hat er uns, sein Volk, total vergessen? Die Auswirkungen der Gottesferne und Gottesfinsternis waren damals so.
Und, liebe Gemeinde, wie sieht das aktuell bei uns heutzutage aus? Wir leben nicht in Gefangenschaft sondern in großer Freiheit. Bei uns gibt es nach wie vor die Möglichkeit, Gottes Wort zu hören und danach zu leben. Aber in unserer schnelllebigen und modernen Welt hat Gottes Wort es schwer, unser Herz zu erreichen.
Den meisten Menschen in unseren Breiten geht es gut, ja sehr gut. Dass auch das Gute uns von Gott geschenkt wird, vergessen wir oft. Alles Positive schreiben wir uns gerne auf die eigene Fahne. Und dann merken wir oft nicht einmal, dass wir Gott sozusagen verloren haben. Ja, dass er keinen Platz mehr in unserem Leben hat.
Wir wollen und müssen unbedingt so vieles erleben, alles mitnehmen, was das Leben nur an Möglichkeiten bietet. Und dabei bleibt der Glaube an den lebendigen Gott oft unbeabsichtigt auf der Strecke.
Das ist dann heute ähnlich wie zur Zeit des Propheten Jesaja. Zwar aus ganz anderen Gründen, aber Gottes Zuwendung zu uns Menschen wird oft nur noch ganz wage wahrgenommen.
Dabei ist die Gottesferne, sein Zorn nur einen Augenblick. Es ist nie und niemals Gottes endgültiges Urteil über uns Menschen. So wie er zur Zeit Noahs schwor, niemals mehr die Erde mit einer Sintflut zu strafen, so gilt sein Zorn über die Menschen niemals als sein endgültiges Urteil
Dass das so ist, wurde bereits ein für alle Mal festgeschrieben. Durch Jesus Christus, der als Mensch in unsere Welt gekommen ist, strahlt Gottes Liebe auch in unser kleines Leben. Jesus ist ja nicht in unsere Welt gekommen, weil hier alles so super gut läuft. Nein, heißt es doch im Weihnachtslied: Welt ging verloren, Christ ist geboren! Und zur Welt, liebe Gemeinde, gehören wir alle, Du und Ich. Jesus war und ist praktisch Gottes Liebe in Person. Er speiste Menschen, machte Menschen gesund, weckte Menschen auf.
Damit zeigte er, dass er uns Menschen in inniger Liebe und Barmherzigkeit verbunden ist. Gerade die Menschen, die auf der Schattenseite des Lebens sind, gehören zu seinen Lieblingen.
Das bedenken wir vor allen Dingen jetzt in der Passionszeit. Sein Leiden und Sterben kommt uns Menschen zugut, wir müssen es nur im Glauben annehmen und leben. Durch seinen Tod und durch seine Auferstehung dürfen wir letztendlich Gottes Gnade erfahren. Er will uns in Zeit und Ewigkeit nahe sein.
Wir sind nie zu alt, um uns Gott zuzuwenden. Er streckt uns immer eine Hand entgegen; nur einschlagen, das müssen wir schon selbst.
Unser Leben soll das von Gott gesetzte Ziel erreichen. Wir dürfen uns ohne Vorbehalte auf den Weg des Glaubens machen. Auch dann, wenn wir vielleicht Zweifel an Gottes Führung haben. Wenn wir nicht ausprobieren ob uns der Glaube trägt, auch durch schwere Zeiten, können wir niemals Mut machende Erfahrungen mit Gott machen.
Dass Gott für uns alle wie ein Felsen in der Brandung steht, soll der letzte Vers des Predigttextes bezeugen. Wenn Berge weichen und Hügel hinfallen, was ja vor einigen Wochen in der Türkei und Syrien passiert ist, und was immer mal vorkommt, versetzt das auch uns nicht Betroffene oft in Angst und Schrecken. Auch wenn das Ausmaß des Erdbebens groß und furchtbar schrecklich ist, Gottes Treue zu uns Menschen ist größer und stärker als stärkste Erdbeben.
Auch wenn sich der Sieg der Güte und Gnade Gottes oft verborgen hält, dieser Sieg macht sich unaufhörlich Bahn. Denn hinter allem und über allem steht Gottes unerschütterlicher Heilswille.
Diesen Heilswillen zu erkennen und ihn froh und dankbar anzunehmen und ihn zu leben lässt getrost und gelassen in die Zukunft blicken. Weil wir den an unserer Seite haben, der Himmel und Erde geschaffen hat und auch unser kleines Leben in seinen guten Händen hält. Er, unser himmlischer Vater, der uns niemals aus den Augen verliert, auch in den dunkelsten Stunden unseres Lebens nicht. Wenn wir an ihm unser Leben fest machen, sind wir gut gewappnet für alles, was noch auf uns zukommt.
Denn es gilt und steht unverbrüchlich über jedem einzelnen Leben:
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Amen.
Predigt über Matthäus 4, 1-11 - Sonntag Invokavit 26.2.2023
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
es kommt vor, dass man ab und zu einmal hört, heutzutage sind die Versuchungen für uns Menschen größer als früher. Es gab kein Fernsehen, man kam nur selten aus dem Dorf raus, vieles wussten oder kannten wir gar nicht. Also auch kaum Versuchungen.
Heute sind wir durch die vielfältigen Medien wie Radio, Fernsehen, Telefon, Smartphone, PC so informiert, dass man manches, was man hört oder sieht, auch einmal ausprobieren möchte. Ob das immer zu unserem Besten dient, stellt sich leider immer erst im Nachhinein heraus.
Und trotzdem, unser heutiger Predigttext, den wir als Evangeliums-Lesung gehört haben, berichtet schon von Versuchungen vor rund 2000 Jahren. Nicht dass ein Mensch einen anderen Menschen versuchte zu hintergehen. Nein, der Teufel oder auch Satan genannt, versucht Jesus, Gottes Sohn.
Jesu Wirken in der Öffentlichkeit begann als er ca. 30 Jahre alt war. Vor unserem Predigttext wird geschildert, wie Johannes der Täufer Jesus getauft hat.
Jetzt wurde er vom Geist in die Wüste geführt und betete und fastete dort 40 Tage lang. Er wollte sich auf diesen nicht einfachen Dienst im Auftrag seines Vaters sehr gut vorbereiten. Auch die von der Kirche festgelegte Passionszeit ist 40 Tage lang.
Nach Gottes Absicht sollte Jesus hier eine sogenannte Berufstreue ablegen. Sein himmlischer Vater wollte feststellen, ob sein Sohn ihm wirklich vertraute. Ob er so mit den Menschen umging, wie sein Vater es sich wünschte. Deswegen ließ er auch den Teufel gewähren. Der ist schlau und weiß, dass Jesus nach 40 Tagen fasten großen Hunger hat.
Er sagt zu Jesus: Sprich, dass diese Steine Brot werden. Wenn man Hunger hat und aus Steinen Brot machen kann, ist die Versuchung schon sehr groß. Aber Jesus kontert und sagt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.
Aber so schnell gibt der Teufel nicht auf. Er stellt Jesus auf die Spitze des Tempels und sagt, er solle sich hinunterwerfen. Denn in Gottes Wort steht ja: Er hat seinen Engel befohlen, dass sie dich auf Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Aber Jesus entgegnet ihm: In der Schrift steht auch: Du sollst den Herrn dein Gott nicht versuchen.
Wieder kein Erfolg für den Teufel. Der möchte doch gar so gerne Gottes Pläne, die er für Jesus und damit für die ganze Menschheit hat, durchkreuzen. Er versucht es nun zum 3. Mal und führt Jesus auf einen sehr hohen Berg. Er zeigt ihm sozusagen alle Länder dieser Erde in all ihrer Herrlichkeit. Er, der Teufel, will die ganze Welt Jesus übergeben, wenn dieser niederfällt und ihn anbetet.
Aber Jesus bleibt stark wie ein Felsen und gebietet dem Teufel: Hebe dich weg von mir, Satan. Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen. Da traten die Engel zu Jesus und dienten ihm.
Liebe Gemeinde,
ich habe lange überlegt, wo der Schwerpunkt der Predigt bei dieser Geschichte liegt. Was hat sie uns modernen Menschen zu sagen. In unserer derzeitigen Lebenssituation? Ich kam zu folgendem Ergebnis: Der letzte Satz: Du sollst anbeten Gott, deinen Herrn, und ihm allein dienen. Das ist die Hauptaussage des Textes!
Ich frage mich, wen oder was beten wir alle an? Oder wem dienen wir heutzutage? Erstens ist derzeit beten nicht mehr in, wie man
so schön sagt. Ich frage mich, wo steht das geschrieben? Wenn wir als Christen nicht mehr beten können oder beten wollen, dann ist es mit unserem Christsein nicht mehr weit her.
Das ist doch unsere ständige Verbindung zu Gott. Diese Leitung muss doch warm gehalten werden. Es gibt doch Dinge in unserem Leben, die kann man nicht mit Jeder oder Jedem besprechen. Nachher geht das durchs ganze Dorf. Oder aber der oder die Andere haben für das, was mich eventuell belastet oder freut, überhaupt kein Verständnis. Dann ist es doch gut, wenn wir eine Anlaufstelle haben, bei der wir alles sagen können. Das Schwere und auch das Beglückende.
Wir müssen keine neue Religion einführen, brauchen keine sogenannten neuen Heilslehren, die Bibel, die in jedem Haus ist, reicht aus, unser Leben so zu gestalten, dass wir das von Gott gesetzte Ziel erreichen.
Auch heutzutage ist der Teufel, der Versucher immer wieder unterwegs um uns Menschen zu täuschen und in die Irre zu führen. Dass ihm das mehr als gut gelingt sehen wir in aller Welt. Mord und Totschlag, Kriege und Verbrechen.
Nicht nur Chaos in der Völkerwelt, auch im Kleinen, in vielen Familien. Das, liebe Gemeinde, ist nicht Gottes Werk, sondern das Ergebnis, wenn man meint, ohne Gott auszukommen. Ein Herr Putin meint, er sei der Größte und bringt mit seinem unsäglichen Krieg in der Ukraine Zigtausend unschuldige Menschen um. Das sich die Gegenseite wehrt, ist doch klar. In der Propaganda der russischen Medien wird alles so dargestellt, als ob Russland sich lediglich gegen den Westen wehrt.
Und das Schlimme ist, die Russisch orthodoxe Kirche, besonders ihr Oberhaupt, unterstützt Putin. Ist das Gottes Wille? Nein, hier ist der Teufel am Werk, der Versucher.
Die Tatsachen werden einfach verdreht; so wie seinerzeit der Teufel vorgegangen ist. Ja, man hat oft den Eindruck, Gott hat unsere Welt nicht mehr in der Hand, das Böse hat die Übermacht. Das kommt vielleicht auch daher, weil die große Mehrheit der Menschen leider keinen Bezug mehr zu Gott hat. Man hat Gott einfach verloren, ohne dass man es bemerkt hat. Vor lauter Hektik und Betriebsamkeit.
Alles ist beliebig. Viele Menschen machen was sie wollen, ohne zu bedenken, dass wir auch einmal Rechenschaft über unser Tun und Lassen ablegen müssen.
Liebe Gemeinde,
Gott anbeten und ihm allein dienen. Warum fällt das uns heutigen Menschen oft so schwer? Man will verdienen und zwar viel, aber nicht dienen. Das Wort Dienen hat leider keinen guten Ruf.
Früher hieß es von jungen Mädchen zum Beispiel, die hat einige Jahre in der Stadt in einem Haushalt gedient. Oder von jungen Männern, die haben zwei Jahre bei der Wehrmacht gedient.
Wenn ich diene, bin nicht ich der Herr, nicht unbedingt der Knecht oder die Magd, aber ich bin nicht der Boss. Ich denke, auch deswegen hören wir heute kaum noch im allgemeinen Sprachgebrauch das Wort dienen.
Man will sich doch nichts sagen lassen, man will doch selbst bestimmen, wo es längs geht. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. Dienen, das ist Schnee von gestern. Heute gelten doch andere, lukrativere Werte.
Wenn es aber heißt, wir sollen Gott allein dienen, müssen wir uns wohl oder übel unterordnen. Wenn man aber weiß, dass unser himmlischer Vater es gut mit uns meint, ist ein unterordnen für uns Menschen doch richtig. Unterordnen heißt ja nicht unterdrücken. Denn Gott weiß doch besser als wir, was für uns gut ist.
Er ist doch der Schöpfer eines jeden Lebens und weiß am besten über uns Bescheid. Ihm können wir vertrauen wie ein kleines Kind seiner Mutter oder seinem Vater.
Freilich verstehen wir nicht immer Gottes Wege mit uns. Auch Leid und Schmerz in unserem Leben lässt er zu. Aber bei allem was uns auch zustößt, er ist an unserer Seite. Er geht mit durch die dunklen Täler und die lichten Höhen.
Liebe Gemeinde,
wenn wir doch wieder das könnten, was vorangegangenen Generationen wohl leichter gefallen ist als uns heute: Gott anbeten und ihm allein dienen. Was würde darauf ein Segen ruhen. Dann hätte der Versucher, egal ob wir ihn Teufel oder Satan nennen, auch nicht so viele Angriffsflächen bei uns.
Die Versuchungen würden weniger werden wenn der Versucher merkt, ich habe hier keine Chance. Wir sollten versuchen, es Jesus nachzumachen. Uns einfach an Gottes Wort halten. Das ist die beste Gebrauchsanweisung für ein gelingendes und gesegnetes Leben.
Wir sind doch bisher gut damit gefahren, wenn wir uns an Gottes Weisungen gehalten haben. Versuchungen wird es immer geben, aber auch immer Möglichkeiten, mit Gottes Hilfe ihnen zu widerstehen. Wir haben das bei Jesus gesehen.
Er hat alles aus Liebe zu seinem Vater und zu uns Menschen getan. Gerade jetzt in der Passionszeit sollten wir bedenken, dass er auch gerade das schwere auf sich genommen hat um uns zu erlösen.
Er hat dem Teufel widerstanden und hat damit auch uns gezeigt, dass das möglich ist. Wir brauchen keine fremden Götter, keine neue Lehre. Nein, wir sollten nur an dem bleiben, was schon unsere Vorfahren gelernt und gelebt haben: Gott den Herrn anbeten und ihm allein dienen. Amen.
Und der Friede Gottes der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jeus, unserem Herrn. Amen.
Predigt zum Sonntag Estomihi, 19.2.2023 in Henschhausen und Bacharach
Text: 1Kor13, 1-13 Das Hohelied der Liebe
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophe-tisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.
Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
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Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
unsere Landeskirche hat vor einigen Jahren von allen Gemeinden eine Konzeption angefordert, die Auskunft über ihr Wirken und ihre Ziele gibt. Was der Apostel Paulus in seinem „Hohelied“ geschrieben hat, das muss der Grundgedanke jeder christlichen Gemeinschaft sein. Paulus richtete diesen Brief an seine "Lieblings-Gemeinde" Korinth! Er hatte dort viel Freude bei der Missionierung erlebt, obwohl es da eine „Auswahl“ an Religionen gab. Aber Paulus konnte in eineinhalb Jahren viele Menschen für Christus gewinnen. Später, als er in Ephesus wirkte, wurden ihm aus Korinth harte Rückschläge geklagt. Das "Hohelied der Liebe" war die Antwort des Apostels für diejenigen, die sich nicht durch das Verdienst Jesu Christi, sondern durch eigene Geistesgaben und Anstren-gungen schon den Himmel verdient zu haben glaubten. Sie hatten sich abgesondert und - im Alleingang - den Weg in der Nachfolge Jesu verlassen. Aber: Gott will nicht nur eine Handvoll Auserwählte, sondern dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, so Paulus. (1.Thim.2,4). Deswegen schreibt er an seine Korinther mit Herzblut: Nicht prophetische Gaben, wie sie bei euch aufgetreten sind, zeichnen Christen aus und verbürgen euch das Heil! Christus allein ist eure Rettung! Gemeinsam sollt ihr ihm nachstreben. Und dazu gab Gott euch allen eine Dreifach-Begabung, eine Kombination, die Berge versetzt, nämlich: den Glauben an die Erlösung in Jesus Christus und daraus die Hoffnung, die Liebe, die alle umfassen soll. Paradiesische Gaben sind das, die euch mit den Füßen auf der Erde halten, aber den inneren Menschen schon zum Himmel weisen: Glaube. Hoffnung. Liebe.
"Aber die Liebe ist die größte unter ihnen", schreibt Paulus. Es scheint so, als würde der sonst so gestreng wirkende Kopf-Mensch Paulus zu viel "Wind" um die Liebe machen. Da möchte ich an eine alte Geschichte erinnern, die vor Jahrzehnten in den Lesebüchern stand: Vom Schulze Hoppe.
Der Schulze Hoppe, Bürgermeister eines Dorfes, hatte ständig etwas am Wetter auszusetzen! Er wollte es am liebsten für ein Jahr mal selber machen. Er wandte sich deshalb an Gott, und Gott war damit einverstanden. Es wurde also Getreide gesät, der Schulze Hoppe ließ regnen und die Sonne scheinen und die Äcker standen bald herrlich da. Das Jahr ging ins Land mit Sonne und Regen. Dann kam die Erntezeit, und ... alle Ähren waren taub - nix drin, kein Körnchen! Und warum? Der Schulze Hoppe hatte den Wind vergessen, der den Blütenstaub von Halm zu Halm geweht hätte. Das Dritte hat gefehlt.
Drei Dinge gehören auch für die Christenheit zusammen, Glaube, Hoffnung, Liebe, damit sie Frucht bringen im Sinne Jesu, damit allen geholfen werde. Denn Christ-sein sollte nicht im religiösen Egoismus gipfeln wie bei einigen Korinthern und den Heilsanbietern heute - Hauptsache ich erringe den Himmel. Das Christentum ist offen für alle - Gott zur Ehre und dem Nächsten zugute.
Der Brief von Paulus ist in unseren Tagen noch genauso wichtig wie damals: Außer Jesus Christus haben wir keinen Erlöser! Viele suchen ihr Heil irgendwo anders … umsonst! Aber die Frage bleibt: Was läuft bei uns falsch, dass wir so wenige Men-schen für Jesus gewinnen? Auch hier muss man den Werteverfall bedenken! Der Großteil der Menschheit setzt seinen Glauben auf Fortschritt, seine Hoffnung auf persönlichen Erfolg und finanzielle Sicherheit. Und unter Liebe versteht man viel, aber selten das, was Paulus als Liebe benennt, der er ein ganzes Kapitel widmet. Der Apostel spricht von der Liebe, die Abglanz der Liebe Gottes ist, die im Bunde ist mit Glauben und Hoffnung.
Die Liebe ist für Paulus das, was dem Christenleben den "i-Punkt" aufsetzt - Lieben und Leben unterscheiden sich ja nur durch den einen Buchstaben. Der Apostel will weder die Korinther noch uns mit einer Moral-Predigt ermüden, sondern unseren Glauben und unsere Hoffnung durch den Motor Liebe ermuntern und vorwärts bringen. Deswegen gibt Paulus sich solche Mühe mit seinem Hymnus auf die Liebe. Er nennt Gott nicht beim Namen, der uns aus Liebe seinen Sohn gab, auch nicht Jesus Christus, der aus Liebe wirkte und lehrte, der aus Liebe litt und starb; und doch beschreibt Paulus nichts anderes als Liebe in ihrer Vollendung - Gott. Zum Nachahmen für die ganze Christenheit.
Der große Missionar wirbt darum, dass Christen von der Liebe Gottes lernen und zu der Erkenntnis kommen: Es geht in Christengemeinden nicht darum, Aufsehen durch prophetische Begabungen oder Ähnliches zu erregen, um eine Elite; es geht vielmehr um Gemeinschaft: Glaube, Hoffnung und vor allem die Liebe sollen sie bestimmen. Heute könnte Paulus zum Beispiel schreiben: Wenn ihr eure Politiker, Kirchenleute und andere wieder einmal messerscharf diskutieren hört, dann achtet auf ihre Motive. Ist es nur der Drang nach Ansehen und Macht, dann seht euch vor. Wenn sie von wegweisenden Erkenntnissen reden, dann fragt euch, was es den Menschen wirklich bringt, ob Glaube, Hoffnung und Liebe da als Wertmaßstab angelegt wurden. Denn Glaube und Hoffnung sollen nicht zum Hochmut und zur Machtentfaltung, sondern durch Liebe zur Demut führen, zum Dienen. Die Großen DREI sollen auf Gott zu führen.
Ja, es muss einiges in Korinth vorgefallen sein, dass Paulus eine solche Dokumentation über die Eigenschaften der Liebe verfasst: Langmütig, freundlich, ohne falschen Eifer und Mutwillen, bescheiden ist die Liebe. Sie weiß, was sich gehört, ihr gehts nicht um den eigenen Vorteil, sie entdeckt überall noch etwas Gutes, sie führt nicht Buch über das Böse, das ihr angetan wird, Liebe kennt keine Schadenfreude, sie liebt die Wahrheit. Liebe stellt kein Ultimatum an Gott; sie weiß, dass wir mit unseren Erden-Augen noch nicht alles klar sehen können! Aber sie glaubt, dass der Dreieinige Gott hinter allem da ist. Der Kompass aus Glaube, Hoffnung und Liebe soll uns gemeinsam als Gemeinde, auf den Weg bringen hinter Jesus Christus her, der, als er seinen Jüngern die Füße wusch, gesagt hat: Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe. (Joh.13,15)
Liebe Gemeinde, als Pharisäer hatte Saul von Tarsus sich über Jesus entsetzt. Die Predigten des Nazareners von der Liebe Gottes zu allen Menschen, sie waren ihm ein Gräuel gewesen, eine Beleidigung Gottes. Aber Saul hat inzwischen gelernt, dass bei Gott die Liebe das Größte ist, und dass auch die, die sich selbst für gerecht halten, auf Gottes Liebe angewiesen sind. Und Saulus/Paulus weiß, wie schwer es ist, den rechten Weg zu finden und bekennt im Brief an die Korinther: Ich kann hier alles nur stückweise erkennen, aber ich verlasse mich auf die Drei göttlichen Helfer: Auf Glaube, Hoffnung und Liebe.
Lassen auch wir es uns von Paulus gesagt sein: Ohne Liebe gerät unser Glaube auf Irrwege, ohne Liebe hält die Hoffnung nicht durch. Die Liebe unseres Heilandes trieb ihn nach Golgatha. Und seine Liebe hat im Tode keine Niederlage erlitten - sie war so groß, dass der Tod ihn nicht halten konnte. Christi Auferstehung ist der Sieg der Liebe, das höchste Gut seiner Gemeinden, seiner ganzen Kirche auf Erden. Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen
Predigt für den 3. Sonntag vor der Passionszeit – Septuagesimae - (05.02.2023)
(Matthäus 9, 9 - 13)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater,
und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
der für den heutigen Sonntag vorgesehene Predigttext entstammt dem 9. Kapitel des Matthäusevangeliums.
Ich lese die Verse 9 – 13:
Die Berufung des Matthäus und das Mahl mit den Zöllnern
Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. Und es begab sich, als er zu Tisch sass im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt: „Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer“. Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.
Zu Zeiten Jesu, liebe Gemeinde, hatten die Zöllner keinen guten Ruf. Das hatte mehrere Gründe:
Zum einen wurden Zollbezirke seitens der römischen Besatzer oft an den Meistbietenden verpachtet, der dann mit weiteren Unterpächtern agierte. Daraus resultierte eine Vielfalt an Möglichkeiten, zu betrügen und in die eigene Tasche zu wirtschaften.
Zum anderen waren die Zolleinnehmer damit im Dienst der Besatzungsmacht, und hatten daher immens viele Kontakte zu Nichtjuden. Sie galten daher als unrein.
In Summe wurden sie deshalb in der Wahrnehmung der jüdischen Bevölkerung mit Dieben und Räubern gleichgesetzt.
Die Pharisäer waren seinerzeit Menschen einer religiös-politischen Gruppe, die sich mit großem Enthusiasmus für die Einhaltung der jüdischen Gesetze stark machte. Weil ihnen aber oft Hochmut und Scheinheiligkeit in der Auslegung von Glaubensgesetzen vorgeworfen wurde, sind sie zu einem Synonym für eben besagte Scheinheiligkeit geworden. Vor 2000 Jahren waren sie aber eine große jüdische Autorität, die sehr viel politischen und gesellschaftlichen Einfluss genoss.
Diese beiden Gruppen, Zöllner und Pharisäer, treffen in unserem Bibeltext indirekt als Kontrahenten aufeinander.
Die tatsächliche Auseinandersetzung findet in der Diskussion aber zwischen den Pharisäern und Jesus statt!
Wagen wir eine Transformation der Ereignisse in unser hier und jetzt.
Wenn kirchliche oder staatliche Instutionen in der Weihnachtszeit Obdachlose zu einer Feier einladen und bewirten, ist das völlig „on vogue“.
Auch ähnliche Veranstaltungen in Gefängnissen werden in diesem Zusammenhang mit Wohlwollen betrachtet.
Was wäre aber, wenn sich beliebte, prominente Zeitgenossen dazu bereit erklären würden, mit beispielsweise verurteilten Mördern und Sexualstraftätern ein großes Fest zu begehen unter dem Motto „Gott liebt euch ganz besonders“?
Vermutlich würde das selbst in unserer mittlerweile sehr aufgeklärten Gesellschaft zu Irritationen führen.
Auch eine öffentliche Barmherzigkeitsoffensive in Richtung der russischen Staatsführung würde sicherlich die Frage aufwerfen, ob nicht andere Gruppen viel eher unsere Aufmerksamkeit verdienen und unserer Barmherzigkeit bedürfen.
Die Botschaft Jesu lautet aber, dass die „Schwachen“ und Sünder deshalb mehr göttliche Aufmerksamkeit erhalten müssen, weil sie, im Gegensatz zu den glaubensstarken Menschen, der besonderen Unterstützung bedürfen. Sein Beispiel, dass nur der Kranke den Arzt braucht, will das noch einmal klar verdeutlichen.
Es gibt meines Erachtens aber noch eine zusätzliche, versteckte Botschaft:
Der Mensch kann vieles trotz guten Willens einfach nicht leisten. Sein Bild von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit unterliegt gesellschaftlichen Zwängen und Werten, die zusätzlich von Eigeninterpretation geprägt sind.
Aber Gott, und damit Jesus, kann ganz anders sehen, und damit auch ganz anders handeln.
Gott freut sich über alle, die ihm folgen und vertrauen. Aber sein besonderes Augenmerk gilt immer denen, die schwach, ausgegrenzt, und mit offensichtlichen Fehlern behaftet sind.
Ihnen wendet er sich zu, um Möglichkeiten der Rückkehr auf seinen Weg aufzuzeigen und zu ebnen.
Gott kann alle Grenzen überschreiten. Und gesellschaftlich bedingte Abgrenzungen, die wir Menschen aufgebaut haben, sind für ihn ohne Bedeutung. So kann er seine Gnade und Barmherzigkeit gerade denen schenken, die wir mit unserem Bann belegen. Gott sieht ins Herz und erkennt im Gegensatz zu uns genau, wer ehrliche Reue zeigt.
Jesus hat in seinen öffentlichen Auftritten ja immer wieder für gewolltes Erschrecken bei seinen Zuhörern gesorgt.
Das Brechen gesellschaftlicher Tabus, den Finger in die Wunde legen: Damit war ihm die Aufmerksamkeit seiner Anhänger, aber auch seiner Gegner sicher. Zudem sorgte er so ständig für neuen Diskussionsstoff.
Er sagt den Pharisäern:
„Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer“.
Damit kritisiert er nicht nur öffentlich ihr Verhalten in der gegebenen Situation, sondern weist grundsätzlich darauf hin, dass sie sich in ihrer geschaffenen Selbstgefälligkeit bequem eingerichtet haben.
Jesus freut sich also, wenn wir unseren Mitmenschen mit Offenheit und Freundlichkeit begegnen, statt sie mit der Messlatte unserer eigenen Glaubensmaximen zu konfrontieren und anschließend abzuurteilen.
Aber, wie schon gesagt:
Jesus weiß natürlich auch, dass wir nicht immer so einfach aus unserer Haut können, dass uns Dinge einfach schwer fallen.
Dazu gehört ganz besonders das Ausüben von Barmherzigkeit. Denn die Grundvoraussetzung für die Barmherzigkeit sind Toleranz und das verzeihen können.
Beides sind Gaben, die uns mehr oder weniger stark ausgeprägt in die Wiege gelegt worden sind.
Ein wenig lernen können wir Toleranz und verzeihen aber auch.
Dazu müssen wir uns lediglich intensiv vorstellen, was wir uns für uns selber wünschen, wenn wir andere Menschen verletzt oder verärgert haben, wenn durch unser Reden und Handeln der „Zug mal wieder abgefahren ist“.
Auch wir hoffen dann irgendwann auf ein Signal des Verzeihens an unsere eigene Person.
Ein erster Lernprozess beginnt hier in unserer Kindheit. Was probieren wir, trotz Warnung unserer Eltern, nicht alles aus, um dann eine totale Bauchlandung hinzulegen.
Wie viel Ärger und Sorgen bereiten Kinder und Jugendliche ihren Eltern, und immer wieder können sie sich auf ihre Liebe und ihr Verzeihen verlassen.
So geht es uns Erwachsenen auch als Kinder Gottes.
Wenn wir Dinge gedacht, gesagt, oder getan haben, die uns mit Schuld beladen, dann können wir immer wieder zu unserem himmlischen Vater zurückkehren.
Er wird uns in seiner Barmherzigkeit stets mit offenen Armen empfangen, wenn er, in unser Herz blickend, ehrliche Reue erkennen kann.
Unser heutiger Predigttext entlässt uns also in den Alltag mit dem Wissen, dass Gott für die Sünder, wie auch für die Glaubensstarken ständiger Ansprechpartner ist.
Und auch die Glaubensstarken sind ja nicht frei von Sünde.
Insoweit können wir alle, jeder Einzelne von uns, immer wieder in Gottes Schoß zurückkehren, wenn wir es ehrlich meinen.
Dafür bin ich dankbar und froh.
Ich muss keine Angst haben, von meinem himmlischen Vater abgewiesen zu werden.
Er hört mich an, er hört mir zu, und er schenkt mir aus freien Stücken seine Gnade und Barmherzigkeit.
Das gilt für alle Menschen.
Reihen wir uns also ein in die Gruppe der Zöllner zu Jesu Zeiten, reihen wir uns also ein in die große Gruppe der Sünder.
Sie werden erstaunt feststellen:
Wir befinden uns in guter Gesellschaft!
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt über Römer 1, 13-17 / 22.1.2023
Breitscheid und Oberdiebach
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
heute haben wir in der ersten Lesung ein gewaltiges Wort des Apostels Paulus gehört, das der Predigt als Grundlage dient. In der alten Luther-Übersetzung heißt es am Beginn so: Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht.
So, ich schäme mich nicht. Aber wenn wir ehrlich sind, wir haben uns in unserem Leben doch schon so manches Mal geschämt. Ich zum Beispiel habe mich vor langen Jahren einmal sehr geschämt. Als ich noch Haare hatte, waren diese rot. Das war seinerzeit schlimm.
Bekannte von uns haben damals ein Kind erwartet. Die zukünftige Oma meinte, egal ob Bub oder Mädchen –und dann schaute sie mir auf den Kopf- alles darf sein, aber auf keinen Fall rote Haare.
Obwohl ich längst erwachsen war, ich bin sofort gegangen. Ich habe mich so geschämt, dass mir fast die Tränen kamen.
Oder ein anderes Beispiel. Wir hatten im Bekanntenkreis eine liebe, sehr kräftige Frau. Sie hatte mit zunehmendem Alter immer mehr Wassereinlagerungen. Diese Krankheit hat auch einen Namen, den weiß ich aber nicht mehr. Sie musste oft in eine Spezialklinik. Hier wurden die sehr dicken Beine praktisch so stramm gewickelt, dass sie wie Elefanten umher gestapft seien. Das hat sie selbst so gesagt. Da aber alle so liefen, war es ok.
Nach ein paar Monaten zu Hause, wurde es wieder schlimmer. Diese Frau wollte gar nicht mehr auf die Straße, weil sie sich wegen ihres Körpers schämte. Wenn dann so Kommentare kamen wie: Ich möchte mal gern sehen, wieviel du bei einer Mahlzeit isst, dann kann man verstehen, dass diese Frau am liebsten im Erdboden versunken wäre. Diese Frau schämte sich bis an ihr Lebensende.
Aber Paulus schreibt, ich schäme mich nicht. Vielleicht schämen sich auch Menschen, weil sie es beruflich nicht sehr weit gebracht haben. Oder weil es in der Familie viele Probleme gibt. Man könnte die Beispiele fortsetzen.
Aber, liebe Gemeinde, wir müssen uns nicht schämen. Wenn wir auch nicht immer dem derzeitigen Schönheitsideal entsprechen. Hat sich jemand von uns selbst gemacht? So wie wir sind hat uns der Schöpfer gewollt. So wie wir nun einmal aussehen, hat Gott uns lieb. Und zwar alle, ohne Ausnahme.
Einige denken jetzt vielleicht, Paulus meint doch etwas ganz anderes. Ja. das stimmt. Aber es geht auch um schämen oder Scham. Paulus geht davon aus, dass das Evangelium die atemberaubenste Botschaft der Welt ist. Dieses Evangelium wurde und wird aber nicht von allen Menschen gleich geachtet und geliebt. Denn an dieser Botschaft scheiden sich die Geister. Das war seit Urzeiten so. Das ist derzeit so, und das wird auch so bleiben.
Denn wir Menschen haben einen freien Willen und können uns für oder gegen etwas entscheiden. Und als Paulus diesen Text schrieb, wussten noch nicht allzu viel Menschen von der befreienden Botschaft des Evangeliums. Es war also noch etwas relativ Neues, bisher nicht bekanntes, was der Apostel da verkündigt hat.
Etliche Menschen haben seine Verkündigung mit Freuden angenommen, andere Menschen haben es abgelehnt. Da wir Menschen ja immer gerne volle Zustimmung von allen Seiten haben möchten, egal um was es geht, hätte es sein können, dass Paulus sich schämte, weil nicht alle das von ihm so hoch gepriesene Evangelium annahmen.
Er war sich aber seiner Sache so sicher, dass er sagen konnte, ich schäme mich nicht des Evangeliums von Christus, denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.
Paulus hat ja seinerzeit als Saulus die neuen Christengemeinden bis aufs Blut verfolgt. Als ihm vor Damaskus praktisch Jesus in die Parade gefahren ist, hat er ganz persönlich die Macht und Kraft des Evangeliums am eigenen Leib erfahren.
Er ließ sich auf das Evangelium ein. Er vertraute 100% den hier gemachten Aussagen und wurde nicht enttäuscht. Und dafür muss er sich wirklich nicht schämen. Diese Glaubensgewissheit will er unter allen Umständen weitergeben.
Dem Apostel liegt es sehr am Herzen, endlich in Rom das Evangelium zu verkünden. Er war ja schon in anderen Städten, aber aus verschiedenen Gründen ist bisher eine Reise nach Rom nicht möglich gewesen. So ähnlich haben wir es ja eben gehört. Die christliche Gemeinde in Rom war nicht von Paulus gegründet worden. Und da er noch nicht da war, schreibt er dieser jungen Gemeinde.
Die beiden heutigen Kernverse sind überschrieben mit den Worten: Die Macht der guten Nachricht. Ja, es stimmt, Das Evangelium ist eine Macht. Aber keine Macht, die andere Völker oder Menschen so angreift, dass diese zerstört werden.
Es ist genau umgekehrt: Das Evangelium ist eine Macht der Liebe, die Menschen so verändern kann, dass sie eine 180grad Kehrtwende hinbekommen. Im Fernsehen, in Bibel-TV gibt es Sendungen, in denen Menschen von ihrem kaputten Leben berichten und dann durch die Annahme des Evangeliums von Jesus Christus ihr Leben in den Griff bekommen. Das ist nicht nur so daher gesagt, nein, man merkt an der Ausstrahlung dieser Menschen, es stimmt, was sie sagen.
Und diese Menschen schämen sich auch nicht, dass sie mit Gottes Hilfe nun endlich ihr bisher verkorkstes Leben in den Griff bekommen haben. Die Botschaft des Evangeliums bringt allen Menschen Rettung, die daran glauben. Da ist egal, ob du vorher Jude oder Grieche, also Heide, warst, schreibt der Apostel.
Liebe Gemeinde, in unserer heutigen Zeit und Welt, ist es nicht einfach, Kurs zu halten. Auch in Glaubenssachen nicht. Es gibt so viele gutgemeinte Ratschläge und Meinungen, wie und was man zu machen hat, um glücklich zu sein. Vom Glück aber steht wenig oder Nichts in der Bibel. Glück wird uns nicht verheißen. Denn Glück und Glas, wie schnell bricht das.
Aber wenn wir ein zufriedenes Leben führen dürfen, ist das nicht genug Grund dafür Gott zu danken. Manchmal, wenn man die Nachrichten hört oder im Fernsehen sieht, denkt man, die Welt steht bald auf dem Kopf. Wie soll das alles noch werden? Haben die Menschen noch alles im Griff? Kriegen wir das alles noch mal so richtig hin?
Nein, wir Menschen allein schaffen das allein nicht mehr. Obwohl sie uns das doch alle weismachen möchten. Zum Beispiel ist es heutzutage längst nicht mehr üblich, selbst bei Vereidigung von großen Staatsmännern und Frauen auf die Eidesformel zu antworten: So wahr mir Gott helfe. So nach dem Motto: Das kriegen wir schon allein hin. Wie gut oder schlecht es überall klappt, sehen wir ja täglich.
Es ist ein Armutszeugnis auch für unser sogenanntes christliches Abendland wenn man sieht, wie christliche Werte den Bach runtergehen.
Dann, liebe Gemeinde, könnte es sein, dass auch wir, die kleine sonntägliche Gottesdienstgemeinde uns schämen, weil wir nach Aussagen der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr auf dem Laufenden sind. Weil für viele Menschen leider der Glaube, Schnee von gestern ist.
Dann wünsche ich uns allen, dass Gott uns an die Hand nimmt und wir ihm voller Vertrauen folgen. Egal was kommt, egal wie es uns geht, aber immer getrost an seiner Hand.
Lassen wir uns nicht von Meinungsumfragen einschüchtern, von keiner Politik, von Niemandem. Denn das Evangelium kann, was Menschenkraft nicht kann. Nämlich retten von Schuld und Sünde und uns den Weg zum Ewigen Leben ebnen.
Das Evangelium, die frohe Botschaft, hat heute noch dieselbe Kraft wie vor rund 2000 Jahren. Um durch dieses Evangelium für Zeit und Ewigkeit gerettet zu werden, bedarf es keinerlei Vorleistungen. Gott hat uns in Jesus schon alles für unser Heil geschenkt.
Wir brauchen nur noch Ja zu sagen und Gottes Wort fest vertrauen. Wir dürfen alle kommen, so wie wir sind. Mit unseren Schwächen und Fehlern, mit unserer Schuld. Niemand wird abgewiesen.
Aber mit Gottes Hilfe dürfen wir uns ändern zu Menschen, die aus seiner Gnade und Barmherzigkeit leben.
Dafür dürfen wir von Herzen danken; brauchen uns aber wirklich nicht zu schämen.
Darum: Es gilt ein frei Geständnis, in dieser unsrer Zeit, ein offenes Geständnis, bei allem Widerstreit. Trotz aller Feinde toben, trotz allem Heidentum, zu preisen und zu loben, das Evangelium. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne, in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen.
Predigt 2. Sonntag nach Epiphanias Predigttext: 2. Mose 33, 18 – 23
Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen!
Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.
Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.
Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen.
Liebe Gemeinde,
um Glanz geht es in der Epiphaniaszeit nach Weihnachten. Der Stern leuchtet noch. Jesus tritt in Erscheinung.
Der göttliche Glanz, der in Jesus liegt, wird sichtbar.
Bei der Hochzeit zu Kana etwa, wo plötzlich kostbarer Wein ausgeschenkt wird und einige Gästen merken,
dass Jesus dahintersteckt und was in Ihm steckt.
Vom Glänzen erzählt auch die Geschichte von Mose aus dem Alten Testament, nachdem das Volk der Sklaverei in Ägypten entflohen war und nun ins Gelobte Land wanderte.
„Mose sagte: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen“!
Er hat ein großes Verlangen, Gott zu sehen und zu spüren.
Und Mose ist in seinem Drängen, Gott irgendwie sehen zu wollen, uns heutigen Menschen sehr nahe.
Wir leben in einer Welt der Sichtbarkeit.
Einer möglichen und unmittelbaren Sichtbarkeit von Geburt an bis hin zum Sterben.
Diese Sichtbarkeit gehört zu unserer Zeit.
Wir werden im alltäglichen mit vielen Bildern überflutet oder posten viele Fotos von unserem Handy.
Wahrgenommen werden heißt heute gesehen werden und alles sehen zu wollen.
Mose möchte Gottes Herrlichkeit sehen. Ein zutiefst menschliches Verlangen, wer möchte das nicht.
Mose spricht aus, was sich viele Menschen wünschen: Gott sehen, von Angesicht zu Angesicht. Sie möchten Gott selbst gegenüberstehen, nicht nur hören oder in der Bibel lesen. Mose hat ja erleben müssen als er vom Berg Sinai mit den beiden Gesetzestafeln herunterkam, dass das Volk um das goldene Kalb tanzte. Es hatte die Unsichtbarkeit Ihres Gottes und dann das Fernbleiben Mose nicht länger ausgehalten und etwas Sichtbares schaffen wollen, um es anzubeten.
Mose will Gottes Herrlichkeit, er will Gottes Angesicht sehen, um zu wissen, wie Gott jetzt zu seinem Volk steht, das gerade erst von ihm abgefallen ist, ihm untreu geworden ist.
Mose ist frustriert, sein Volk macht, was es will.
Und Gott ist so unnahbar. Beziehungen leben doch von Begegnungen:
Gott, ich habe Gnade in deinen Augen gefunden – lass mich deine Herrlichkeit sehen!
Nach so vielen Tiefschlägen könnte dies der Höhepunkt in seinem Leben werden.
Eine Beziehung lebt von Begegnungen.
Die Begegnung von Angesicht zu Angesicht schenkt Vertrautheit und Freude am anderen.
Der Wunsch, Gottes Herrlichkeit zu schauen, ist deshalb nachzuvollziehen. Vielleicht sucht Mose ein Erfolgserlebnis in allem Frust des Führens und Leitens? Wo bisher Namen, Worte, Vertrauen reichen, wollen seine Augen nun schauen, so als suche er Beweise für die Existenz Gottes.
Ist sein Glaube so klein geworden?
Es ist mehr als das: Er ist verzweifelt.
Der Auftrag, das Volk in das gelobte Land voll Milch und Honig zu führen, scheint ihm aus den Händen zu gleiten. Sie gehen anderen Göttern nach, sind bockig und halsstarrig.
Sie hören nicht mehr auf Gottes Helden, der einen zu großen Auftrag hatte.
Und Gott? Gott zürnt, vergisst angesichts der Irrungen und Wirrungen seines Volkes seine Zusagen und Verheißungen.
Mose braucht eine Vergewisserung, dass Gott auf seiner Seite steht.
Und Gott lässt mit sich reden, doch zeigt er seinem Auserwählten auch die Grenzen auf:
Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden!
Ich kenne dich bei deinem Namen! Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen!
Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig!
Wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich!
Kaum ein Mensch hat solch eine Nähe zu Gott erfahren, kaum ein Mensch ist so intim mit Gott wie Mose.
Gott teilt ihm sogar seine Beweggründe für Güte und Erbarmen mit.
Der ferne Gott kommt hier ganz nahe. Der ferne Gott geht auf Tuchfühlung. Er hüllt Mose in den Mantel seiner Güte und seines Erbarmens. Das sollte dem geschlagenen und erschlagenden Anführer des Volkes guttun.
Das sollte seiner matten Seele wieder aufhelfen.
Gott wendet sich ihm zu. Und doch: Bei aller Nähe bleibt eine große Fremdheit. Gott, der gütige und erbarmende Gott, ist und bleibt unkalkulierbar.
Er trifft seine Wahl: Wem er gnädig ist, wem er sich erbarmen will. Bei aller Nähe – diese Distanz scheint unüberwindbar. Und Gott lässt sie sich auch nicht abringen. Die Distanz bleibt.
Deshalb die Bitte des Mose: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen“ – letztlich nicht meinetwegen, sondern deinetwegen, Gott!
"Schließlich aber - sagt Gott - will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen“.
Dies ist noch eine weitere Bedeutung, die dieser Predigttext für uns heute haben kann.
Sie kommt sehr gut in einer Tagebucheintragung des dänischen Religionsphilosophen und Schriftstellers Søren Kierkegaard zum Ausdruck: „Das Leben kann nur nach vorwärts gelebt, aber es kann nur nach rückwärts verstanden werden“.
Wir möchten ja oft das Leben nach vorwärts verstehen, möchten wissen, was kommt, wie es wird, und vor allem, ob alles gut geht.
„Das Leben kann nur nach vorwärts gelebt, aber es kann nur nach rückwärts verstanden werden“. Immer wieder müssen wir in unserem Leben Entscheidungen treffen und wir sind auch manchmal nicht sicher, ob es die richtigen sind. Vieles erschließt sich erst im Nachhinein. Im Moment selbst bleibt es verborgen.
Dann sagen wir: Wenn ich das damals gewusst hätte!
Erst jetzt merke ich, wie gut ich es damals hatte und wie glücklich ich in dieser Zeit war.
Erst jetzt merke ich, dass es ein Schlüsselerlebnis war, was ich dort gesehen, gehört, erlebt, erkannt habe.
Erst jetzt wird es mir klarer.
Wenn ich es damals gewusst hätte, wäre ich länger dort geblieben. Oder auch: Dann hätte ich mich anders entschieden.
Oder dass die mir so schwer gefallene Entscheidung richtig war oder dass ich doch den richtigen Beruf ergriffen habe oder dass ich
damals mit meiner Liebe auf den richtigen Menschen getroffen bin oder dass ich an einem bestimmten Punkt wahrhaftig etwas falsch gemacht habe.
Im Nachhinein sieht es sich leichter. Da sind viele klüger. Erst im Nachhinein sehen wir manchmal, wie sich aus den Schritten, die wir gegangen sind, ein Weg ergeben hat. Wir fragen in unserem Leben
nach Gott, gerade auch in schwierigen Situationen und manchmal, nicht immer, sehen wir im Nachhinein die Spuren seiner Gnade und seines Erbarmens und wir können einwilligen in das Leben, wie es
seinen Verlauf genommen hat, auch mit seinen dunklen Seiten. „Lass mich deine Herrlichkeit sehen“
Liebe Gemeinde, diese Worte haben uns vielleicht in den letzten Monaten auch gerade in den letzten Wochen bewegt. Eine tiefe Sehnsucht nach einem sichtbaren Gott, der eingreift, der den Mächtigen, die die Welt mit Krieg überziehen, in den Arm fällt. Will sich Gott denn gar nicht mehr erbarmen?
Es gibt Erbarmen und Gnade in dieser Welt und sie hat mit Gott zu tun.
Die vielen Ehrenamtlichen, die sich jetzt z.B. in der Flüchtlingsarbeit engagieren, die haben eine Menschlichkeit in sich, die auch von Gott kommt. Und die Flüchtlinge erleben Spuren seiner Gnade und seines Erbarmens über die Hilfe, die ihnen zuteilwird. Die Politiker, die sich immer und immer wieder um diplomatische Lösungen bemühen, die haben eine Kraft und eine Ausdauer, die nicht allein von ihnen herauskommt.
Den Soldaten, die kämpfen, auch töten, auch denen wird Gott seine Gnade und Barmherzigkeit nicht verwehren, wenn sie darum bitten.
Und die, die sterben, die können darauf hoffen, die Herrlichkeit Gottes zu sehen in einem anderen Leben.
Darauf gehen wir alle zu. Irgendwann werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und wir werden umgeben sein von seiner Herrlichkeit.
Bis dahin wollen wir Gott immer wieder darum bitten: Lass mich deine Herrlichkeit sehen. Und Gott wird unsere Bitten erfüllen, auf die eine oder andere Weise. Manchmal sind wir erfüllt von ihr im Augenblick und wir behalten diese Erfahrungen in uns wie ein Schatz. Manchmal erkennen wir diese Momente aber nur in der Rückschau.
Immer aber wird die Erfahrung von Gottes Herrlichkeit uns Kraft und Energie geben für die Aufgaben, die vor uns liegen. Amen!
Und der Friede Gottes, der weiter reicht, als wir es fassen können, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen!
Predigt zum Jahresschluss-Gottesdienst am 31.12.2022 in Bacharach
Liebe Gemeinde,
für das Jahr 2023 wurde eine Jahreslosung aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 16,13 ausgewählt:
Du bist ein Gott, der mich sieht.
Das war nicht die Erkenntnis eines Priesters, kein Prophet hat dieses Glaubens-bekenntnis ausgesprochen – es war eine ägyptische Sklavin, die Magd der Sarai, Abrams Frau!
Sarai muss sehr schön gewesen sein. Aber sie hatte für ihre Zeit einen furchtbaren Makel: Sie bekam keine Kinder! Da war nicht nur das Ende ihres Stammes abzu-sehen! Denn zur ihrer Zeit glaubte man nicht an die Auferstehung der Toten, sondern daran, dass man über seine Nachkommen fortlebt!!! Darum war Kinderlosigkeit als hätte man nicht existiert! Furchtbar!
Dagegen lehnte Sarai sich auf: Ich habe eine Sklavin, eine Leibeigene! Soll die für mich ein Kind gebären, dann muss ich mich nicht länger fürchten. Da hatte Sarai zu kurz gedacht: Als ihre Sklavin Hagar schwanger wurde, Abrahams Nebenfrau, da fühlte die sich nicht mehr als Magd, sie ließ sich nicht mehr herumkommandieren. Doch die stolze Sarai lag Abram in den Ohren: Und der überließ ihr die Entscheidung über Hagar.
Sarai behandelte daraufhin die Schwangere so schlecht, dass Hagar flüchtete. Es gab aber rundum nur Wüste, lebensfeindliches Land! Hagar schaffte es bis zu einem Brunnen. Dort war aber schon ein Helfer für sie: Ein Engel. Doch dieser Gottesbote half ihr nicht weiter zur Flucht, sondern forderte von ihr die Umkehr!
Aber der Himmlische gab ihr zugleich eine Verheißung mit auf den Weg: Du wirst einen Sohn haben, den du Ismael nennen sollst; das bedeutet: der Herr hat mein Elend gehört. Nachkommen ohne Zahl sollst du haben. Geh zurück. Dann war der Engel nicht mehr zu sehen. Aber Hagar wandte sich nun direkt an den Gott Israels, der ihr Elend sah und bekannte: Du bist ein Gott, der mich sieht!
Eine Ägypterin, Sklavin, betet den Gott Israels an mit ihrem Glaubensbekenntnis: Du siehst mich!!! Du bist kein Gott, der nur die Großen im Auge hat, sondern auch die Hilflosen und Niedrigen beachtet. Du bist kein kleiner Landes-Gott! Du kennst keine Grenzen.
Diesen Satz, Du bist ein Gott, der mich sieht, als Jahreslosung für 2023 zu haben, ist schon etwas Besonderes auf der Welt! Er verspricht uns, dass Gott auch uns nicht aus dem Blick verliert, dass ER die Großen der Welt nicht einfach ihr Ding machen lässt, sondern zu Seiner Zeit Einhalt gebietet!
Gott sieht die Kleinen, die Machtlosen. Die Sklavin Hagar hat es bis zu einem Brunnen in der Wüste geschafft; aber das war nicht ihre Rettung. Ihre Umkehr hat viel mehr bewirkt: Sie lernte den Gott Israels kennen und vertraute IHM, dem Un-sichtbaren wie einem sichtbaren GEGENÜBER!
Hagar ist für uns ein Vorbild, nicht nur für das Jahr 2023: Sie kehrte um und hat Gottes reichen Segen erfahren durch ihren Sohn Ismael. Ihre Flucht wäre im Nichts geendet. Die Schakale hätten nicht viel von ihr übrig gelassen. Aber ihr Gehorsam auf das Engelswort brachte ihr sogar einen Platz in unserer Bibel, der Heiligen Schrift!
Wenn wir, liebe Gemeinde, im nächsten Jahr einmal nicht mehr ein noch aus wissen, dann hat Gott vielleicht auch einen Engel an unserem Wege stehen. Da brauchen wir Herzens-Augen, um ihn zu sehen und seinen Rat zu hören, der aus Gottes Herzen
kommt und – ihn zu befolgen. Diese besonderen Augen will uns die Losung öffnen.
Eine „Losung“ zu haben, das ist Spezialität der Kirche. Bei den Soldaten zum Beispiel heißt es „Parole“. An der Parole erkennen die Kämpfer, ob es sich um Freund oder Feind handelt, es sei denn, sie wären verraten worden!!! Aber das ist bei der biblischen Losung nie der Fall: Hier ist Gottes-Erfahrung mit im Spiel, diesmal Gotteserfahrung einer rechtlosen, bei Menschen ausgenutzten und in Ungnade gefallenen ausländischen Sklavin: Du bist ein Gott, der mich sieht! „Mich“ unter-strichen!
Übrigens blieb es bei Sarai ja nicht bei der Kinderlosigkeit! Gott hat später ihren Namen in Sara geändert, das heißt Mutter vieler Völker, und den von Abram in Abraham, Vater vieler Völker! Denn ER ist ein Gott, der seine Menschen sieht!
Dieser Satz behält seine Gültigkeit bis ans Ende der Zeiten. Er soll uns stärken, damit wir vor den Schwierigkeiten des kommenden Jahres nicht flüchten! Hagars Bekenntnis soll uns Mut machen am Beginn eines neuen Jahres, das mit vielen Sorgen weltweit belastet sein wird, aber das in Gottes Blickfeld liegt: Denn ER ist ein Gott, der uns nicht nur einen Engel, sondern Seinen eingeborenen Sohn gesandt hat! Um Christi Willen schaut er uns auch im nächsten Jahr mit Vateraugen, mit Augen der Liebe an.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzens-Augen und Sinne in Christus Jesus.
Amen
Gnade sei mit uns …
Liebe Festgemeinde,
Matthäus hat seinem Evangelium einen „Stammbaum Jesu“ vorangestellt - von Abraham angefangen über König David, die babylonische Gefangenschaft „bis zu Christus“. Dieser Stammbaum, 42 Generationen, soll der heutige Predigttext sein. Der wichtigste Name für uns in dieser langen Menschenkette ist: Jesus Christus!
Wenn man je Generation 33 Jahre berechnet, dann sind das etwa 1000 Jahre, die in der Bibel namentlich festgehalten sind. Was bedeutet dieser Stammbaum für uns?
Der Stamm Isai, auch Jesse genannt, sesshaft in Bethlehem, hat den großen König David hervorgebracht. Aber in den Königsbüchern der Bibel kann man lesen, dass immer nach einem guten Herrscher auch ein schlechter kam, einer, der Gott und die Gebote nicht achtete. Und das brachte dem ganzen Volk dann große Not!
So ist im wahrsten Sinne des Wortes am Stammbaum Isais ein Ast nach dem anderen „abgehauen worden“. Zuletzt stand nur noch ein schmählicher Rest, eigentlich nur als Brennholz zu
gebrauchen. Über Jahrhunderte schwankte das Schicksal des Gottesvolkes hin und her. Und den letzten Getreuen Gottes sank alle Hoffnung. Aber Gott wachte über dem Stumpf, er
riss ihn nicht aus.
Und eines Tages hörte man den Propheten Jesaja: Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen! (11,1) Als würde der rasante
Untergang des Gottesvolkes plötzlich gestoppt, so wirkte das auf die Menschen, die noch ein Ohr für Gottes Wort hatten. Und sie hatten gleich das Bild vor Augen: den Baum-Stumpf, aus dem ein Trieb ausschlug!
Wann soll das kommen? Das war die bange Frage. Es dauerte Jahrhunderte, bis das Röslein, von dem Jesaja sagt, dem alten Wurzelstock entsprang: Jesus.
Die Evangelisten haben unseren Herrn ja nicht schon als Kind kennengelernt. Seine Geburt hat sie auch weniger gefesselt als Jesu Reden und sein Handeln für geplagte Menschen! Er hat keine Predigten zu den Geboten gehalten, keine zu dem umfangreichen „Gesetz“ Israels, das den strengen Richter vermuten lässt. Jesus hielt zu Anfang seiner öffentlichen Lehrtätigkeit die Bergpredigt, die einen ganz anderen Gott zeigt! Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen! Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Bei solchen Worten atmeten die Menschen auf.
An Jesu Worten und Taten konnte man schon ablesen, wer er ist: Ein Retter und Heiland, ein Arzt, ein Tröster, ein Toten-Erwecker! Wunder waren die Ausrufezeichen hinter Jesu Worten, die Verstärkung. Woher hat er das?, haben einige gefragt. Keiner aus seinem irdischen Stammbaum hat ihm das vererbt.
Jesu Wirken begann nach seiner Taufe durch Johannes den Täufer. Er bereitete sich auf seine Aufgabe durch Beten und Fasten in der Einsamkeit vor, in der lebensfeindlichen Wüste.
Er wurde vom Teufel versucht, er solle sich doch von seinem „alten“ Stamm lösen und ihm anhängen. Jesus hat sich nicht verführen lassen – er gab dem Teufel auf die tollsten Angebote
nur ein „Nein“ zur Antwort.
Dass Jesus sich aus seiner irdischen Familie löste und zum eigenen Stamm-Baum wurde, das kommt in der Begegnung mit seiner Mutter und seinen Brüdern zum Ausdruck. Die Familie wollte ihn heimholen, weil er schon Feinde in Jerusalem hatte. Sie hatten Angst um ihn! Er war aber umringt von vielen Notleidenden und Kranken – es war kein Durchkommen für die Familie.
Da ließ Maria ihrem Sohn eine Botschaft übermitteln: Deine Mutter und deine Brüder sind da! Aber seine Antwort war: Wer ist meine Mutter, wer sind meine Brüder? Es sind die, die den Willen meines himmlischen Vaters tun. Er hat sich abgetrennt, der Jesus. Aus dem Sohn der Maria wurde mehr und mehr wieder der Gottessohn! Nicht mehr die biologische Abstammung galt, sondern die himmlische setzte sich durch, wurde vollendet!
Als der Gottessohn Mensch auf der Erde werden sollte und den Himmel verließ, musste er ja sein ganzes Himmelswissen, seine Gotteskraft dort lassen! Er wurde ein Menschenkind wie alle anderen. Aber langsam mit den Jahren „erkannte“ Jesus, dass Gott sein Vater war, der durch ihn wirkte! Seinen himmlischen Vater hat er um Wunderkraft gebeten und sie anderen verschenkt. Das hat den Teufel auf die Barrikaden gebracht: Dann muss der Jesus das büßen, was er den Sündern, meiner Beute, an Krankheiten und Sünden abnimmt und erlässt!!! So oder ähnlich hat der Verlierer Teufel gesagt.
Ja, Jesus hat sich für die Schuld der Welt verurteilen lassen und trug sie ans Kreuz zu einem schmählichen und grausamen Tod. Aber noch unter seinem Kreuz hat das ein Heide erkannt: Die-ser ist Gottes Sohn gewesen.
Liebe Gemeinde, wir wissen das besser als der Hauptmann unter dem Kreuz: Dieser ist Gottes Sohn! ER lebt! Und wer Gottes Wort annimmt und danach handelt, der ist von Jesus als Bruder oder Schwester „angenommen“, eingepfropft in den himmlischen Stamm!
Der Apostel Paulus hat lange über die Verheißung von Jesaja nachgedacht und sich gefragt: Wie können Menschen, die nicht dem Gottesvolk entstammen, doch dazu kommen? Und er hat dafür ein Bild benutzt: Die für Jesus gewonnenen Christen waren zu vergleichen mit „wilden Reisern“, die in einen edlen Stamm eingepflanzt werden! Dieser Stamm hält sie von nun an, ernährt sie, damit sie als Äste wachsen, blühen und Frucht bringen können. Das gilt auch uns!
Und das liebe Gemeinde, ist das größte Wunder, das Paulus da beschreibt! Der Garant, dass wir wirklich dem Stamm Gottes angehören, der heißt Jesus Christus. Gottes Sohn hat unzählige Menschen für den Vater dazu gewonnen und ist am Kreuzes-Stamm gestorben. Aber das war nicht das Ende. Gott gab dem gehorsamen Sohn neues Leben, unvergängliches. Und das verteilt der Mann am Kreuz, der Auferweckte immer weiter: Die Zweige seines Kreuzesstammes umfangen und halten unsere Erde, sonst wäre sie längst vergangen!!! Aber für uns ist der Kreuzesstamm zum Lebensbaum geworden, an dem blühen Rosen!
„Verwurzelt sein“ in Christus! Das ist der Halt, den wir in schwierigen Zeiten besonders brauchen. Und einmalig ist, dass der Stamm „Jesus“ uns hält, egal was auf uns zu kommt. Deshalb feiern wir Weihnachten, um uns immer wieder an unseren Stammbaum als Gottes Kinder zu erinnern, ausgehend von einem Kind in einer Krippe im armen Stall. Das ist ganz schwer zu begreifen; denn in unserer Welt, da leben die „Großen“ in Pracht und Glanz – und das erwartet so mancher Mensch in unserer Zeit auch von Gottes Sohn. Aber Gott erlöst die Welt von unten nach oben! Nicht umgekehrt!
Deswegen wurde die Christgeburt nicht im Tempel zu Jerusalem angekündigt oder vielleicht sogar in der damaligen Welt-Hauptstadt Rom hinausposaunt, sondern auf den mageren Hirtenfeldern bei Bethlehem aus Engelsmund kundgetan. Die Worte der Propheten erfüllten sich in Gottes Land – nicht umgeben von Macht und Glanz. Die Liebe ist das himmlische Stammes-Zeichen, das von Jesus ausging und ausgeht - für andere! Und das feiern wir heute voll Dankbarkeit und Freude.
Amen
Und der Friede Gottes …
EG 32, 1-4 Zu Bethlehem geboren
Christvesper 2022 in der Annakirche
Anspiel statt Krippenspiel ...
Liebe Christgemeinde,
seit Ausbruch der Corona-Pandemie geht es in der ganzen Welt drunter und drüber! Ähnlich hat sich der Befehl von Kaiser Augustus ausgewirkt, eine Vermögens-Aufnahme zur Steuerfestsetzung in Palästina durchzuführen. „Jetzt sind wir ganz in der Hand der Römer,“ wird mancher im Jüdischen Land geklagt haben, „wo ist unser Gott? Hat er Sein Volk verlassen?“ Aber Gott war längst am Werk - Sein himmlischer Bote kündigte es an …
Engel Gabriel (kommt „gemessenen Schrittes“)
Ich bin Gabriel, der Bote des Herrn! Am Anfang der Geschichte Gottes mit den Menschen hatte ich die traurige Aufgabe, Adam und Eva aus dem Paradies zu vertreiben und mit dem Flammenschwert die Pforte zu bewachen. Aber an der Wende der Zeit – bekam ich den wunderbaren Auftrag, der Maria aus Nazareth anzusagen, dass sie den Sohn Gottes zur Welt bringen wird. Sie ist nur ein bisschen erschrocken; denn sie wartete ja wie viele im Heiligen Lande auf einen Helfer aus Gott!
Aber ... wie sag ich's dem Josef??? Der hört mich nicht, sagte ich dem Allmächtigen, der hämmert wie ein Wilder auf Holz und Stein los, weil er vor dem weiten Weg zur Schätzung noch viel schaffen will! Sag es ihm im Traum (nach oben zeigen), war Seine Antwort.
Gerdi
So geschah es! Josef rieb sich morgens die Augen, aber nach einer Weile schlug er sich an die Stirn: Ja, Herr, ich habe dich verstanden! Ich soll der Hüter Deines Sohnes und seiner Mutter sein. Und dann krempelte er die Ärmel hoch und ging an die Arbeit!
Eines Tages aber machte Josef seine Werkstatt zu: Es war höchste Zeit, sich auf den weiten Weg nach Bethlehem zu machen. Es wurde eine Schinderei! Bei den Wallfahrten zum Passahfest nach Jerusalem, da sangen die Menschen die schönen Gotteslieder. Jetzt war allen der Hals wie zu-geschnürt, voller Angst vor dem, was der Kaiser von Rom noch alles vorhatte. Überall wimmelte es von Legionären, die rücksichtslos durch die Menschenmenge ritten. Es waren noch so viele Leute unterwegs; die Meldefrist lief ab. Maria aber konnte nicht schneller gehen; sie war hochschwanger! Josef zog oft die Stirn in Falten, wenn er darüber nachdachte, was sie wohl in Bethlehem erwartete. (Wirt kommt)
Herbergswirt (mit Besen)
Es war schlimm! Keiner weiß das besser als ich; ich bin
der Herbergswirt. Das Haus war voll belagert. Im Hof stand Zelt an Zelt! Ich rannte den ganzen Tag mit Besen und Schippe rum; denn viele Leute kamen ja mit Esels- oder Och-senkarren, und dann trampeln die Menschen durch den Mist. Und dauernd musste ich Streit schlichten, weil einige Leute mit lachendem Gesicht vom Zollhaus zurück kamen. Da sagte einer: Mann, du lachst noch? Hast du die Zöllner ordentlich bestochen, dass sie von dir weniger Land eingetragen haben als du hast? Und schon gabs blutige Nasen!
Herbergswirt
Warte, ich bin noch nicht fertig! Deshalb tat es mir so leid, dass ich die beiden ruhigen Leute aus Nazareth abweisen musste! Ich habe dem Josef nachgerufen: In den Felsen draußen hab ich eine Grotte – wo die Lattentür so schief hängt. Da hab ich Ochs und Esel reingestellt. Ihr passt noch rein. Dann habt ihr Heu und Stroh für ein Nachtlager! Und eine Futterkrippe gibt’s da auch als Kinderbett! Die Maria würde sicher bald ihr Kind kriegen, merkte ich. Da lachte der Josef und rief zurück: Ich bring deine Tür wieder in Ordnung.
Engel
An dem Wirt hatten wir Engel viel Mühe, um sein Herz zu erweichen und ihn so mitleidig zu machen. Aber er war wie so viele ein Werkzeug des Herrn! Er musste sie in den Stall schicken! So, jetzt bist du dran! (zeigt auf mich)
Gerdi
Danke. Es wurde Abend. In Bethlehem war es stiller geworden. Draußen auf den mageren Weiden machten die Hirten ihren Pferch dicht mit Dornenreisern. Einer hatte die Nachtwache; es durfte kein Schaf fehlen; ihr Schafsbesitzer war hart. Raubtiere, Diebe und schwere Unwetter gabs auch nachts. Das war kein Traum-Beruf! Harte Tatsachen waren das Hirten-Leben, sieben Tage die Woche! Sie konnten nie die Sabbatruhe einhalten (Gott zur Ehre und den Menschen zur Freude) – und die anderen Gebote auch nicht. Die meisten Leute machten einen Bogen um Hirten.
Engel
Ach ja, die Hirten: Ausgerechnet ihnen hatten wir Engel die herrlichste Botschaft aller Zeiten auszurichten. In der Nacht! Willst du es selber sagen?
Hirte
O, ja: In der Nacht konnte keiner von uns Hirten ein Auge zu kriegen; denn um Mitternacht rum wurde es plötzlich taghell! Was wird das denn? Die Angst kroch uns in die Knochen. Wir wurden fast blind von dem Himmelsfeuer, das aufloderte! Jetzt kommt der Jüngste Tag, das Weltge-richt, wir sind verloren, klagte einer von uns.
Aber es kam ganz anders! Auf einmal war ein wunderbarer Gesang auf dem weiten Feld, wie wir Hirten ihn noch nie gehört hatten. Und aus all dem Glanz kam eine Gestalt auf uns zu! Das muss der Engel des Herrn sein, hauchte der älteste von uns, jetzt müssen wir sterben!
Engel (Hände heben)
Seid ohne Furcht! Ich bringe euch eine Freudenbotschaft: Euch ist heute der Heiland geboren, Gott schenkt euch seinen eingeborenen Sohn als Retter!
Hirte
Wir haben ihn angestarrt, den ... den Engel! Und eh wir noch fragen konnten Wo?, da sagte der Himmlische: Ihr werdet das Kind in Davids Stadt in einer Krippe finden! Dann hob er seine Hände auf und sang: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede bei den Menschen seines Wohlge-fallens. Und eine große Schar Engel jubelte mit ihm! Wir Hirten flüsterten: Kann's denn wahr sein? Gottes Sohn liegt auf Heu und Stroh, auf Ochs- und Eselsfutter! Was für ein Gesang! Sollen wir das sein, an denen Gottes Herz hängt, Sein Wohlgefallen? Wir können ihm doch gar nicht gefallen, wir armseligen Sünder! Aber wir liefen los. In dieser Nacht haben Engel unsere Schafe gehütet, sage ich euch! Und sie hielten auch Wacht in einem Stall, wo Maria ihr erstes Kind geboren, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt hatte. Menschen-augen sahen die Engel nicht, aber Wunderbares erfüllte den armen Raum: Das Himmelskind hatte den unbeschreiblichen Frieden Gottes mitgebracht – wir Hirten waren von Gott umgeben, umarmt, geherzt!
Wirt
Und ich war auch dabei: Um Mitternacht mache ich immer noch einen Rundgang durch den Herbergshof. Da sah ich draußen vor meiner Grotte noch ein Lichtchen flackern. Da nahm ich Wasser und Tücher, alles was ich greifen konnte, falls dort das Kind der Maria zur Welt gekommen wäre. Doch da kamen Hirten angelaufen - sie haben mich fast über den Haufen gerannt! Sie wollten auch zu meinem Stall! Ich sagte: Wie könnt ihr nur die Schafe allein lassen? Wohin wollt ihr denn mitten in der Nacht? Da hast du laut gelacht!
Hirte (lachend)
Wir haben Engel gesehen, auf dem Felde, bei unserer Hürde! Einer sagte uns: Habt keine Angst, ich bringe euch eine Freudenbotschaft! Euch ist heute der Heiland geboren, Gott schenkt euch seinen eingeborenen Sohn als Retter! Fürchtet euch nicht!
Wirt
Ja, gibt’s das denn? Hat unser Gott uns doch nicht ver-lassen? Und wollt ihr etwa jetzt in der Nacht nach Jerusalem laufen, um das Gotteskind zu finden, im Tempel oder in einem reichen Haus?
Hirte
Nach Jerusalem? Ach, woher! Der Heiland aller Welt ist in Bethlehem geboren, er liegt in einer Krippe. So haben es die Engel gesagt und gesungen!
Wirt
Soll denn das Propheten-Wort wahr geworden sein? So dachte ich. Und ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie es der Prophet Jesaja vor Zeiten verkündete: Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ist auf seiner Schulter und er heißt Wunderrat, Kraft, Held, Ewigvater, Friedefürst … ?
Hirte
Jetzt aber hat Gott gesprochen durch seinen Engel. Und das müssen wir weitersagen, damit die Menschen aller Zeiten es hören und sich freuen und in den Lobgesang einstimmen:
zur Gemeinde hin:
Engel
Lobt Gott, ihr Christen alle gleich,
in seinem höchsten Thron,
der heut schließt auf sein Himmelreich
und schenkt euch seinen Sohn.
Wirt
Er kommt aus seines Vaters Schoß
und wird ein Kindlein klein,
er liegt dort elend, nackt und bloß
in einem Krippelein.
Hirte
Er wird ein Knecht und ich ein Herr;
das mag ein Wechsel sein!
Wie könnt es doch sein freundlicher,
das herze Jesulein!
Engel
Heut schließt er wieder auf die Tür
zum schönen Paradeis!
Der Cherub steht nicht mehr dafür.
Gott sei Lob, Ehr und Preis!
Liebe Christ-Gemeinde,
uns ist heute der Heiland geboren! Das Wunder der Menschwerdung Gottes ist geschehen. Und kein Kaiser, kein Tempelpriester, nicht der reichste Mann aus Bethlehem wurde Zeuge der Christgeburt, sondern die kleinsten Rädchen im damaligen Weltgetriebe: Hirten! Sicher auch der Herbergswirt – und Ochs und Esel. Gott fängt die Neue Schöpfung bei den Ärmsten an. Das müssen nicht die mit leerem Geldbeutel sein, sondern vor allem die mit sorgenvollen Herzen, mit schuldbeladener Seele, die Verlierer.
Gott ist herunter gekommen! Warum aber, liebe Christ-Gemeinde, hat Gott zuerst Hirten die gute Botschaft verkünden lassen? Gott setzt damit ein Zeichen: Der Himmelssohn soll ein Menschen-Hirte werden! Er wurde es. Er sucht die verlorenen Kinder Gottes wie ein guter Hirte seine Schafe. Jesus, der Menschen-Hirte, pfeift nicht dem Hund, um die Ausbrecher, die Verirrten notfalls mit einem Biss zurück zu holen! Er selbst geht ihnen nach und bringt sie heim zur Herde, die Erschöpften trägt er. Das tut ER auch heute.
Liebe Christgemeinde,
wenn wir die schöne Tradition mit Krippenspiel, Singkreis und Gemeindegesang in diesem Jahr unterbrechen mussten: Jesus, das Kind in der Krippe, hört es, wenn wir im Herzen in den Lobgesang der Engel einstimmen:
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden
bei den Menschen seines Wohlgefallens!
Amen
Lied 53, 1-3 Als die Welt verloren
Gottesdienst am 18.12.2022 4. Advent Bacharach 0
Predigttext Philipper 4, 4-7:
Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
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Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus.
Liebe Advents-Gemeinde,
was erwarten wir im Jahr 2022 im Advent? Welche Nachrichten
werden uns übermittelt? Schlimme. Auch der Apostel Paulus könnte da in unseren Klagegesang einstimmen: Er war ja wieder einmal wegen seines Christus-Glaubens in Haft! Wahrscheinlich sogar in Ephesus. Und das war berüchtigt, das dortige Gefängnis. Es war sicher vergleichbar mit dem in Guantanamo, wo die ver-mutlichen Attentäter des Anschlags auf das World Trade Center in New York festgehalten wurden. Unter unmenschlichen Bedin-gungen.
Aber Paulus hat eine Methode gefunden, die ihn über all den Dreck und die Bosheit der Wärter erhebt: Er singt ein Freudenlied! Und das soll anstecken: Es ist ja eine Aufforderung, dieses „Freuet euch“!
Es sind eigentlich nur vier Sätze. Freuet euch, das ist so etwas wie der Gruß, die Anrede an die Philipper. Philippi war eine Stadt, die für römische Veteranen, also verdiente Soldaten, gegründet worden war. Da ging es den Menschen sehr gut. Aber wenn man bei den Christen einmal ein Gespräch mit-hören könnte, kämen viele Klagen dabei heraus. Ihnen fehlt der Apostel, der Christen-Lehrer! Sie fühlen sich verlassen.
Es scheint aber ein reger Schriftverkehr eingesetzt zu haben. Man nimmt an, dass der Philipper-Brief, wie wir ihn aus unserem Neuen Testament kennen, aus mehreren kleinen Notizen bestand. Nicht immer hatte der eingekerkerte Paulus Feder und Schreib-papier und dann auch noch einen Brief-Boten zur Hand! Später wurden wohl alle diese einzelnen Lehrtexte zusammengefügt.
„Lasst eure Güte kund sein allen Menschen“, das heißt: Kapselt euch nicht ab, ihr Christen in Philippi, schreibt Paulus. Seid ein gutes Beispiel für das Miteinander unterschiedlichster Menschen, unterschiedlichsten Glaubens! Habt ein Auge für die anderen, egal was sie denken oder glauben. An eurem Verhalten soll man euren HERRN, Jesus Christus, ablesen können! Ihr seid sozusagen „Werbeträger“ für den Herrn.
Und warum solche Anstrengung? Ganz einfach: Weil der Herr nahe ist, schreibt der Gefangene. Aber, so würden wir unsere Einwände auflisten: Du bist in Gefangenschaft, du wirst schlecht behandelt, du leidest wahrscheinlich sehr unter der Haft, du bist getrennt von uns und … und ..
Paulus ist nicht allein! Er lebt in einem Advent der ganz
besonderen Art: Im Glauben an die ewige Nähe Jesu Christi!
Er wurde ja von dem Auferstandenen selber zum Christen gemacht!!! Und das war nicht nur ein äußerer Anstrich, der
ihm verpasst wurde, sondern der Glaube an Jesus Christus
ging ihm durch und durch! Das war so etwas wie ein Blut-Austausch, wenn jemand sonst an einer Vergiftung sterben würde. Ja, Saulus wurde von dem Lebendigen Christus überwunden. Saulus von Tarsus starb von seinem alten Wesen und bekam in seiner Taufe ein neues Leben als der Christ Paulus. Und so kann er auch im Gefängnis sagen: Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts! Sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden.
Der Schwerpunkt der Philipper soll nicht in der „Brotsorge“ bestehen, sondern im herzlichen Gebet! Und das soll kein Einerlei, sondern umfassend sein! Nehmt direkten Kontakt mit dem Herrn auf, so könnte Paulus auch schreiben. Es braucht keine große Gebetskunst! Gott ist auch der Gott eures Alltags. Selbst Banales, Unwichtiges könnt ihr ihm anvertrauen.
„Kund werden“, das ist ein ziemlich alter Ausdruck, aber „Kundgebung“ und Ähnliches, das kennen wir auch. Da wird etwas laut ausgesprochen - am liebsten vor großem Publikum, mit Mikrophon und allem Drumherum! Wer zu einer Kundge-bung kommt, der will was erfahren. Und Paulus fordert nun die Christen auf, Christus kund zu tun!!! Den Heiland der Men-schen, den, der selber hinter Kerkermauern war und da ist.
Und der letzte Satz ist ja der besondere Wunsch für die Gemeinden am Ende jeder Predigt geworden: Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus. Das ist eine Rettungsinsel im Toben der Elemente, im Streit der Welt, die Paulus nicht nur den Philippern zeigt. Eine Oase, zu der auch wir Zugang haben, wo der Friede Gottes herrscht. Nicht so ein bisschen Frieden, ein Waffenstillstandsabkommen! Nein, der Friede Gottes übersteigt wirklich alles, was wir verstehen: Er ist höher als alles Begreifen der Menschen.
Damit zeigt Paulus nicht nur den Philippern, in welch einer Geborgenheit Christen leben können – auch wenn die äußeren Umstände ganz anders aussehen. Der Friede Gottes, der ist uns durch den Opfertod Jesu Christi zuteil geworden! Das ist ja die Kernbotschaft von Paulus. Unser eigenes Verdienst ist es auf keinen Fall, was Gott uns schenkt! Es wurde uns vermittelt.
Von Gottes Sohn. Der hat sich nicht nur den Sündern zugewandt, der ist in ihre Lebenswelt herunter gekommen, hat Hunger und Durst, Kälte und Hitze, Freude und Leid ihres Lebens mitgetragen. Er ist sogar im Stall geboren worden. Ganz unten.
Aber da Christus nun „ganz oben“ ist, sollen wir Christen uns freuen! Wir leben im Advent, der Erwartungszeit! Wir fangen sozusagen sein Erdenleben noch einmal an mit dem Kind in der Krippe. Weihnachten ist ein „Neuanfang“ für jeden, der dieses Kind aufnimmt. Wir feiern schon im voraus sein „Wieder-Kommen“ am Ende der Zeiten!
Und vor einem, mit dem man immer im Herzen Kontakt hat, muss man sich nicht fürchten! Auf den kann man sich freuen! Er kommt ja nicht mit leeren Händen am Ende der Weltenzeit. Er bringt das Unvergängliche mit, das Sein bei Gott.
Unsere Herzen und Sinne fassen das noch nicht. Aber bei dem, der da kommt im Advent, ist alles NEU! Da hören Angst und Leid auf, Kriege werden nicht mehr geführt, Streit im Kleinen wird es nicht mehr geben. Alles wird NEU – vor allem auch die Menschen!!!
Um jetzt schon an diesem Zukunftsbild in Gott festzuhalten, brauchen wir Glaube und Hoffnung und Liebe, die drei Säulen des Christenlebens. Und hinter diesen drei Begriffen steht ja die „Freude“ in Christus.
Paulus war wahrscheinlich nicht ganz alleine, als er an die
Christen in Philippi schrieb. Er schreibt „Grüße von Brüdern, die bei mir sind“ und von „den Heiligen, besonders aus dem Haus des Kaisers“. Also hat der Apostel auch in der Gefangenschaft Beistand von Menschen! Heilige, nennt er sie, weil sie zu Christus gehören! Christus hält die Gemeinschaft beisammen, egal unter welch äußeren Umständen sie steht.
Das ist auch für uns ein sehr tröstlicher Gedanke; denn wir kommen uns ja in dieser Zeit hilflos vor. Da sollten wir einen Blick in die Kerkerzelle von Paulus tun! Der Heilige Geist ist nicht einzukerkern! Er öffnet andere „Türen“, die sonst kein Mensch aufkriegt, nicht mal sehen kann: Die Türen zu dem Heiland, der Mensch geboren ist und am Kreuz den Sieg errang!
Es ist immer „schwere Kost“, so eine Predigt über Paulus-Briefe anzuhören. Aber der Apostel Paulus will auch uns allen wie den Philippern seinen Segen mitgeben, der seinen Brief beendet: Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!
Amen
Predigt am 3. Sonntag im Advent 2022
Winzberg und Oberdiebach ü/ Matthäus 11, 2-10
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
wenn man allein ist und auch schon älter, wie ja einige unter uns –ich inclusive-hat man gerade im Winter doch Zeit über so Manches nachzudenken. Man kommt ins Grübeln, ob alles gut und richtig war und ist, was man bisher im Leben getan hat oder tut. Einiges wird dann doch eventuell in Frage gestellt. Aber was gewesen ist, kann man nicht mehr ändern.
So oder ähnlich ging es wohl auch Johannes dem Täufer, von dem wir heute im Evangelium gehört haben. Er sitzt im Gefängnis und hat Zeit, nachzudenken, über alles was geschehen war.
Was hatten seine Eltern seinerzeit Gott lange darum gebeten, ihnen doch noch ein Kind zu schenken. Und ihr Wunsch wurde erfüllt. Aber jetzt saß Johannes im Gefängnis. Er hatte seinen Auftrag ernst genommen, wurde Prophet, wie es seinerzeit den Eltern prophezeit wurde, ging in die Wüste und predigte vom nahenden Reich Gottes. Er sah sich als Wegbereiter für den kommenden Messias.
Alle Verfehlungen und Sünden hielt er seinen Zuhörern vor. Sie sollten Buße tun und ihr Leben zum Positiven verändern. Es gab Menschen, die dieser Aufforderung Folge leisteten aber auch Zuhörer, die böse und ärgerlich wurden. Wer wird schon gerne auf seine Fehler angesprochen? Trotzdem gingen sehr viele Menschen in die Wüste um Johannes zu hören.
Viele fragten sich aber, was bildet sich dieser Johannes ein? Wer ist er denn? Sozusagen in Lumpen gekleidet lebt er in der Wüste und will uns sagen, was gut und richtig ist. Aber viele Menschen ließen sich zur Vergebung der Sünden von ihm taufen. Selbst Jesus hat sich auch von Johannes taufen lassen.
Als Jesus vor Johannes stand, wusste er sofort, wer es war. Durch seine prophetischen Studien und dadurch, dass eine Taube erschien, als er Jesus taufte, wusste er, das ist der Messias. Er hörte wie Jesus die Stimme Gottes, als er ihn taufte.
Johannes schreckte auch nicht vor den reichsten und mächtigsten Leuten zurück. Allen hielt er ihre Sünden vor und predigte eine radikale Umkehr, also eine Lebenswende. Solange, bis es den Machthabern zu viel wurde und sie ihn kurzerhand ins Gefängnis warfen.
So kam er dann ins Grübeln. Habe ich über das Ziel hinaus geschossen? War ich zu radikal? Hätte ich mich doch mehr anpassen müssen? Oder war das gar nicht Jesus, bei dessen Taufe ich vermeintlich Gottes Stimme hörte und eine Taube sah? Habe ich mir das nur eingebildet?
Es hieß doch Jesus bringt Frieden, er befreit die Menschen von ihren Lasten. Er aber war im Gefängnis. Er war der Verzweiflung nahe.
Liebe Gemeinde, wo sich Einsamkeit, Bitterkeit und Trübsal zusammentun, da findet der Zweifel einen sehr guten Nährboden. Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht total runter gezogen werden. Dann kann es vorkommen, dass wir bald an allem, auch dem Positiven, zweifeln.
Aber wir müssen nicht verzweifeln. Denn wo der Teufel stark ist, da ist Jesus noch viel mächtiger und stärker. Er lässt uns nicht im Stich, wenn wir ihn ernstlich darum bitten. Aber die Hilfe sieht nicht immer so aus, wie wir Menschen sie uns wünschen.
Auch die Freunde des Johannes, seine Jünger, haben ihren Meister nicht im Stich gelassen. Sie haben ihn im Gefängnis besucht und ihm versucht Mut zu machen. Und Johannes sagt ihnen von seinen Anfechtungen und Problemen. Dass er manchmal davon ausgeht, dass Jesus doch noch nicht erschienen ist, obwohl er es den Menschen so verkündigt hat.
Das was Johannes im Gefängnis von Jesus hörte, war anders, als was die Propheten von ihm prophezeiten. Er stellte sich Jesus als den strengen Richter vor, der die Menschen maßregelte. Einer, der für Zucht und Ordnung sorgen wollte. Jetzt hörte er aber, Jesus predige das Evangelium, die barmherzige Liebe Gottes zu uns, seinen Menschenkindern. Und dass die Menschen einander helfen und sich unterstützen sollen. Johannes war am Ende seiner vermeintlichen Weisheit.
Er sagt zu seinen engsten Anhängern, geht zu Jesus und fragt ihn einfach, ob er es ist, von dem ich geredet habe oder ob wir auf Jemand anderes warten müssen. Ich will endlich Klarheit haben und will nun wissen, wo ich dran bin.
Und nach dem Besuch im Gefängnis machen sich seine Jünger auf den Weg zu Jesus. Sie wollen Johannes und natürlich sich selbst ja auch, so gut es geht, Klarheit verschaffen. Und sie fragen Jesus: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?
Jesus hätte ja einfach sagen können: Ja, ich bin es. Aber so einfach macht er es uns Menschen nicht. Er sagt den Jüngern des Johannes und somit auch uns heute allen: Was seht und was hört ihr? Die Blinden sehen und die Lahmen gehen. Die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
Jesus gibt den Angefochtenen wieder neuen Mut und neue Zuversicht. Sie wissen, trotz der vorherigen Zweifel, wir sind mit Jesus immer auf dem richtigen Weg. Jesus hätte die Macht gehabt, Johannes aus dem Gefängnis zu befreien. Aber der Täufer hat die ihm von Gott gegebene Aufgabe erfüllt. Er hat den kommenden Messias Jesus Christus den Menschen bezeugt. Kurze Zeit nach unserem Predigttext wird Johannes enthauptet. Vielleicht soll das schon darauf hinweisen, dass auch Jesus, dessen Wegbereiter er war, auch sterben musste.
Liebe Gemeinde, wir sind mitten in der Adventzeit. Und beim dritten Adventsonntag steht immer die Person Johannes des Täufers im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Er und seine Anhänger haben den Weg für Jesu Kommen in unsere Welt vorbereitet.
Denn es ist nie alles perfekt. In der derzeitigen Weltsituation mit Kriegen, Naturkatastrophen, hohen Inflationsraten, Energieknappheit und viel menschlichem Leid zweifeln wir wie Johannes der Täufer auch manchmal daran, wie das alles noch einmal gut werden soll. Ob wir dem richtigen Herrn vertrauen? Oder ob wir uns nach jemand anderes umschauen müssen.
Ja, und vielleicht zweifeln wir auch daran, ob Jesus wirklich der ist, dem wir im Leben und im Sterben 100% vertrauen können. Wenn wir ehrlich sind, haben wir doch in unserem Glaubensleben auch schon viel Positives erlebt. Wir haben doch schon so manches Mal Hilfe und Zuspruch erhalten, wo wir es nicht vermutet haben.
Darum gilt uns allen: Lassen wir uns von unserem Grübeln und auch manchen negativen Erfahrungen nicht runterziehen. Wie ich eingangs sagte, Jesus ist stärker als all unsere Not.
Wie wäre es, liebe Gemeinde, wenn wir alle, egal wie jung oder alt, auch einmal in der Adventszeit versuchen würden, Jesus sozusagen den Weg zu bereiten. Will heißen, wo Jesus heutzutage geleugnet wird zu sagen, er ist aber der Messias.
Zu sagen, er hat mir bisher im Leben geholfen. Auch da, wo ich es so nicht erwartet hätte. Einfach mal unsere positiven Glaubenserlebnisse erzählen. Nicht immer nur, was leider nicht zu meinen vermeintlichen Gunsten geschehen ist.
Heute ist es in, alles was mit Glaube und Kirche zu tun hat, negativ darzustellen. Und aus falscher Scham halten wir Christen uns dann auch noch zurück. Wir wollen ja nicht zu den ewig Gestrigen gehören. Aber das ist nicht unser Weg.
Denn Jesus hat im Evangelium gesagt: Wer mich bekennt vor den Menschen, den will auch ich vor meinem himmlischen Vater bekennen. Und wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich auch vor meinem himmlischen Vater verleugnen.
Klare Worte, die auch im Advent 2022 noch gültig sind. Wenn wir Jesu Worte vertrauen und sie leben, dürfen wir uns auch wie die Jünger des Johannes und wie er selbst, zu Wegbereitern Jesu zählen.
Denn wir alle sind immer wieder aufgefordert unseren Glauben in Wort und Tat zu bezeugen. Ich weiß, das ist nicht immer einfach und nicht immer gefragt. Je mehr wir uns aber mit Jesus Christus, dessen Geburt wir in Kürze feiern, beschäftigen, desto weniger haben Glaubenskrisen und Zweifel bei uns Nahrung.
Ich weiß, wir Menschen vergessen das positiv erlebte oft viel schneller als die negativen Erfahrungen. Versuchen wir doch einfach mal, uns an all das Schöne und Gute, dass Gott uns in unserem Leben schon geschenkt hat, zu erinnern. Dann sehen wir auch die eventuelle schwierige Gegenwart in einem anderen Licht.
Wir wissen, all das was wir an Negativem sehen, hören und erleben, das ist noch nicht alles. Wenn Jesus Christus wiederkommen wird, werden wir staunen, was seine Macht alles positiv verändern kann.
Bis dahin aber, liebe Gemeinde, lasst uns treu auf dem Weg seiner Nachfolge bleiben, auch wenn die Wegstrecke nicht immer einfach ist. Lasst uns nicht grübeln und zweifeln. Wissen wir doch, mit wem wir unterwegs sind. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Kurzpredigt Ewigkeitssonntag 2022
Jesus Christus, der gute Hirte. Ein uns allen vertrautes Wort und Bild.
Im Johannes – Evangelium im 10. Kapitel, in den Versen 27-30 hören wir davon:
Jesus sagt: Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie, und sie folgen mir. Und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen. Und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.
Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn alles, und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.
Kurzpredigt ü/ Johannes 10, 27-30
Liebe Gemeinde,
dass unser menschliches Leben endlich ist, wissen wir alle. Nur, wir gehen nicht alle gleich damit um. Viele verdrängen diesen Gedanken, besonders wenn man noch jünger ist. Es gibt aber auch ältere und alte Menschen, für die der Tod, das Abschiednehmen von den Lieben, absolut kein Thema ist. Dabei ist oft auch Vieles zu regeln, damit die Hinterbliebenen es später leichter haben, mit dem Verlust fertig zu werden.
Eines ist natürlich auch klar, wir können nicht jeden Tag den Tod in den Mittelpunkt unseres Lebens stellen. Das würde uns total runterziehen. Das möchte auch Gott nicht. Aber ab und zu darüber nachdenken, Angelegenheiten regeln und ordnen, das ist wichtig und richtig.
Wir planen ja auch oft schon im alten Jahr, wo wir im nächsten Jahr hin in Urlaub fahren. Es wird alles bis auf das kleinste Detail durchkalkuliert. Nichts wird dem Zufall überlassen.
Unsere letzte Reise aber, die überlassen wir mehr oder weniger dem Zufall. Weil viele Menschen nicht wissen, oder nicht glauben können, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Aber das kann man ja ändern. Man kann sich ja schlau machen, denn es gibt Gottesdienste, es gibt Bibeln, es gibt Menschen, die einem helfen können auf diesem wirklich nicht einfachen Gebiet.
Liebe Gemeinde,
auch als Christen zweifeln wir manchmal an Gott. Warum lässt er so viel Leid und Tod zu? Im vergangenen Kirchenjahr haben wir 46 Menschen beerdigt. Nicht alle waren alt und lebenssatt. Gott hilft nicht am Leiden vorbei, er hilft uns aber hindurch. Was wäre das für ein Gott, wenn er uns Menschen fragen müsste, was er zu tun und zu lassen hätte.
Er hat seinen Sohn, Jesus Christus für uns in die Welt gesandt, hat ihn für unsere Schuld und unsere Versäumnisse leiden und sterben lassen und ihn vom Tode auferweckt. Wenn wir uns an Christus festhalten, dann werden auch wir zu einem neuen Leben in seiner Gegenwart auferweckt.
Ja, Gott lässt oft vieles zu. Manchmal sehen wir erst im Nachhinein, dass es uns zum Segen diente. Und manchmal werden unsere Fragen in diesem Leben nicht wirklich beantwortet.
Leid und Tod gehören leider in unsere Welt. Aber das wird nicht ewig so bleiben. Gott schafft einen neuen Himmel und eine neue Erde. Jesus kommt wieder und bringt endgültig Gottes Reich. Dann gibt es keinen Krieg mehr, keinen Tod und keine Tränen.
Wir fragen uns, wie wird das sein? Wie soll das gehen? Ist das nicht eine billige Vertröstung. Nein, das ist es nicht. Wenn Jesus schon jetzt in unserem Leben der gute Hirte ist, mit dem wir unterwegs sind, dann dürfen wir Gottes Wort vertrauen. Es möchte uns Mut machen, nicht bei allem Negativen schon das Ende zu sehen. Sozusagen alles ausweglos. Nein!
Wir haben doch eben im Evangelium gehört: Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir und ich gebe ihnen das ewige Leben. Und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Hören Sie, niemand, auch der Tod nicht.
Stellen sie sich vor, sie müssen zum Beispiel an das andere Ende der Erde reisen um dort einen Auftrag zu erfüllen. Sie kennen das Land nicht, die Sprache nicht, die Arbeitsbedingungen nicht. Da kann dann doch etwas Angst aufkommen. Nämlich, schaffe ich das? Geht das überhaupt gut?
Aber, Sie haben dort ihren besten Freund. Der verspricht sie am Flughafen abzuholen und bei sich aufzunehmen. So kommt Vertrauen in die neue Situation.
So, liebe Gemeinde, stelle ich mir vor, wird uns Jesus an der Schwelle des Todes abholen. Wir müssen nicht allein in ein für uns noch unbekanntes Land. Ich muss auch heute nicht wissen, wie das alles sein wird. Wenn Jesus uns an die Hand nimmt, brauchen wir ihm nur zu folgen. Wir kennen doch die Stimme des Guten Hirten. Und wenn wir dieser Stimme heute schon vertrauen, sind wir immer auf der richtigen Seite.
Dann können wir mit dem Liederdichter Philipp Spitta bekennen:
Und meines Glaubens Unterpfand ist, was er selbst verheißen. Dass nichts mich seiner starken Hand soll je und je entreißen. Was er verspricht, das bricht er nicht. Er bleibet meine Zuversicht, ich will ihn ewig preisen. Amen.
Gottesdienst am 13.11.2022, dem vorletzten Sonntag des Kirchenjahres in Oberdiebach
Predigttext: Lukas 18, 1-8, Von der bittenden Witwe
Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?
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Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus!
Liebe Gemeinde,
Jesus ist auf dem Wege nach Jerusalem. Je näher sein Leiden rückt, umso eindringlicher und eindrücklicher wird jedes seiner Worte. Und in diesem Gleichnis hat er das ganze Evangelium an einem Bild des Jammers, einer rechtlosen Frau, dargestellt! Das ist wirklich FROHBOTSCHAFT, weil die Schlussfolgerung aus Jesu Gleichnis nicht heißt: Typischer Fall von Mensch! Sondern sie lautet: Wenn schon ein unmöglicher Richter die Witwe endlich anhört und sie zu ihrem Recht kom-men lässt, um wie viel eher wird Gott die erhören, die unablässig zu IHM rufen!
Jesus hat immer auf ganz eigene Weise die Phantasie seiner Zuhörenden durch Bilder angeregt. Bei Mose heißt es: Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen; dem widerspricht Jesus ja auch nicht. Es geht ihm nicht darum, dass Menschenaugen einen Begriff von Gott bekommen, sondern dass in den Herzen ein inneres "Gottesbild" entsteht, damit sie das Wesen Gottes erkennen und darauf bauen.
Was mag Jesus zu diesem Gleichnis veranlasst haben? Er hatte vom Kommen des Gottesreiches gesprochen. Und das klang in den Ohren seiner Hörer ja auch nach "Endgericht", nach Urteil und Verurteilung. Man wird ihm bange Fragen gestellt haben. Aber Jesus sah seine Lebensaufgabe doch darin, dem Gottesvolk den wahren Weltenrichter aufzuzeigen, der nicht unberührt von den Freuden und Leiden seiner Menschen unerreichbar im Himmelreich thront, sondern der immer schon da war und es immer ist - - und zwar in GEBETS-Rufweite!
Gott hat sich in seinem Sohn Jesus mit den Menschen persönlich bekanntgemacht. Und deshalb ermuntert Jesus immer und überall dazu, dass jeder Mensch sich seinerseits "mit Gott bekannt-macht", ihn selber im Gebet anspricht und ihn so an allen Dingen seines Lebens beteiligt. Gott will nicht nur der Feiertags-Gott sein, sondern auch der Herr und Helfer im Alltag seiner Menschen.
Jesus hat einmal gesagt: Niemand kennt den Vater denn der Sohn und wem es der Sohn kundgetan hat. Hier, in dem Gleichnis von der bittenden Witwe, tut Jesus den Vater kund, indem er das gerade Gegenteil zu ihm erfindet. Er verfremdet und überspitzt alles, was er bisher über den barmherzigen Gott sagte, für die, die es immer noch nicht begriffen haben oder nicht hören wollen.
Er stellt ihnen in seinem Gleichnis einen absoluten Menschenverächter vor Augen, den es anödet, dass diese Frau ihm tagtäglich in den Ohren liegt. Die Stimme der Armen geht ihm am Ohr vorbei - der Klang von Bestechungsgeld dagegen, der ist Musik für seine Ohren. Er beugt das Recht für Geld. Aber er hat sich schwer verrechnet: Diese Bittstellerin, die erscheint Tag für Tag. Es ist ihr Lebenszweck Nummer I, das Bitten!!!
Und dann - so fabuliert Jesus - wägt dieser steinharte "Richter" (in Anführungszeichen) die Fakten gegeneinander ab: Die Bittstellerin geht mir auf die Nerven. Gehe ich das Risiko ein, sie weiter zu überhören, dann könnte sie noch handgreiflich werden - welche Blamage. Besser, ich schaffe sie mir vom Hals, indem ich zu ihren Gunsten urteile. Aus einem fadenscheinigen Grund gibt der Rechtsverdreher der bittenden Witwe recht.
Dass das eine Parabel ist, das geht doch schon daraus hervor, dass der Richter plötzlich Angst vor tätlichen Angriffen einer Frau hat. So ein Machtmensch wäre doch bestimmt von Leibwächtern ge-schützt worden. Aber Jesus hat ihn als Kontrastbild so gebraucht.
Denn der Sinn seines Gleichnisses ist doch: Genau entgegengesetzt müssen wir denken, wenn wir ein Gottesbild haben wollen. Gott enthält uns unser Recht nicht vor - so wie der Gesinnungslump in Jesu Geschichte das tat. Gott schafft uns nicht deshalb recht, weil er fürchten müsste, dass wir ausrasten.
Gott will etwas ganz anderes, wenn er das Beten fordert: Wir sollen unseren irdischen Kreis, unsere eigene Hilflosigkeit mit Hilfe des Gebetes durchbrechen! Das Gebet sprengt den Rahmen, der uns gesetzt ist. Das kleinste Gebet ist immer eine Nummer größer und stärker als alles, was wir sehen und begreifen können. Das Gebet ist die Direktverbindung, die jede Distanz zu Gott hin überwindet.
Welches Gottesbild haben wir?, liebe Gemeinde. Hat es sich durch die Kriege und Terror-Anschläge dieses Jahres verändert? Sind wir irre geworden und stimmen auch in die Klagen ein: Wie kann Gott das zulassen?
Unser Gott, der Schöpfer aller Dinge, hat uns allen einen freien Willen zugestanden. Das wäre zu bejubeln, wenn wir uns bei aller äußeren Verschiedenheit aber alle nach Seinem Gesetz als dem gemeinsamen Maßstab richteten! Denn dann könnte niemand seinem Nächsten einen Schaden zufügen.
Jesus hat nicht umsonst von einem ungerechten, macht-besessenen Richter gesprochen! Überall gibt es diese Zerrbilder von Menschen, die anderen das Leben schwer machen oder sogar zerstören - bis tief in die kommenden Generationen hinein. Missbrauchen wir das Recht Gottes, dann kommt Tod und Verderben im Kleinen wie im Großen dabei heraus. Das haben wir Älteren ja alles erlebt durch den 2. Weltkrieg anlässlich dessen heute der Volkstrauertag ist.
Als Jesus seine Geschichte erzählte, hatten die Römer durch militärische Überlegenheit Land um Land der damals bekannten Welt unterworfen, auch Israel. Zöllner arbeiteten den Machthabern in die Hände, und es gab auch ganz bestimmt solche Richter, die die Not und Hilflosigkeit ihrer Landsleute ausnutzten, um sich persönlich zu bereichern.
Unser Gott will das anders. Er will, dass besonders die öffentlich Verantwortlichen den Maßstab nie aus den Augen lassen, nach dem sie handeln. Die Gesetzgebung aller Demokratien dieser Welt ist letztlich aus den 10 Geboten her-vorgegangen! Aber wir können uns nicht verschanzen hinter den Großen der Welt oder den Regierenden; manchmal sind ja auch wir als Einzelne dazu aufgerufen, zu entscheiden, über irgendetwas zu richten. Nur wenn Gott und sein Gesetz meine Richtschnur, mein Gewissen ist, dann arbeite ich dem Himmelreich in die Hände. Nur wenn die Rechtlosen, die mundtot gemachten Menschen endlich einmal angehört werden, dann ist wieder ein Stücklein Paradies auf Erden entstanden!
Aber was können w i r denn überhaupt konkret tun? Wir sind weder politisch an einer Schaltstelle, noch haben wir Geld genug, um uns Einfluss zu erkaufen, damit sich die Welt zum Besseren hin ändert. Ich glaube, da denken wir viel zu kurz! Ich habe schon einmal zitiert, was der Journalist und Christ Peter Hahne im Neukirchner Kalender vom 23. September 2001 schrieb:
Christen sind in diese Welt gestellt als Beter, Boten und Brückenköpfe. Fürbitte ist die Krone christlicher Weltverantwortung. Wer von politischem Engagement der Christen in der Welt spricht, der kommt am Gebet nicht vorbei. Und wer da aufschreit und meint: "Typisch Christen - Händchen falten und nichts tun", der hat keine Ahnung von der Macht des Gebets, der weiß nichts von dem, was gefaltete Hände schon alles bewegt haben. Beten heißt Teilnahme an der Weltregierung. Vom ehemaligen amerikanischen Präsiden-ten Ronald Reagan ist das Wort überliefert: "Die Welt wird letztlich nicht in Washington oder Moskau bewegt, sondern da, wo schwache Menschen die Hände falten und auf die Kraft Gottes warten." - Soweit Peter Hahne.
Liebe Gemeinde, wenn die rechtlose Witwe durch ihr unablässiges Bitten schon von einem gewis-senlosen Menschen ihr Recht ertrotzte, so geht es einem Beter ja himmelhoch besser: Jedes Gebet sagt doch unserem himmlischen Vater: Ich glaube, dass du da bist. Ich glaube, dass du mich siehst und hörst. Du machst mich nicht zur Marionette, die von unsichtbarer Hand an Strippen gezogen und zum Funktionieren gezwungen wird. Nein, du gibst mir Freiheit zum eigenen Handeln. Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Aber du bist auch da und stärkst mich, freust dich mit mir und tröstest mich, wenn ich es brauche. Mein Gebet geht nie ins Leere; denn DU bist DA.
Ja, liebe Gemeinde, bei Gott rennen wir offene Türen ein, wenn wir beten. Das muss kein sprach-lich ausgefeiltes Gebet sein: Gott hört auch auf das knappste Stoßgebet, das für Menschenohren unverständlichste Stammeln; er versteht auch das betroffene Schweigen, das tonlose Gebet. Und so können wir uns an der bittenden Witwe nur ein Beispiel nehmen: Beten, beten und nochmals beten als vornehmste Aufgabe unseres Lebens, als Antwort darauf, dass Jesus uns den Vater gezeigt hat. Sein Reich ist mitten unter uns!
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in
Christus Jesus, unserm Herrn. Amen
Gottesdienst zum Reformationstag am 30. und 31.10. 2022 in .Oberdiebach und Bacharach
Predigttext Römer 3, 21-28
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind alle samt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Liebe Gemeinde,
es gibt zahllose Bücher und einige Filme über den Reformator Dr. Martin Luther. Seine Lebensumstände, seine Suche nach dem „gnädigen Gott“ hat nun schon 500 Jahre nicht nur die Evangelischen Kirchen beschäftigt. Wahrscheinlich war es viel schwieriger, als wir uns das vorstellen können: Ein Augustiner- Mönch stellt eine ganze machtvolle Kirche in Frage! Und die Argumente dazu findet er in der Bibel!
Es war nicht selbstverständlich, dass jeder und jede eine Bibel zur Verfügung hatte, auch in Luthers Augustiner-Kloster nicht! Die Bibel stand ja für Katholiken auf dem Index, der Liste Verbotener Bücher – ausgenommen für Hochgebildete, und das sogar noch im 20. Jahrhundert! Ich kann mir den suchenden Augustiner-Mönch Martinus gut vorstellen, wie er in seiner Zelle mit dem Kopf gegen die Wände gerannt ist, weil er sich als verlorener Sünder fühlte, einer, der niemals im Leben Gott gerecht werden konnte. Er hat auch seinen Beichtvater und Ordens-Oberen Johannes von Staupitz regelmäßig zur Verzweiflung gebracht, weil der ihm in der Beichte ja nur die üblichen Bußübungen, also Fasten, Selbstkasteiung, endlose Gebete an Heilige, die falsche Adresse, auferlegen konnte. Aber Staupitz hat es ermöglicht, dass Luther eine Bibel (in Griechisch) in die Hand bekam, wo er sich auf die Suche machen konnte nach dem gnädigen Gott.
Die Bibel ist ja von Anfang an ein Buch der schwachen Menschen und des vermeintlich gestrengen Gottes. Aber der zweite Teil, den wir Neues Testament nennen, der brachte es endgültig an den Tag: Wir haben einen gnädigen Gott, noch viel mehr: Wir haben einen Vater um Jesu Christi willen!
Gott hat von Anfang der Menschheit an Zeichen der Verschonung gesetzt: Adam und Eva wurden aus dem Paradies vertrieben, aber sie bekamen neuen Lebensraum. Dornen und Disteln trug ihr Acker, aber auch Früchte, die das Weiterleben garantierten. Die Freiheit, die sie haben wollten, wurde zur Last. Gott war nicht mehr von Angesicht zu Angesicht für sie da. Ihre Sünde hatte sie voneinander getrennt.
Und so ist das für alle Adams-Kinder geblieben, bis in Bethlehem ein Kind geboren wurde, das Gottes Herzen entsprungen ist. Da war Gott, seine Liebe, seine Barmherzigkeit Mensch geworden. Diese Tatsache haben theologisch ganz unbedarfte Leute sehen, anfassen und weitersagen dürfen: Bethlehems Hirten! Erste Botschafter Gottes! Vielleicht waren sie für den Sucher Martin Luther auch ein Licht auf seinem Wege zum Gnädigen Gott.
Im Laufe von 1500 Jahren waren in der auf Jesus Christus gegründeten Kirche die Seelen-Hirten zu Herrschern geworden; ihre Kirche war ein blühendes Geschäft für sie, aber zur Zwangsjacke für viele Christen geworden! Aber es gab ja die Bibel! Der Sucher Martinus Luther, Doktor der Theologie, nutzte sie für sich und zum Heil für viele, viele andere Menschen.
Zu ganz besonderen Anlässen tritt in manchen Ländern eine Amnestie für Inhaftierte in Kraft: Die Zeit ihrer Strafe wird verkürzt. Das war dem Sucher Luther sicher bekannt und er stellte sich die Frage: Wer entscheidet über eine Amnestie vor Gott für mich Sünder, wer leistet Sühne für mich??? Wer stimmt Gott gnädig? Wenn Martin Luther nicht immer barfuß gelaufen ist, dann hat er wegen dieser Frage in seiner Zelle den Boden und die Schuhsohlen abgewetzt. Es trieb ihn um!!! Aber er hatte eine Bibel. Vielleicht war es mitten in der Nacht, als Luther im Paulus-Brief an die Christen von Rom die erlösenden Worte fand: Wir werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Und weiter heißt es: So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Rö3: Das ist das Grundgesetz der Evangelischen geworden! Die Sonne ging auf in einem finsteren Herzen! Jetzt war der Sucher Luther auf der richtigen Spur! Aus dem ruhelosen Mönch wurde ein auf der Schrift feststehender Kämpfer für das Evangelium! Und die wunderbare Entdeckung: Wir haben einen gnädigen Gott durch Jesus Christus, die hat Luther weiter gepredigt, geschrieben und gesungen! Wes das Herz voll ist, des läuft der Mund über!
Aber auch andere Stimmen, im Namen des Papstes, hörte man: Sein Ablass-Verkäufer Tetzel, das Rote Tuch für Luther, verkaufte Sündenerlass zu festgesetzten Preisen!!! „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“, so wird Tetzels Schlachtruf überliefert. Manche fielen auf den Ablass-Händler herein, andere hielten sich zu Luther. Es waren schwere Zeiten für das Evangelium und seine Getreuen. Leute mit dickem Geldbeutel verschafften sich damit vermeintlich Sündenvergebung, ohne dass es ihnen weh tat. Aber die Armen wurden nur betrogen. Für Geld springt die Seele nicht in den Himmel! Luther hat die damalige Kirche angeprangert, öffentlich seine Thesen ans Schwarze Brett der Universität, das war die Tür zur Schlosskirche, genagelt. Er wollte disputieren, das Thema wissenschaftlich klären! Aber das versagte man ihm. Doch von dem Hammerschlag an war die Reform der „alten“ Kirche nicht mehr aufzuhalten. In der Folgezeit befreiten sich langsam viele, von dem damaligen Klerus niedergehaltene Menschen, sie protestierten! Und die Reaktion der Kirchenoberen nach langem Streit war: Ladung des Unruhestifters Luther vor den Wormser Reichstag. Aber die Altgläubigen, an der Spitze die Vertreter Roms und Kaiser Karl V. persönlich, der nicht einmal der deutschen Sprache mächtig war, bewegten sich nicht. Es bestand Lebensgefahr für den Entdecker des gnädigen Gottes. Doch Gott hat viele Handlanger auf Erden.
Luthers Landesvater, der Kurfürst von Sachsen war einer. Er hielt einen Rettungsschirm über den Mönch und brachte ihn auf abenteuerliche Weise vor den kaiserlichen Häschern in Sicherheit. Denn auf das zugesagte „Freie Geleit“ für Luther vom Wormser Reichstag zurück nach Sachsen wollte sich sein Kurfürst nicht verlassen. Friedrich der Weise ließ den mutigen Kämpfer des gnädigen Gottes entführen ...
Luther schrieb für den gnädigen Gott viele Gänsefedern ab. Er übersetzte in seinem Asyl „Wartburg“ zuerst das Neue Testament in die Hofsprache Sachsens. Die konnten viele Menschen im deutschen Sprachraum lesen. Es gab noch kein einheitliches Deutsch, wie wir es kennen. Und da inzwischen der Buchdruck erfunden war, liefen für die Bibel die Druckerpressen heiß! Das
war zugleich ein Alphabetisierungs-Schub; unzählige Menschen lernten anhand der Bibel das Lesen! Jeder Leser durfte sich seine eigene Meinung bilden; er wurde nicht mehr indoktriniert. Viele kamen sich vor, als würden sie unserem Herrn Jesus selber zu Füßen sitzen, weil ihnen der Gottesdienst, die Predigt in ihrer Sprache gehalten wurde. Das Heilige Abendmahl wurde ihnen in Brot und Wein gereicht! Gott war greifbar in Wort und Sakrament. Sie waren jetzt im „Schlaraffen-Land“ der Bibel, sie konnten sich an Gottes Wort erlaben!
Was unser Herr Jesus alles tut, um bis in die Wohnstuben der Menschen wer weiß wo zu kommen! Seit 500 Jahren kommt Gott uns aus seinem Wort direkt entgegen; vom Anfang der Menschheit an kann man Gottes Spuren in der Bibel verfolgen. Durch die Übersetzung, zuerst des Neuen Testamentes, teilte Luther sein Wissen, seinen Glauben vielen Menschen mit! Der 100 Jahre später ausgelöste 30jährige Krieg war kein Religionskrieg, sondern einer um absolute Macht von Kaiser und Papst. Aber die sogenannten Protestanten, die sich nur auf die Bibel festnageln ließen, haben überlebt. Und so haben wir mit Gottes Wort einen unbeschreiblichen Schatz! Die Bibel erzählt von Glauben und Unglauben, vor allem aber von Gottes Liebesbeweis für seine Kinder: Seinen eigenen Sohn gab er uns zum Retter!!! An den sollen wir glauben.
Liebe Gemeinde, wir müssen den gnädigen Gott nicht verzweifelt suchen wie Luther: In Bethlehem ist uns der Erlöser geboren! Diese Erkenntnis hat Luther auch für uns gewonnen!!! Und ob sich auch die Kirche vor 500 Jahren gespalten hat, so ist Christus der HERR geblieben! Es hat sich schon viel in der römischen Kirche getan, aber es gibt noch Reformbedarf: Wir haben nur einen Nothelfer: Jesus Christus. Unser Herr hat seine Jünger, Männer und Frauen in Städte und Dörfer geschickt, um die Frohe Botschaft zu verkündigen, dass Gott nicht der gestrenge Richter, sondern der barmherzige, der liebende Vater ist, der uns seinen Sohn zum Bruder gab. Das sind nur zwei Punkte, die geklärt werden müssen. Es ist viel zu tun in allen Konfessionen. Aber die Lage ist hoffnungsvoll: Jesu Gebot umfasst eigentlich nur drei Punkte: Liebe Gott. Liebe dich selbst. Liebe die anderen. Wie viele Menschen auf der Welt lernen auch heute noch das Lesen anhand der Bibel! Und wir, im Lande der Reformation, müssen sie neu zu buchstabieren, zu verstehen lernen! Für uns steht die Bibel nicht auf dem Index! So hoffe ich auf eine beständige Reform aller Kirchen, Rück-besinnung auf ihren Grund, damit sie ihrem Auftrag, den gnädigen Gott zu verkündigen, mit aller Freude nachkommen können! Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus, unserm Herrn. Amen
Gottesdienst 2.Oktober 2022/16. So. nach Trinitatis in 10.30 Uhr Bacharach
Predigttext: Lukas 7, 11-17: Und es begab sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe; und eine große Menge aus der Stadt ging mit ihr. Und als sie der Herr sah, jammerte sie ihn, und er sprach zu ihr: Weine nicht! Und trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter. Und Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk besucht.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen
Liebe Gemeinde, der Evangelist Lukas hat zu Anfang seines 7. Kapitels von zwei Wundern berich-tet: Der römische Hauptmann von Kapernaum hat unsern Herrn um eine „Fern“-Heilung für seinen schwer kranken Knecht gebeten. Und diese glaubensvolle Bitte wurde erfüllt!
Aber dann werden wir mit dem Tod eines noch sehr jungen Menschen konfrontiert: Aus dem Stadttor von Nain kam gerade eine große Schar klagender Menschen heraus. Wir haben keinen Namen des Toten, aber wir hören etwas von seinen Lebensumständen: Er war der Sohn einer Witwe! Witwen hatten es in der damaligen Zeit ganz besonders schwer. Ehemänner oder Söhne waren ja ihre Versorger im Alter, ihre Vertreter in Rechtsfragen. Der Tote war also der letzte Halt seiner Mutter gewesen. Unter denen, die da aus dem Stadttor herauskamen, waren sicher viele, die sie herzlich bedauerten, aber womöglich auch schon ein naher Verwandter, der sich jetzt einen Teil des Erbes versprach. Sie war ja rechtlos …
Der Blick des Gottessohnes erfasste die ganze Not! Die trauernde Mutter sprach er an: Weine nicht! Das haben alle die anderen nicht getan – hier war nur ein toter Junge, verlorene Zukunft. Aber die Träger blieben wie angewurzelt stehen. Jesus wandte sich nun dem Toten zu und gab einen Befehl: Jüngling, ich sage dir, steh auf! Das war keine Bitte!!! Unser Heiland setzte ein Lebenszeichen! Er nutzte seine Befehlsgewalt über den Tod! Und der namenlose junge Mensch stand auf!
Die Jünger werden hier mit keinem Wort erwähnt. Aber einige der bis dahin Mit-Trauernden haben vielleicht an den Propheten Elia gedacht, der vor langer Zeit auf seiner Flucht vor der Königin Isebel den Sohn einer Witwe aus Zarpat vom Tode erweckt hatte, bei der er sich versteckt hielt. Der Prophet hatte sich ganz über den Toten ausgestreckt und Gott um Leben für den Jungen angefleht. Gott hörte. Aber der Herr Jesus ist kein Prophet, sondern der Sohn des Höchsten und hat die Vollmacht über Leben und Tod. Sein Wort gilt! Er gab den Wiedererweckten vor dem Stadttor von Nain seiner Mutter wieder. Was für ein Geschenk!
Doch Lukas schrieb: Da war die ganze Trauergesellschaft erschrocken, geschockt! Aber es war ein „freudiger“ Schreck: Hier ist ein großer Prophet am Werk, der in Gottes Namen heilt, sogar wieder lebendig macht, so sagten sie untereinander! Gott selbst ist hier bei uns gewesen – ein paar Augen-blicke haben wir IHN erlebt! Das Wunder hat uns allen gegolten: Wir wissen, unser Gott, der uns so fern scheint, wirkt unter uns! Und diese Erkenntnis ging durch das ganze Land!
Jesus, der Herr über Leben und Tod hat sich da schon zu erkennen gegeben, liebe Gemeinde. In Nain war eine Voranzeige auf Ostern zu sehen. Und sie hat Menschen aus der eigenen Lebensangst herausgeholt! Gott hat sie besucht, ein Wunder lang! Zu einer Stippvisite! Und das ausgerechnet an einer Totenbare! Ein Gottes-Wunder ist geschehen für ganz Nain und darüber hinaus! Einen Wink des Himmels haben sie gesehen! Niemand hat versucht, den Herrn Jesus festzuhalten. Niemand hat die große Frage gestellt: Bist du der, der uns von Gott zugesagt ist, der Retter, der Messias? Sie haben an ihn ohne weitere Frage geglaubt! Von den Jüngern ist von dem Wunderschauplatz Nain kein einziges Wort überliefert. Aber auch Sprachlosigkeit hat etwas „zu sagen“! Es traute sich keiner aus Jesu Jüngerkreis die Frage zu stellen: Wer bist du? Das Wunder war Antwort auf das Unbeschreibliche, das in Jesus durch unsere Welt ging. Kurz zuvor war auch Johannes der Täufer noch im Lande unterwegs und rief zur Buße auf. Aber Herodes hatte ihn inzwischen gefangen genommen. Doch auch hinter die Kerkermauern des Täufers drang die Kunde von der Rettungstat Jesu. Und der Gefangene schickte seine Jünger zu ihm mit der Frage: Bist du der, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten? Die Antwort Jesu hieß: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden heil, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht ärgert an mir. Wie muss das den Täufer Johannes getröstet haben!
Die Mutter des vom Tode erweckten jungen Mannes hat keiner gefragt. Aber ich kann mir vorstel-len, was sie gesagt hätte: Mir hatte der Tod alles genommen, was ich auf Erden besaß: Meinen Mann und nun meinen Sohn. Jesus aber hat mir meinen Sohn noch einmal geschenkt! ER hat Macht über den Tod. Ich werde dieses Wunder überall erzählen … Das hat diese Frau sicher auch getan.
Wir, liebe Gemeinde, leben wieder in Kriegszeiten, wo es täglich unzählige Leben kostet, viele davon kaum gelebte!! Die Wunder unseres Herrn werden ständig zunichte gemacht, muss man da sagen. Menschen haben Waffen erfunden, die ihnen Macht verschaffen und setzen sie ein, Macht zur Zerstörung. Wie viel Elend hat der von Deutschland angezettelte 2. Weltkrieg verursacht? Nach Generationen sind die Verluste noch zu spüren, die von 1939 bis 1945 über den ganzen Kontinent gingen und darüber hinaus. Da hatten Menschen Macht an sich gerissen, deren Ausübung nur Tod und Vernichtung brachte. Manmal denke ich, wir Menschen sind nicht belehrbar. Immer wieder überschreiten wir unsere Grenzen, und dann ist der Tod die Antwort. Gott aber will, dass wir leben! Zu seiner Ehre und zum Wohl des Nächsten leben!
Dass wir jetzt schon Anfang Oktober an den Totensonntag erinnert werden, die Kirche nennt ihn Ewigkeitssonntag, das hat seinen tiefen Sinn. Der Herr Jesus hat angesichts des Todes ja ein Lebens-Signal gesetzt! Er ist derjenige, der nicht lange nach dem Nain-Erlebnis mit seinem eigenen Leben unsere todbringenden Sünden auf sich nahm, um uns das Leben zu erringen, das nicht mehr vergeht! Ewiges Leben, das ist für uns noch undenkbar! Aber bei so einem wunderbaren Ereignis wie vor dem Stadttor von Nain sollen wir unsere Zweifel laut vor Jesus aussprechen – ER bleibt uns die Antwort nicht schuldig! Wir alleine sind dem Tod gegenüber völlig hilflos. Aber in Jesus kommt uns einer entgegen, der Befehlsgewalt über den Tod hat: Der Christus Gottes. Er hat den Tod „geschmeckt“, bitter und grauenvoll! ER ist aber hindurch gedrungen und hat für uns den Tod entmachtet! Das ist noch ganz unbegreiflich. Aber solche Guten Nachrichten wie die von Nain sollen uns helfen, Mut zu fassen, Glauben zu wagen!
Auf unseren Friedhöfen werden die meisten Gräber noch gepflegt. Die Toten sind nicht vergessen. Und wenn schon wir an die Toten denken, um wie viel mehr wird unser Schöpfer an alle seine Geschöpfe denken – seien sie lebendig ober tot! Der Allmächtige, der Herr über Leben und Tod, hat seinen gehorsamen Sohn für uns dahin gegeben, ihn aus dem Tode geholt und zum ewigen Leben erweckt! Und der gehorsame Sohn hat nun seinen Platz an des Allmächtigen Seite! Sollte der nicht auch unser Durchbrecher sein? In Osterlied „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden nimm wahr, was heut geschieht“, da heißt es in einer Strophe: Er reißet durch den Tod, durch Welt, durch Sünd, durch Not, er reißet durch die Höll, ich bin stets sein Gesell. Dieser Satz ist für mich das ganze Evangelium!
Ich denke, viele junge Leute nennen Jesu Taten, seinen Tod und seine Auferstehung einfach „irre“. Ja, es ist mit unserem Verstand auch nicht zu fassen! Wir leben und sterben aber auf Hoffnung! Gott ist kein Verschwender! Jedes Leben hat vor IHM einen Wert; denn Gott hat seinen Erlöser dafür in den Tod gegeben. Der Jüngling zu Nain ist ein Zeuge dafür, dass Jesus Christus Macht über den Tod hat – auch über unseren. Für dieses Geschenk kann man nur mit herzlichem Glauben danken! Versuchen wir es, liebe Gemeinde! Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist alle Vernunft, der bewahre unsre Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserm Herrn. Amen
Predigt für den 24/25.9.22, Galater 5,25-6,10
15. Sonntag nach Trinitatis
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
geteilte Freude ist doppelte Freude. Dieses Wort kennen wir alle. Und es stimmt ja auch. Das Andere stimmt aber auch: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Will also heißen: Positives mit anderen Menschen zu teilen erhöht die Freude noch. Negatives oder schweres zu teilen halbiert den Schmerz.
Theoretisch wissen wir das. Aber setzen wir das in die Praxis um? Der Wochenspruch, den wir am Anfang des Gottesdienstes gehört haben lautet: Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch. Ein sehr bekanntes Wort und trotzdem ist es nicht einfach, mit dem Sorgenwerfen.
Auch im heutigen Evangelium haben wir davon gehört, uns keine unnötigen Sorgen zu machen. Denn es gibt Dinge, da können wir uns sorgen wie wir wollen, ändern können wir an dem, was auf uns zukommt, trotzdem nichts.
Der heutige Predigttext aus dem Galaterbrief ist übereschrieben mit den Worten: Die Last teilen. Also das Schwere, das Sorgenvolle, oft auch unvermeidbare, zu teilen, nicht allein sich abzuquälen. Auch das ist alles leichter gesagt als getan.
Oft möchten wir ja nach außen hin als die Menschen erscheinen, die alles problemlos meistern. Die mit allem klar kommen. Die immer wissen, wo es lang geht. Nur keine Schwäche zeigen; immer lächeln. Wir können uns so vielleicht eine Zeitlang vor unseren Mitmenschen zeigen bis auch die merken, wir tragen eine Maske.
Gott aber sieht sofort in unser Herz und weiß, ob wir authentisch leben oder uns und anderen Menschen etwas vormachen. Oft wollen wir unseren Mitmenschen zeigen, dass alles gar nicht so schwer ist, dass wir keine Hilfe brauchen.
Gott bietet sie uns aber in seinem Wort an. Und wir Menschen, zumal, wenn wir uns Christen nennen und auch versuchen, als Christen glaubwürdig zu leben, sollen uns gegenseitig unterstützen.
Denn die gelebte Nächstenliebe ist auch heute noch das Markenzeichen und Aushängeschild einer lebendigen Gemeinde. Wenn Gottes Geist uns leitet, sollen wir einander dienen und nicht nach eigener Ehre streben.
Einmal braucht mein Nachbar eine Unterstützung, einmal benötige ich Hilfe. Wir sollen uns nicht voreinander aufspielen und uns gegenseitig beneiden. Gott schenkt jedem Menschen Gaben, aber nicht allen Menschen die gleichen Gaben. Das sollte man bedenken, ehe man meint, wichtige von unwichtigen Gaben zu unterscheiden.
In unserem heutigen Text geht es überwiegend darum, wie wir uns anderen Menschen innerhalb der christlichen Gemeinde gegenüber verhalten. Wenn wir auf Fehler bei unseren Mitmenschen aufmerksam werden, sollen wir behutsam versuchen, diese gemeinsam wieder gutzumachen. Nicht nach dem Motto: Du bist doch kein Christ, was Du da machst, ist völlig unmöglich.
Wir sollen uns nicht als Richter aufspielen. Sondern freundlich und hilfsbereit als Menschen, die ebenfalls nicht ohne Fehler sind. Dienen ist unsere Aufgabe, nicht herrschen.
Ja, der Apostel Paulus hat viel an der jungen Gemeindein Galatien auszusetzten. Bei der Vorbereitung der Predigt habe ich mich gefragt, was würde Paulus wohl uns, der Ev. Kirchengemeinde Vierthäler schreiben, wenn er von unseren Fehlern und Zweifeln wüsste?
Gerade jetzt, wo unsere Pfarrstelle vakant ist, müssen wir aufpassen, dass wir alle miteinander klar kommen. Jede und Jeder hat seine Gaben und damit seine Aufgaben. Früher wie heute gab es Menschen mit schwachem Glauben, mit vielen Fragen und Zweifeln und Menschen mit einer großen Glaubenszuversicht. Sie beide leben von Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Keiner soll den anderen bevormunden, so, als ob er der Bessere wäre.
Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetzt Christi erfüllen. Durch dieses Mittragen der Last des Anderen in herzlichem Erbarmen erfüllen wir das Liebesgebot Jesu.
Bei all dem Helfen des Nächsten müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht als etwas Besseres sehen als der Mensch, dessen Last wir im Moment mittragen. Vielleicht sind wir selbst schon bald darauf angewiesen, dass wir von anderen Menschen mitgetragen werden.
Auch eine christliche Gemeinde kann sich nicht davon freisprechen, Unterschiede zu machen. Weil jeder Mensch andere Fähigkeiten und Begabungen hat. Manches scheint mehr wert zu sein als die Begabung eines Anderen.
Und schon wird ausgelotet, was ist wichtiger und wertvoller. Wer steht besser da? Und wie stehe ich da? Komme ich gut weg bei der Meinung der Anderen? Oder ist mein Dienst weniger Wert wie der Dienst einer anderen Person?
Durch solche Vergleiche kommt man leicht in eine unbegründete Einbildung, entweder besser oder schlechter zu sein als die Anderen. Gerne geht man dann davon aus, doch eventuell etwas Besseres zu sein. Und das, liebe Gemeinde, ist Gift für eine Gemeinschaft.
Ich persönlich halte mich als Prädikant nicht besser als ein Gemeindeglied, das seinen Nachbarn unterstützt, der sich schwertut, seinen Alltag allein zu meistern.
Wir haben uns doch die Gaben, die wir haben, nicht selbst zugeteilt. Gott, unser Schöpfer hat die Gaben verteilt. Und zwar so, dass wir nicht zu prüfen haben, was sehr gut, gut oder auch weniger gut ist. Wenn wir alle unsere Möglichkeiten und Fähigkeiten beim Miteinander in der Gemeinde einsetzen, kommt niemand zu kurz. Wird auch niemand benachteiligt. Dann muss sich auch niemand beschweren.
Und doch sieht die Wirklichkeit oft ganz anders aus. Wenn mal etwas nicht so rund läuft, wie wir es gerne hätten, sollten wir zunächst einmal prüfen, ob vielleicht bei mir ganz persönlich etwas nicht in Ordnung ist. Nicht immer gleich auf andere Menschen zeigen, nein, zuerst mal bei mir selbst nachsehen.
Ich weiß, das fällt manchmal schwer. Es ist oft viel leichter zu sagen, der oder die haben den Fehler gemacht. Aber wenn wir als Christen erkennbar sein möchten, müssen wir leben, wie es uns Gottes Wort aufzeigt.
Wenn wir nämlich Wasser predigen und Wein trinken, verlieren wir weiter an Glaubwürdigkeit. Wort und Tat sollten unbedingt übereinstimmen. Den Menschen können wir vielleicht manchmal etwas vormachen, Gott unserem Schöpfer aber nicht. Deswegen heißt es in unserem Text: Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten.
Es hat keinen Sinn Gott den Herrn mit unserem Lippen hier im Gottesdienst zu loben, ihn im Alltag unseres Lebens aber leugnen.
Es ist schon zig Jahre her, da habe ich bei meiner Arbeit in der Bank gesehen, wie unser Innenleiter einer armen Kundin einen Geldschein für kleine Osterschenke für die Enkel geschenkt hat. Er kam zu mir und sagte, ich soll das bitte für mich behalten, was ich auch tat. Aber er ginge, ich wüsste das ja, sonntags in den Gottesdienst, und dann müsse er in der Woche das Leben, was er dort bekennen würde. Das war für mich als junger Mann ein sehr gutes Vorbild. Ich habe schon oft daran gedacht.
Ja, liebe Gemeinde, heute gibt uns der Predigttext Vieles mit auf den Heimweg und die kommende Woche.
Wir sollen uns prüfen, ob wir das, was uns angeblich wichtig ist, auch im Alltag leben. Woran sollen denn unsere Nachbarn merken, dass wir Christen sind? Ja, weil wir sonntags in den Gottesdienst gehen. Aber der ist ja nur alle paar Wochen. In der Zwischenzeit sollen wir unseren Glauben so leben, dass er ansteckend auf andere Menschen wirkt. Ich weiß selbst, das ist leichter gesagt als getan.
Wir dürfen täglich um Gottes guten Heiligen Geist bitten der uns anleitet, Gutes zu tun. Und zwar gerne und mit Freuden. Und da sind unserer Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Unser Text schließt mit dem Satz: Solange wir Zeit haben, wollen wir allen Menschen Liebe erweisen, besonders denen, die mit uns durch den Glauben verbunden sind.
Das geschieht ja oft auch in den Kollekten. Wo wir diakonische Einrichtungen unterstützen oder andere Evangelische Kirchen in der Diaspora.
Ja, liebe Gemeinde, wir dürfen und sollen unsere Sorgen an Gott abgeben und ihn um Hilfe bitten. Aber Gott hat nur unsere Hände und unsere Füße, mit denen er anderen Menschen helfen kann.
Darum lasst uns gemeinsam Lasten tragen, einander helfen und trösten, stützen und ermutigen solange wir dazu die Kraft haben. Lasst uns Gottes Liebe mit Freuden austeilen ohne Ansehen der Person und Gottes Barmherzigkeit leben. Möge es uns Gott schenken, dass uns das immer besser gelingen möge. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn. Amen.
Predigt „Barmherziger Samariter“
September 2022 – Bacharach
Liebe Schwestern und Brüder,
die Geschichte vom Barmherzigen Samariter, um die es heute geht, ist so bekannt, dass viele vielleicht denken, ach wie langweilig.
Kenn ich in und auswendig.
Viel Spaß beim Kindergottesdienst, schade hätte ja heute mal interessant werden können.
Bitte wecken, wenn’s vorbei ist…
Tatsächlich hat die Erzählung viele Facetten und sie löst bei aller Bekanntheit immer noch viele Fragen aus.
Was mag für heute die für mich wichtigste Frage sein?
Also die erste Frage die auftaucht, lautet: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?
Eine gute und wichtige Frage, aber ist sie auch wirklich unsere?
Wer denkt schon an das ewige Leben.
Entscheidend ist doch das Hier und Jetzt…
Interessant ist ja, dass auch der Schriftgelehrte nicht wirklich ernsthaft fragt.
Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“ fragt der Schriftgelehrte nicht aus existentieller Betroffenheit, sondern nur, um Jesus zu prüfen, um ihn herauszufordern, um ihn zu locken, na, wo stehst du Jesus, wie hältst du es mit unserer Tradition, wie definierst du die Ansprüche unseres Glaubens, wie soll man das geregelt kriegen als normaler Mensch leben und doch Gott gefallen?
Der Fragesteller lauert:
Jesus, wie ziehst du jetzt den Kopf aus der Schlinge bei diesem theologisch-diakonischen Glasperlenspiel?
Aber Jesus spielt die Frage zurück.
Er sagt:
Du weißt doch selbst genau, was wichtig ist, überleg doch und prompt kommt die richtige Antwort:
Das ewige Leben bekommen wir, wenn wir Gott lieben und unseren Nächsten wie uns selbst.
Tja und damit kommt die zweite Frage ins Spiel.
Gott lieben und mich selbst – alles klar.
Aber wer ist denn eigentlich mein Nächster?
Wer ist mein Nächster?
Wem muss ich helfen?
Das soll endlich mal richtig definiert werden, damit das mal klar ist, wem man helfen soll und wem nicht.
Wer hat denn wirklich Anspruch darauf, dass ich in Notlagen für ihn da bin.
Wo muss ich hin, wo muss ich da sein und wo nicht?
Da muss doch mal bitteschön abgegrenzt werden, sonst läuft man ja als gutwilliger religiöser Mensch mit so einem ständigen Überforderungsgefühl herum.
Also, wenn ich ehrlich bin:
Ich kann ihn gut verstehen, den Schriftgelehrten, gerade als Pfarrer.
Ausgerechnet als Pfarrer komme ich doch ziemlich schlecht weg in der Geschichte mit meiner Zunft, von wegen Priester und Leviten, die gehen schließlich vorbei…
Gerade als Pfarrer sehnt man sich nach Zuständigkeiten, nach Abgrenzung, nach Entlastung.
Da ist ein Meer der Bedürftigkeit, eine Flut an Hilfsanfragen – man kann unmöglich allen gerecht werden und jedem helfen.
Das ist das Problem so vieler Sozialberufe.
In der Kirche, in der Diakonie, im Krankenhaus und an vielen Orten mehr werden hilflose Helfer produziert, die überall sein wollen, die selbst zu Opfern werden und die dann mit Burnout beim Psychologen landen.
Das kriegt man heutzutage in jeder Supervision beigebracht.
Du musst dich abgrenzen, die Belastung verringern, das ist professionell heißt es.
Und ausgerechnet Priester und Levit bekommen dann ordentlich ihr Fett weg in der Beispielgeschichte Jesu.
Dabei wäre das ja mal so hilfreich, endlich mal Klarheit zu haben, wo es in Sachen Nächstenliebe hingeht. Wo das anfängt und aufhört, ich meine, man wird ja schließlich auch beobachtet, man will sich doch nichts zuschulden kommen lassen, alles richtig machen…
Wer ist mein Nächster?
Diese Frage ist richtig formuliert, aber sie wird vom Schriftgelehrten völlig falsch gestellt.
Weil ihre Richtung verkehrt ist.
Ich will, dass wir heute umgekehrt denken.
Es geht nämlich gar nicht ums Helfen, sondern ums Hilfe bekommen.
Es geht nicht um Überforderung, es geht um Unterstützung.
Es geht nicht um Moral, es geht um Barmherzigkeit.
Wer ist mein Nächster?
Du musst die Frage existentiell stellen.
Als Betroffener.
Nicht fragen, wem muss ich helfen, sondern:
Wer hilft mir.
Wer ist mein Nächster – für mich?
Wer ist für mich da, wenn’s mir dreckig geht.
Das ist zugegebenermaßen eine Frage, die mich wirklich umtreibt.
Ich vermute euch auch.
Wer ist mein Nächster, auf wen kann ich mich wirklich verlassen?
Wer ist für mich da, wenn ich unter die Räuber falle, wenn ich verletzt bin oder schwach.
Wer kümmert sich um mich, wenn ich arm werde oder alt bin. Wer lässt mich nicht im Stich, wenn ich Hilfe brauche?
Darum geht es!
Als ich noch Pfarrer im Hunsrück war, da gab es einen Spruch.
Den habe ich wirklich gehasst.
Der hieß:
„Blut ist dicker als Wasser“.
Gemeint war, dass nur Verwandtschaft zählt, wenn es darauf ankommt.
Auf die kannste dich verlassen.
Du kannst mit jemand geschwitzt, gearbeitet, gelitten und gelacht haben, mit jemandem eng befreundet sein, wenn es drauf ankommt, zählt nur der engste Kreis.
Frau und Kinder, Nichten und Neffen, Tanten und Onkel, Eltern und Großeltern.
Das Wichtigste ist die Familie.
Sonst hilft dir keiner.
Ich finde das eine unerträgliche Perspektive.
Ich vermute, die persönliche Betroffenheit macht mich da sensibel…als Einzelkind, ohne Geschwister…ohne eigene Familie…kann man das nicht gut aushalten.
Ja, wenn immer nur die Familie zählt, wer ist denn dann für mich da, spätestens, wenn ich mal alt bin oder krank.
Das Evangelium von heute entgrenzt diese eingeengte Sicht.
Es will sagen:
Zu meinem Nächsten kann jederzeit jeder werden.
Zum Nächsten wird der oder die Nähe schenken. Völlig unabhängig von geographischer oder verwandtschaftlicher Nähe.
Wenn ich allein in Köln umkippe oder plötzlich auf Mallorca kein Geld mehr habe, kann auf einmal ein wildfremder Mensch mir zum Nächsten werden.
Oder beim Unfall auf der Fahrt heute Nachmittag zur Oma.
Oder auf dem Weg zur Arbeit oder wie auch immer.
Immer und überall ist es der Fremde, der plötzlich zum Nächsten wird.
Unsere Kirchengemeinden sind und waren immer sehr familienorientiert.
Wir machen Familienfreizeiten, feiern Familiengottesdienste usw. – das ist alles nicht verkehrt.
Aber wir müssen auch Alleinstehende, Verwitwete und Singles beachten.
Am besten ist es, wenn eine Kirchengemeinde selbst, wie eine Familie funktioniert – wo keiner alleine bleibt und jeder mit Unterstützung rechnen kann.
Übrigens, nur zur Erinnerung:
Jesus war auch unverheiratet und er hat 12 Leute aus ihren familiären Strukturen rausgeholt, zu Jüngern gemacht und weggerufen.
Als die Mutter Jesu und seine Geschwister ihn einmal aus einem Haus holten und riefen:
Komm doch endlich wieder heim…da hat er sehr verletzend eigentlich gesagt:
Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder…?
Dann hat er auf alle gezeigt, die um ihn waren und hat gesagt:
Das sind meine Mutter und meine Geschwister…
Wer zu Christus gehört, hat eine neue Familie.
Plötzlich habe ich einen Vater im Himmel, der mich wie eine Mutter liebt und ich habe allein in der Gemeinde hunderte Schwestern und Brüder.
Aber nicht nur in der Gemeinde.
Das gilt ja sogar weltweit.
Ich finde das so schön zur Kirche zu gehören.
Egal, ob in Godesberg, in meinem Heimatort Bacharach oder weltweit.
Ich sage immer gerne stolz.
Die Kirche ist meine Firma.
Für die arbeite ich und diese Firma hat mehr Filialen als Mc Donalds.
Wir haben sogar eine Filiale in Breitscheid.
In Henschhausen, in Winzberg, kleine „Verkaufsstellen“ in Medenscheid und Neurath, bedeutende Standorte in Steeg, Oberdiebach und Manubach.
Das schafft kein Burger King – aber auch kein Elon Musk oder kein Walmart.
Wer ist mein Nächster?
Manchmal kann das ganz überraschend jemand sein, den du nicht erwartet hättest.
Eine alte Dame hat erzählt:
Neulich, wo es so heiß war, war ich zu Fuß unterwegs, als der Körper urplötzlich den Dienst versagt und sie bricht auf dem Gehsteig zusammen.
Sofort sammeln sich Menschen, um zu helfen. Während die Erwachsenen mit Handys nach dem Notarzt telefonieren und darüber beraten, was denn jetzt am besten zu tun ist, setzt sich ein vielleicht 8-jähriges Mädchen neben sie, ganz nah.
Der alten Dame ist nach wie vor schlecht und ihr ist schwindelig, aber sie sagt:
Ich werde nie in meinem Leben vergessen, wie dieses Kind meine Hand genommen hat, meinen Arm gestreichelt hat und gesagt hat:
Du musst keine Angst haben, ich bin doch bei dir.
Ich wünsche uns, dass im Alltag und im Ernstfall immer einer bei uns ist, der uns so streichelt und die Hand hält.
In diesen Menschen begegnet uns Christus.
So sendet Christus seine Boten in die Zeit, bis einst er selbst in der Todesstunde unsere Hand nehmen wird und uns zu sich zieht und halten wird.
Amen.
Predigt für den 8. So.n. Trinitatis / 7. August 2022 in Manubach und Bacharach/ Markus 12, 41-44:
Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gottes-kasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle etwas von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte. -.-.-.-.-.-.-
Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus!
Liebe Gemeinde,
nicht in der Passions-, sondern jetzt in der Sommerzeit werden wir damit konfrontiert, dass der Herr Jesus seinen Jüngern, den Nachfolgern ein Stück seines Testamentes, seines großen Vermächtnis-ses ins Herz schrieb. Die Sache mit dem "Scherflein der Witwe" scheint auf den ersten Blick un-wichtig zu sein. Aber wir haben es mit einem Vorbild zu tun, das Jesu "Nachfolger" aller Zeiten beherzigen sollen. Das Scherflein und seine Geberin sind Merk-Male für uns!
Am besten folgen wir Jesus, den Jüngern und vielen anderen, die mit ihm durch das Land wander-ten. Nun geht es zum letzten Mal mit ihm hinauf nach Jerusalem. Ihre Füße können ihm folgen, aber ihr Glaube? Da können sie mit ihm nicht Schritt halten - da hinken sie hinterher. Jesus aber verströmt geradezu seine Kraft an sie: Er will sie Schritt für Schritt noch ausrüsten und stärken.
Er ist ja bekannt dafür, dass er seine Lehren an Beispielen festmacht, die man nie mehr vergisst. Und manchmal liefert das Leben die besten Vorbilder. So auch hier in Jesu letzten Tagen im großen Tempelhof in Jerusalem.
Vor der großen Schatzkammer ist reges Kommen und Gehen. Reich und gut gekleidete Männer kommen da. Mancher zieht einen prallen Geldbeutel hervor, nennt die Summe, um sie auf dem Opfer-Trichter auszuschütten. Langsam klimpert dann das Geld hinein in den Gotteskasten. Der Hüter des Kastens führt Buch über die Höhe der Gaben; der konnte schon am Klang des Geldes die Summe auswendig sagen, die er notierte.
Eine Frau in Witwenkleidern kommt näher und stellt sich in die Schlange der Opferbereiten. Was kann sie wohl geben, wird manch einer gedacht haben. Nun ist sie an der Reihe. Sie hat keinen Geldbeutel. Sie hat alles in der Hand, was sie geben kann: Zwei der geringsten Münzen, zusammen so viel wie ein Cent! Sie legt ihr Scherflein ein und geht mit leeren Händen. Das bisschen hätte sie auch behalten können, wird manch ein Augenzeuge - auch unter den Jüngern Jesu - gedacht haben.
Aber noch einer hat sie beobachtet, und dessen Herz ging auf. ER hat ihr ganzes schweres Leben überblickt; sie war ja gezeichnet in ihren Witwenkleidern vom Tode ihres Ernährers, ihres Be-schützers und Rechtsbeistandes auf Erden! ER hat sie mit Heilandsaugen gesehen: Unterhalb der Armutsgrenze, aber mit reichem Herzen! Und am Beispiel dieser Frau macht unser Herr Jesus seinen Jüngern klar, was er mit "Nachfolge" meint. Jesus schärft ihren Blick, damit seine Jünger begreifen, was vor Gott wahrhaft groß ist, nämlich: Bedingungslose Nachfolge als höchste Form des Glaubens.
Den Jüngern Jesu, die sicher noch ganz beeindruckt waren von den großen Opfern der Reichen, lag die Frage auf der Zunge: Aber Jesus, hast du nicht richtig hingeguckt? Was die Frau gab, das kannst du doch vergessen! Wir verstehen dich nicht! Ist es nicht gerade anders: sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt? Zwischen ihrer Wahrnehmung und Jesu Heilands-augen ist ein himmelweiter Unterschied. Aber Jesus ist ein geduldiger Lehrer der Seinen. Er beant-wortet auch ihre unausgesprochenen Fragen, damit sie mit seinen Augen zu sehen lernen: Seht die reichen Leute, wenn die den Zehnten geben, haben sie noch mehr als genug übrig (90 %!). Aber die Witwe gibt ihren Notpfennig, eine letzte Tagesration Brot. Nun muss sie ihr Leben für den kom-menden Tag ganz auf Gott werfen.
In einem Kommentar wurde diese Frau als "stilles Urbild des Glaubens" beschrieben. Wahrhaftig: Sie sagt kein Wort, aber ihr Tun spricht Bände. Sie hat nun nichts mehr in Händen, sie vertraut auf Gott. Vielleicht hat unser Herr Jesus diese Witwe "Mutter des Glaubens" genannt.
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Für Jesus war das Glaubenszeugnis dieser Frau in seinen letzten Tagen auf dem Weg zum Kreuz eine wahre Freude und ein Herzenstrost, ein Engel an seinem schweren Weg! Zwischen seinen "blinden" Jüngern, die seinen Leidensankündigungen verständnislos, traurig oder sogar ärgerlich gegen überstanden, war sie ein Lichtblick. Sie war geradezu vom Himmel geschickt, damit er seinen Nachfolgern an ihrem Beispiel den Sinn dessen erklären konnte, was IHM nun bevorstand:
Sie gab ihren einzigen Lebensunterhalt aus der Hand - als Dankopfer für Gott. Und ER war jetzt in Jerusalem, um sein Leben als Sühnopfer darzubringen, um alle auszulösen, die sonst in Schuld und Tod rettungslos verloren sind.
Die Jünger werden es lange nach Ostern erst erkannt haben: Jesus hat damals nicht nur den Glauben der Frau gesehen, sondern auch unseren Unglauben, unsere Unfähigkeit, ihm wirklich zu folgen. Wir, die er selbst in seine Nachfolge beru-fen hat, um ihn täglich in seinem wunderbaren Gottver-trauen zu erleben, von ihm zu lernen: wir wurden ihm untreu. Aus Angst vor morgen rannten wir bei seiner Verhaftung davon und verleugneten ihn. Wir hatten kein Gottvertrauen. Doch unser Herr und Heiland ging seinen Weg getreu weiter, er gab alles. Er hat einen hohen Preis für uns gezahlt, wahrhaftig, wir leben aus seinem Tode!
Der Name der Witwe ist nicht genannt. Aber das „Scherflein“ , das kennt sicher jeder Christ! Sie handelte, als hätte sie einmal Jesu Worte gehört: Seht die Vögel unter dem Himmel. Sie säen nicht, sie ernten nicht, und unser himmlischer Vater nährt sie doch! Vielleicht stand sie unerkannt nahe bei seinem Kreuz. Sie war seine Nachfolgerin, eine Heilige, der unser Herr selber die unsichtbare Glaubenskrone aufgesetzt hat! Die glänzt nun schon 2000 Jahre!
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Wenn der Glaube der Jünger schon nicht reichte, liebe Gemeinde, wo sie doch lange mit Jesus Tag und Nacht zusammen waren, was soll erst aus uns werden? Das ist die große Frage. Wenn wir die Jesus-Nachfolge aus unserer Kraft schaffen müssten, dann könnten wir heute ruhig die Kirchentür für immer hinter uns abschließen. Aber da ist unser HERR Jesus! ER hat nach seiner Auferstehung keinen der Versager unter seinen Nachfolgern schwören lassen: Herr, wir verlassen dich nie wieder! ER hat nicht gewartet, bis seine Jünger zu IHM kamen, sondern ER hat sie in ihren Verstecken aufgesucht.
Als sie sich wieder hinaus trauten an den See Genezareth, war der HERR schon da. Zuerst nicht erkannt. Aber als sie mit einem großen Fang zurückkamen, hat der HERR seinen Petrus dreimal gefragt: Hast du mich lieb? Und dann hat er ihn, als sei er nie ein Verleugner und Versager gewesen, mit der großen Aufgabe betraut, an seiner Stelle nun Hirte der Schafe und Lämmer zu sein, all der anderen schwachen Nachfolger. Petrus hat sich unter diese schwere Aufgabe gebeugt und viele
andere mit ihm! In der Bibel sind meistens hinten Landkarten zu sehen mit den eingezeichneten Reisewegen der Apostel. Viele Fußwege ...
Petrus kam auch nach Rom! Der Fischer vom See Genezareth. Das hätte er sich nie träumen lassen! Aber an Petrus sieht man, dass Jesus das Kleine groß macht: Man hat Petrus zugehört und festge-stellt, dass seine Nachricht von dem Erlöser Jesus Christus wie Sprengstoff wirkte gegen den Druck der herrschenden Macht Rom und ihre menschenverachtende Politik, aber auch gegen jüdische Glaubensbrüder, die das Gesetz hochhielten und die Barmherzigkeit vergaßen!
Mächtige Cäsaren wurden umgebracht; Rom war ein gefährliches Pflaster. Doch die Botschaft von dem Erlöser Jesus Christus brachte den Gläubigen neues Leben – hier schon in die stolze Welt
Roms. Da gab es immer wieder solche wie die Witwe mit dem Scherflein. Sie opferten es für die wandernden Apostel, für arme Nachbarn, entlaufene Sklaven und so weiter. Sie taten es Jesus zu Liebe. Jedes Scherflein ist im Himmel mehr als ein Tausender! Und wie sieht es heute aus? Was können wir tun, um Gott, der uns liebt, eine Freude zu machen?
Gott eine Freude machen – da fallen mir die kleinen Kinder ein, die ihrer Mama mit noch wackligen
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Beinen ein Gänseblümchen bringen. Sie haltens ganz fest in der kleinen Faust, damit es ja nicht verloren geht. Wenn die Mama es endlich bekommt, ist es meist ganz zerdrückt. Aber was tut die Frau, die ihr Kind liebt? Sie lobt es und bedankt sich, als sei es die kostbarste Orchidee! Aus Liebe.
Nur im Wissen um Jesu große Liebe zu uns können auch wir heute die Geschichte der opfernden Witwe überstehen, ohne das Gesicht zu verlieren, ohne in den Boden versinken zu müssen - weil auch wir wissen: Er hat es nur von sich selbst verlangt, das größte Opfer, unser lieber Herr: Er hat für unsere Freiheit vor Tod und Teufel bezahlt.
Und so können wir heute in herzlicher Dankbarkeit auf unseren Herrn sehen, der es nicht von unserer unbeirrbaren Nachfolge abhängig macht, ob er auch uns die Frucht seines Leidens und Sterbens zugute kommen lässt.
Aber er fragt auch uns: Hast du mich lieb? Und ich wünschte, wir könnten mit Petrus antworten: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe!
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsre Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserm Herrn. Amen
Predigt 7. Sonntag nach Trinitatis
Predigttext: Johannes 6, 1 – 15
Amen.
Liebe Gemeinde!
Wenn es der richtige Anlass ist, kommen die Menschen. Und sie kommen in großer Zahl.
Wir erleben es in den Fußballstadien, tausende Fans bejubeln ihre Mannschaft, bei Popkonzerten feiern mehrere Tausende ihre Stars oder
bei Demon-strationen kann man auch oft viele tausende Menschen zählen. Menschen kommen, wenn es sich lohnt. Wenn es der richtige Anlass ist.
Zweitausend Jahre zurück. Menschen sind gekommen, um diesen Jesus zu sehen. Menschen in großer Zahl. Von Fünftausend spricht die Bibel.
Der Anlass: Jesus, der für seine Wunder bekannt ist, der etwas zu sagen hat, der wie ein Versprechen auf eine bessere Zukunft
wirkt.
Wie ein Magnet zieht dieser Jesus die Menschen an. Sein Rückzug mit dem Boot nützt ihm nichts.
Die Menschen bleiben ihm auf den Fersen.
Sie haben Großes gesehen. Oder sie warten darauf. Sie werden nicht enttäuscht.
Was für ein Wunder!
Jesus speist 5000 Männer, samt ihren Familien.
Das Wunder geschieht vorher. Das Wunder geschieht durch einen selbstlosen Jungen, der seine fünf Brote und zwei Fische zu Jesus bringt.
Fünf Brote, zwei Fische, das ist die Grundnahrung, die sind schnell gegessen, wenn ein Mensch Hunger hat.
Dieser Junge hatte begriffen, worauf es ankommt!
Die Jüngerinnen und Jünger Jesu, sie dürfen sich ein Beispiel nehmen an diesem Jungen.
Dieser Junge kommt zu Jesus und bringt ihm, das was er hat.
Und das, was er hat, stellt er für alle zur Verfügung! Jesus erkennt in ihm seinen Jünger!
Das ist das Wunder der Jüngerschaft Jesu!
Wenn ein Mensch die Größe hat, das Wenige zu Jesus zu bringen. Und zu Jesus zu sagen:
Jesus, du kannst mehr daraus machen! Das Vertrauen dieses Jungen mit seinen fünf Broten und zwei Fischen, dieses Vertrauen, hat das Wunder bewirkt!
Die Menschen sammeln sich in Gruppen, setzen sich zusammen, wenden das Gesicht zueinander und erkennen ihre Verantwortung füreinander.
Im Erkennen dieser Verantwortung füreinander, da geschieht das Wunder, dass viele satt werden, weil viele bereit sind, so zu teilen, wie dieser Junge mit seinen fünf Broten und zwei Fischen!
Wir brauchen solche Geschichten, die uns die Augen öffnen und etwas in uns bestärken, das ja in jeder, in jedem vorhanden ist, aber im
Grau des Alltags zu verblassen scheint: Mut, Teilen und Lebensfreude.
Die Gleichnisse und Beispielgeschichten, die Jesus erzählt, sind von einer Qualität, die manchmal einen etwas längeren Anlauf brauchen, um unsere Einstellungen zu verändern.
Denn es ist nicht nur das Grau des Alltags, sondern es sind echte Ängste, die den Blick der Menschen trüben.
Die auch unsere Klarsicht behindern.
Genau dies ist auch der tiefere Sinn der Wunder,
die Jesus tut.
Der Evangelist Johannes weist ausdrücklich darauf hin, dass Jesu zeichenhaftes Handeln nicht auf das Übernatürliche, sondern auf das eigentlich Selbstverständliche abzielt.
Jesus meint das „Natürliche“, das uns im Leben oft abhanden kommt: Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Gottvertrauen.
Wie kann es sein, dass Menschen hungern, obwohl genügend Lebensmittel vorhanden sind?
Dieser Skandal kann doch niemanden gleichgültig lassen!
Wie kann es ein, dass Menschen in Armut geboren werden ohne die Chance, jemals für sich selbst sorgen zu können?
Das ist doch nicht normal. Mit diesem Zustand können wir uns doch nicht zufriedengeben!
Warum schließen wir Menschen aus von unserem Lebensglück?
Was geht uns durch die fehlende Gemeinschaft mit ihnen verloren?
Das Wunder dieser Geschichte ist Verwunderung! wir wunderen uns über uns selbst, darüber, wozu wir in der Lage sind, wenn jemand unsere Begabungen weckt, und die Augen öffnet und deutlich macht, dass wir gebraucht werden.
Miteinander teilen, abgeben von dem, was wir haben – das kann ansteckend wirken und Freude machen. Das Leben wird leicht, wenn es nicht von der Sorge um das Morgen zerfressen wird.
Diese Sorge nimmt Jesus den Menschen!
Eine Kettenreaktion kommt in Gang.
Das Leben kommt in Gang!
Das ist Jesu besondere Begabung: Das sich dort, wo er ist, Zuversicht ausbreitet, Hoffnung und Gottvertrauen. „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.“ (Mt 5,6)
Es sind Worte wie diese, die ihm die Menschen glauben.
Worte, die das Leben verwandeln in dem Augenblick, wo Jesus sie ausspricht.
Nicht wegen der großen Umverteilung, sondern wegen der Würde, die Jesus den Menschen zurückgibt.
Es versteht sich von selbst, dass diese Würde eines Menschen nicht ohne materielle Grundlage bleiben kann – und das geschieht so auch in dieser Geschichte von der Speisung der 5000.
Aus einem Nebeneinander, das oft genug ein Gegeneinander ist, wird ein Miteinander.
Durch Jesu ordnende Hand – könnte man sagen – wenn er die Leute sich lagern lässt im Gras und das Dankgebet spricht über Brot und Fische.
Können wir das nicht auch? Angestoßen, in Bewegung gebracht durch das Vorbild Jesu?
Nicht gönnerhaft, sondern als reich Beschenkte. Selbstverständlich und ohne Hintergedanken.
Ich glaube: Dazu braucht es immer wieder Augenblicke. Momente, in denen wir aufgeweckt werden. In denen uns das Glück unseres Lebens bewusst wird und wir zugleich erkennen, wie sehr wir dieses Glücks bedürfen.
Das Erkennen unserer echten Bedürfnisse bedeutet ja nicht, dass uns etwas fehlt. Alles ist da.
Wir brauchen nur davon zu nehmen.
Leider geben wir uns manchmal mit weniger zufrieden. Versuchen wir, unsere Bedürfnisse auf die falsche Weise zu stillen.
Wie wir im Evangelium des Johannes lesen, ist das kein neuzeitliches Phänomen, sondern ein Irrweg, den Menschen zu allen Zeiten eingeschlagen haben.
Insofern richtet sich Jesu Frage in der Geschichte von der Speisung der 5000 auch an uns:
„Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“
Das ist eine drängende Frage. Wie drängend erleben wir gerade, weil die Getreidetransporte aus der Ukraine blockiert werden.
„Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“
Diese Frage stellt uns vor die Aufgabe, immer wieder unsere Möglichkeiten zu prüfen. – Natürlich reichen die 200 Silbergroschen, welche die Jünger Jesu zur Verfügung haben, nicht aus.
Aber sie reichen ziemlich weit. Natürlich sind die Armen darauf angewiesen, dass sich auch andere großzügig zeigen.
Andere werden das Ihre tun, wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen.
Möglicherweise aber sind wir gerade nicht die, die vorangehen, sondern andere sind uns schon weit voraus, wir brauchen nur zu folgen. Es ist ein Vertrauen darauf, dass das miteinander Teilen auch uns gut tut.
Unserem Leben Tiefe und Sinn gibt.
Uns beglückt. Dass wir also wirklich
„nur zu folgen brauchen.“ Ganz einfach.
Es gibt kein Leben ohne diese materielle Grundlage: Brot. Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Brot meint alles, was wir zum Leben brauchen:
Im Kleinen Katechismus von Martin Luther steht:
„Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“
Brot meint ganz irdisch und umfassend: Lebensglück.
Wie wäre es, wenn wir die Augen offen halten für das, was unser Leben reicher macht?
Ich bin sicher: Wir werden fündig! Amen.
Und der Friede Gottes, der weiter reicht, als wir es fassen können, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
für den 5. So. n. Trinitatis (17.07.22)
zu Gen 12,1-4a
Gottesdienst in Winzberg und Manubach (mit Taufe)
Und der HERR sprach zu Abram: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte.
Liebe Gemeinde! Wo ist mein Platz im Leben? Manchmal erfordert es abenteuerliche Wege und einschneidende Veränderungen, um Antwort auf diese Frage zu finden. Wie bei Abram damals. Nicht, dass Sie jetzt auf komische Gedanken kommen – ich hab’ den Text nicht ausgesucht. Der ist tatsächlich für heute als Predigttext vorgeschlagen. Einen Augenblick lang habe ich echt überlegt, ob ich ihn wirklich nehmen soll. Meine Verabschiedung war ja schon, und ich wollte das eigentlich heute nicht mehr groß zum Thema machen.… Andererseits musste ich tatsächlich in den letzten Monaten oft an Abram denken. Wie es ihm wohl zumute war, als Gott ihm auftrug, seine Zelte ab- und zu neuen Ufern aufzubrechen um ihm seinen Platz im Leben zu zeigen? Was man zurücklässt, weiß man. Was man dafür bekommt, weiß man erstmal nicht. Man hat seine Phantasien und Visionen, aber viel mehr in der Regel eben auch nicht. Bevor der Gedanke zur Handlung wird, fragt man sich x-mal: „Ist der Schritt richtig? Pack ich das? Alles zurücklassen? Die Heimat? Die Familie? Die Gemeinde?“
Im Vergleich zu Abram ist das ja heute alles nicht halb so dramatisch. Da hockt man sich an seinen PC oder legt sich mit dem Smartphone auf’s Sofa, logt sich bei Zoom oder Skype ein, und dann quatscht man miteinander und kann sich dabei angucken. Und wenn alle Stricke reißen, ist man schlimmstenfalls nach ein paar Tagen mit dem Auto, der Bahn oder dem Flugzeug daheim. Gut, dafür muss man dann wahrscheinlich was tiefer in die Tasche greifen, aber möglich ist das (wenn nicht gerade Lockdown ist…). Bei Abram war das nicht möglich. Er konnte weder chatten noch jetten. Bei ihm hieß der Abschied wirklich: „Ich bin dann mal weg!“ Und zwar für immer. Ich könnte verstehen, wenn Abram gesagt hätte: „Nette Idee von Dir, lieber Gott! Aber - nicht mit mir! Such Dir bitte jemand anderen.“ Doch Abram geht.
Seine Geschichte erinnert mich an eine junge Frau aus Wermelskirchen, wo ich im Probedienst war. Sie hatte eine feste Stelle beim Jugendamt. Öffentlicher Dienst… Der „normale Menschenverstand“ würde einem sagen: „Halte, was Du hast!“ Doch mit Anfang 30 kündigte sie und eröffnete der verdatterten Familie und den nicht minder verdatterten Kolleginnen: „Ich gehe nach Afrika!“ Im tiefsten Inneren gewiss, dass Gott sie dorthin gerufen hatte, machte sie sich auf – ohne zu wissen, wovon und wo genau sie leben würde – und baute ein Hilfsprojekt für Mädchen in einem der schwarzen Townships in Südafrika auf. Da gibt ein Mensch für Jesus sein ganzes bisheriges Leben auf, wirft alle Sicherheiten über Bord, und lebt buchstäblich von der Hand in den Mund. Das ist noch mal 'ne ganz andere Hausnummer als für ein paar Jahre nach Meran zu gehen…
Nun glaube ich nicht, dass Gott von jedem verlangt, dass er - wie Abram - alle Zelte abbricht und sich aufmacht ins Ungewisse. So unterschiedlich, wie Gott uns Menschen geschaffen hat, so unterschiedlich ist auch das, was Er mit uns vorhat. Nur – dass Gott was mit uns vorhat, das glaube ich schon. Der christliche Glaube ist nicht das Sahnehäubchen auf einem beschaulichen bürgerlichen Leben. Gott will uns ganz. Nicht nur sonntags morgens. Ich mein’ - dieser Gott hat sich uns ja auch ganz gegeben. Er hat sich auch auf den Weg gemacht. Auch Er hat alles aufgegeben, auf Seine Göttlichkeit verzichtet und ist Mensch geworden. Hat unser Leben gelebt und ist unseren Tod gestorben, damit unsere Reise nicht ins Leere geht. Damit wir am Ende der Tage nicht auf ewig heimatlos sind, sondern nach Hause kommen – dorthin, wo Er einen Platz für uns hat. Unseren Platz in dem Leben ohne Ende. Gott hat Seinen Platz gefunden – bei uns. In Jesus von Nazareth. Und Er hat damit aus christlicher Sicht erfüllt, was Er dem Abram damals verheißen hatte: „…in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ Aus dem Volk Israel, das aus Abraham hervorgegangen ist, in dem Land, das Gott ihm gezeigt hat, kam der Retter der Welt zur Welt. Weil Gott Seinen Platz gefunden hat an unserer Seite, möchte Er uns helfen, unseren Platz zu finden an Seiner Seite. Und das geht eben nicht nur ein bisschen. Gott möchte unser Leben ganz und gar durchdringen.
„Ich will dich segnen“, hat Er zu Abram gesagt, „und du sollst ein Segen sein.“ Wenn Sie sich jetzt fragen, für wen Sie ein Segen sein könnten, wozu Gott Sie berufen hat, und wenn Sie gerade im Moment keinen blassen Schimmer haben, wo Ihr Platz im Leben ist, dann achten Sie bitte noch mal genau auf die Reihenfolge: Gott sagt erstens: „Ich will dich segnen“. Und dann erst sagt er zweitens: „…und du sollst ein Segen sein.“ Ein Segen für andere kann nur sein, wer Segen empfängt. Das ist ein passiver Akt und hat damit zu tun, Gott an sich ran- und an sich wirken zu lassen. Vielleicht tun wir uns deshalb manchmal so schwer mit der Frage, wo unser Platz im Leben ist, weil wir Gott keine Chance lassen, ihn uns zu zeigen. Weil wir jegliche Suche danach in Aktionismus ersticken. Weil wir meinen, wir müssten vorher erst noch kurz auf eigene Faust die Welt retten. Nicht nötig. Hat Er schon erledigt.
„Du sollst ein Segen sein!“ Was das für uns konkret bedeutet, wird sich finden, wenn wir uns klar machen, was Gott in Seiner Liebe für uns getan hat. Und das annehmen. Und anfangen, Ihm unser Leben anzuvertrauen. Ihm in unserem ganz banalen Alltag einen Platz einzuräumen und die Spuren Seines Segens dort zu entdecken. Gott wird nicht mit jedem von uns ein neues Volk gründen. Und es muss auch nicht jeder seinen Job hinschmeißen und in die Entwicklungshilfe gehen. Was bei der Einen Südafrika ist, ist bei dem anderen das Engagement im Presbyterium oder in der Jugendarbeit. Oder die Geburt des ersten eigenen Kindes…. Das stellt ja auch alles auf den Kopf. Auch wenn man äußerlich noch in derselben Wohnung wohnt und im selben Ort. Aber durch die müden Augen sieht auf einmal alles anders aus… Die Lebensaufgaben verändern sich, die Lebenseinstellung, die Lebensinhalte. Ihr wisst wahrscheinlich, was ich meine, liebe Taufeltern…
Und am anderen Ende des Zeitstrahls gilt dasselbe. Wenn man einen lieben Menschen verliert, dann verändert das das Leben auch kolossal. Ohne dass man gefragt wird, ob einem das passt. Das sagt sich immer so leicht, dass der Tod zum Leben gehört. Vom Verstand her weiß man das. Aber wenn er dann zuschlägt, ist immer noch mal alles ganz anders. Und man muss sich neu finden. Seinen Platz im Leben neu finden. Auch das kann eine anstrengende Reise sein mit unbekanntem Ziel. Bei alledem sind wir aber nie allein. Ihr habt für Matteo ein Wort aus Mt 28,20 als Taufspruch ausgesucht. Da verspricht Jesus: „Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Mit diesem Versprechen im Gepäck darf Matteo und dürfen wir uns alle immer wieder neu auf die Suche machen nach unserem Platz im Leben. Ich bin sicher: Der, der uns ins Leben gerufen hat, der wird uns auch zeigen, wo Er uns will und braucht. Der, der uns ins Leben gerufen hat, der wird uns auch zeigen, wo Er uns will und braucht. Und wenn es dazu abenteuerlicher Wege und einschneidender Veränderungen bedürfen sollte, dann wird Er uns auch darin begleiten. Amen.
Predigt
für den 4. So. n. Trinitatis (10.07.22)
zu Ps 139,14
Konfirmation in Steeg
Liebe Gemeindeglieder!
Beim heutigen Online-Gottesdienst handelt es sich um die Aufnahme
des Konfirmationsgottesdienstes in der Kirche St. Anna in Steeg.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde! Ich möchte mit Euch einen Test machen. Und zwar zeige ich Euch jetzt für ein paar Sekunden ein Plakat – und Ihr sagt mir nachher, was Euch aufgefallen ist.
(Es wird ein Plakat mit vier mathematischen Gleichungen gezeigt, von denen eine falsch ist. Die Antworten werden abgewartet.)
Stimmt, eine ist falsch. Aber warum kommt eigentlich keiner auf die Idee zu sagen: „Drei sind richtig?“ Was uns auffällt, ist der eine Fehler. Der sticht ins Auge. Das ist ganz oft so: Den Fehler nehmen wir wahr. Das Gute nicht. Ich denke an einen Jungen in Eurem Alter. Die Mädels würden sagen: „Der sieht echt gut aus. Tolle Figur, und nett ist er auch noch.“ Aber was ihn fertig macht, ist dieser eine Pickel auf der Backe. Der zählt. Und er beschließt, dass die Party ohne ihn stattfindet. Oder das Mädchen, das bei allen beliebt ist. Die Jungs fahren auf sie ab, weil sie so ein süßes Gesicht hat und so keck lächelt. Aber als ihre Clique ins Freibad geht, bleibt sie zu Hause, weil sie meint, ihr Hintern sei zu dick. Das ist wie mit den Rechenaufgaben auf dem Plakat. Drei richtig, eine falsch. Aber die falsche zählt. In Ps 139 steht in Vers 14:
„Ich danke dir dafür,
dass ich wunderbar gemacht bin.“
Wann habt Ihr das zum letzten Mal gebetet: „Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin“? Das habe ich vor Jahren mal die Damen in der Frauenhilfe gefragt. Da kam erstmal einen Augenblick lang gar nichts. Nur verdatterte Gesichter. Bis eine Frau dann sagte. „Das habe ich noch nie gebetet!“ Warum eigentlich nicht? Wir sind ganz schön auf negativ geeicht. Und das tut auf Dauer nicht gut. Wer gibt dem einen Pickel im Gesicht das Recht, einen ganzen Kerl unglücklich zu machen? Wer gibt den kleinen Pölsterchen an den Hüften die Macht, über Freizeitaktivitäten zu entscheiden?
Immer nur das zu sehen, was uns an uns nicht gefällt, tut weh. Und es tut übrigens auch Gott weh, der Dich geschaffen hat und Dich lieb hat – so wie Du bist. „Siehe, es war sehr gut“, hat Gott gesagt, als Er den Menschen geschaffen hat. Und das gilt auch für Dich! Deswegen darfst Du beten: „Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.“ An sich selbst Gottes Werk erkennen. In den eigenen zehn Fingern, an den eigenen Haarspitzen – oder auch an der blanken Kopfhaut - die Handschrift des Schöpfers erkennen – das ist total faszinierend. Seid Ihr schon mal mit der Einstellung vor den Spiegel gegangen? Probiert’s mal. Dann fängt der Tag besser an, als wenn man vor dem Ding steht sagt: „Ich kenn Dich zwar nicht, aber ich wasch Dich trotzdem!“
Manchmal denke ich, morgens früh leidet der liebe Gott ganz besonders, wenn die ganze Menschheit vor dem Spiegel steht und an sich rumziept und rummeckert. „Siehe, es war sehr gut.“ Das ist Sein Urteil.
Natürlich kennt Gott auch die andere Seite. Es geht nicht darum, das, was nicht gut ist, schön zu reden. 6+3 ist nicht 8. Eine Gleichung ist falsch, ja. Aber drei sind richtig! Und das vergesst bitte nicht! Es ist wichtig, eigene Fehler und Schwächen zu sehen. Aber bitte passt auf, dass Ihr Euch nicht auf Eure Fehler reduziert! Denn trotz der Fehler: Gott liebt uns! Und Er hört auch dann nicht auf uns lieb zu haben, wenn wir Mist machen. So wie der Vater, von dem Jesus im Gleichnis erzählt hat – wir haben es eben gehört.
Das ist ja schon herb: Da lässt sich dieser Sohn sein Erbe auszahlen, zieht in die Weltgeschichte, verprasst alles, und als er nix mehr hat – da geht er in sich und sagt: „Mist! Zuhause war’s doch besser.“ Und er geht zurück, und der Vater, dem er so wehgetan hat – der läuft seinem „verlorenen“ Sohn mit ausgebreiteten Armen entgegen und fällt ihm um den Hals! Unvorstellbar war das damals, als Jesus das erzählt hat. So was tat ein Vater nicht. Das war gegen die Ehre. Aber das ist Gott egal. So ist Er: Er läuft. Uns entgegen. Die Liebe ist Ihm wichtiger als Stolz und Ehre. Er ist sich nicht zuschade.
Ich weiß nicht, ob Euch Sophie Scholl ein Begriff ist. Das war ein junges Mädchen, das sich in der Nazi-Zeit der Widerstandsgruppe „Weißer Ring“ angeschlossen hat. Die hat ein Jahr, bevor sie von Hitlers Schergen hingerichtet wurde, in ihr Tagebuch geschrieben: „Wenn ich die Menschen um mich herum ansehe, und auch mich selbst, dann bekomme ich Ehrfurcht vor dem Menschen, weil Gott seinetwegen herabgestiegen ist. (…) Das sollte man immer bedenken, wenn man es mit anderen Menschen zu tun hat, dass Gott ihretwegen Mensch geworden ist.“
Das sollte man immer bedenken. Er ist für Dich und für mich Mensch geworden in Jesus, um uns zu zeigen, wie viel wir Ihm bedeuten. Trotz unserer Macken und Fehler. Wenn das ankommt, da (auf Kopf zeigen) und da (auf’s Herz zeigen), dann können wir mit uns selbst Frieden schließen. Wer mit sich selbst Frieden schließt und sagen kann: „Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin“, wird dadurch nicht selbstgefällig oder arrogant. Aber er oder sie wird zu-friedener. Die Krise vor dem Spiegel und der deprimierende Aufschrei: „So kann ich nicht vor die Tür gehen!“ der entfällt dann. Wenn Du mit Dir Frieden schließt, dann kannst Du trotz Pickel zur Party. Und trotz Zellulitis ins Freibad.
Ihr seid wunderbar gemacht. Es ist eine Frage der Sichtweise, wie Ihr mit Euch selbst umgeht. Und deswegen wünsche ich Euch, dass Ihr Euch mit den Augen Gottes seht. Ich wünsche es Euch für Euer Leben, dass Ihr Draht haltet zu Eurem Schöpfer, damit Ihr aus ganzem Herzen sagen könnt: „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.“ Denn wer das kann, wird auch bei anderen nicht immer nur die Fehler sehen, sondern das, was gut ist. Und ich glaube, das würde das Zusammenleben von Menschen um einiges schöner machen. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
für den 3. So. n. Trinitatis (03.07.22)
zu Mk 4,35-41
Liebe Gemeindeglieder!
Beim heutigen Online-Gottesdienst handelt es sich um die Aufnahme des Gottesdienstes
anlässlich meiner Entpflichtung als Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Viertäler in der Kirche
St. Moritz in Oberdiebach. Der Predigt liegt fogelnder Text aus Markus 4,35-41 zugrunde:
Und am Abend desselben Tages sprach Jesus zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren. Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!
Liebe Gemeinde! Als ich mich gefragt habe, was ich Euch zum Abschied mitgeben kann, fiel mir diese Geschichte aus Mk 4 ein, die wir vorhin gehört haben. Vor etlichen Jahren haben wir uns mal bei einer Presbyteriumstagung auf der Elsenburg damit beschäftigt – mit diesem Text unter der Überschrift: Jesus stillt den Sturm. Der See Genezareth war und ist bei Schiffern gefürchtet wegen seiner brutalen Wetterumschwünge. Fallwinde von den umliegenden Bergen verwandeln den harmlosen See im Norden Israels binnen weniger Minuten in ein tosendes Gewässer mit bis zu vier Meter hohen Wellen. So auch in jener Nacht, als Jesus mit Seinen Jüngern zum anderen Ufer übersetzen wollte. Sturm zieht auf, der Wind peitscht das Wasser hoch, die Wellen schlagen über den Booten zusammen. Die Jünger packte die Angst. Man merkt beim Lesen dieser Geschichte: Das ist mehr als ein spannendes Abenteuer, das die Jünger mit Jesus erlebt haben. Wind und Meer sind Synonyme für Chaos und Bedrohung. Die Geschichte von der Sturmstillung steht auch für all die Situationen, wo unser Leben aus den Fugen gerät, wo alles drunter und drüber geht, wo wir im Chaos versinken, wo mehr über uns hereinbricht, als man abarbeiten kann.
Und Jesus? Der liegt tiefenentspannt auf Seinem Kissen und schläft, während die anderen verzweifelt versuchen, gegen die Wellen anzurudern und das reinschwappende Wasser rauszuschippen. Sturm und Wellen können Ihn nicht am Schlafen hindern. Wohl aber der Hilferuf Seiner Jünger. Als die Ihn wecken, wird Er wach, steht auf, spricht ein Machtwort, und Ruhe ist. Und dann fragt Er in die Stille hinein Seine Jünger: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“
Wir haben uns bei unserer Bibelarbeit damals gefragt: Was kann unsere Furcht schwächen und unseren Glauben stärken? Wir kamen zu dem Ergebnis, dass es hilft, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Stürme Jesus in unserem Leben schon gestillt hat. Wie viele Dinge wir als Gemeinde und als einzelne schon überlebt haben, von denen wir dachten, das bringt uns um. Seitdem sammeln wir am Anfang jeder Presbyteriumssitzung erstmal alle möglichen Dinge, die seit der letzten Sitzung gut gelaufen sind. Sowohl in der Gemeinde, als auch im persönlichen Leben der Presbyteriumsmitglieder. Um ermutigende Erfahrungen mit Gott miteinander zu teilen und damit unseren Blick zu schärfen, um das mindestens halb volle Glas zu sehen und nicht das höchstens halb leere. Und um dann mit dem Rückenwind guter Erfahrungen mit Jesus in die Beratungen zu starten.
In den knapp 17 Jahren, die ich jetzt hier gewesen bin, hat es an Stürmen nicht gemangelt. Bitter harte und todtraurige Abschiede von Mitarbeitenden und Gemeindegliedern. Dein Stellenwechsel 2009, liebe Birgit. Der Fusionsprozess mit all seinen Herausforderungen, chronisch klamme Kassen, bröckelnde Bruchsteinmauern, schimmelige Orgeln, kaputte Heizungen und ein Kirchendach, unter dem nicht nur jede Menge Fledermäuse wohnen, sondern das ärgerlicher Weise auch einen echten Hausschwamm beherbergt… Oft haben wir gedacht: „Jetzt ist es aus!“ Gestimmt hat es nie. Sonst säßen wir jetzt nicht hier… Manchmal scheint es, als würde Jesus unseren Untergang verpennen. Haben die Jünger damals auch gedacht. Aber dass Er trotz Sturm und Wellen Seinem Nickerchen frönt, ist kein Ausdruck von Desinteresse, sondern Folge Seines Gottvertrauens.
Jesus lässt die Seinen nicht untergehen, liebe Gemeinde. Selbst dann nicht, wenn ihr Glaube unter den Disteln und Dornen von Skepsis und Sorgen ein kümmerliches Dasein fristet. Eins müssen wir uns klarmachen: Egal, was ist: Wir haben Jesus im Boot! Ich wünsche Euch, dass Ihr das nicht vergesst. Weder für die Zukunft dieser Gemeinde noch für Euer persönliches Leben: Ihr habt Jesus im Boot!
In einer der Sturmzeiten des Volkes Israel hat Nehemia hat zu seinen Volksgenossen gesagt: „Seid nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ (Neh 8,10) Ich glaube, dass eine Kirche, die aus der Freude an Gott lebt, Strahlkraft hat. Aller Aktionismus, die ganze Flut von Gemeindeaufbaukonzepten, Strukturprozessen und Positionspapieren zur Zukunft der Kirche nützen nichts, wenn es daran mangelt. Wenn wir permanent nur lamentieren und überall erzählen, wie schrecklich alles ist – warum um alles in der Welt sollte sich dann jemand für den christlichen Glauben begeistern lassen und sich in einer solchen Gemeinde engagieren?! Kirche ist kein Club masochistisch veranlagter Jammerlappen, sondern eine Gemeinschaft von Menschen, die ihr Leben aus der Freude an Gott leben. Und wer Sein Leben aus der Freude an Gott lebt, der kann auch Freude haben an den Menschen. Und sie lieben. Mögen sie auch manchmal komisch sein. Das gehört zusammen: Freude an Gott und Liebe zu den Menschen. Mit diesen Merkmalen ist die Kirche am Anfang angetreten – und zum Magnet geworden!
Es ist vielleicht manches schwierig. Aber es nicht alles schrecklich. Wir müssen nichts schön reden und den Leuten nicht Schitte für Gold verkaufen. Die Kirche steckt in einer Krise. Die Klimakrise ist real und der Krieg, den Putin vom Zaun gebrochen hat, ist grausam und gefährlich. Ja. Aber verzagen müssen wir trotzdem nicht. Weil es – um es mit Martin Luther King zu sagen – in der Welt eine große segnende Kraft gibt, die Gott heißt. Wir brauchen weder dem Pessimismus das Wort zu reden noch irgendwelchen haltlosen Zweckoptimismus zu verbreiten. Wir dürfen die Situation ganz realistisch sehen, wie sie ist. Die meisten schwierigen Situationen sind ambivalent: Sie sind bedrückend und haben zerstörerisches Potenzial. Aber sie bergen auch das Potenzial für segensvolle Neuaufbrüche. Zum Realismus gehört daher für mich zu glauben, dass um Gottes willen immer noch was geht. Realist ist, wer mit Gott rechnet, liebe Gemeinde. Ganz ehrlich: Der den Tod überwunden hat, sollte der nicht auch in der Lage sein, mit den Stürmen in unserem Leben fertig zu werden? Jesus räumt die Sackgassenschilder weg, vor denen wir so oft resigniert und ratlos stehenbleiben. Zuversicht und Vertrauen, Freude an Gott und Liebe zu den Menschen! Das wünsche ich Euch und Ihnen, liebe Gemeinde! Denkt dran: Ihr habt Jesus im Boot. Das ist das, was ich Euch mitgeben möchte: „Seid nicht bekümmert, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke!“ Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Predigt
für den 1. So. n. Trinitatis (19.06.22)
Liebe Gemeindeglieder!
Beim heutigen Online-Gottesdienst handelt es sich um eine Aufnahme des Festgottesdienstes in Steeg zum 50jährigen Jubiläum des Naturfreundevereins sowie zum Gedenktag der Kirchweihe. Der Predigt liegt die zweite Schöpfungsgeschichte aus Gen 2,4-9.15 zugrunde:
Dies ist die Geschichte von Himmel und Erde, da sie geschaffen wurden. Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte das ganze Land. Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
Liebe Gemeinde! Irgendwie ist die Kirche in einer komischen Situation: Einerseits ist sie der Mittelpunkt des Dorfes, andererseits gilt sie als Relikt aus vergangenen Zeiten. Kaum einer will dieses Gebäude missen, aber die wenigsten gehen hin. Ihre Lehre hat das „christliche Abendland“ geprägt, aber viele halten diese Lehre für rückwärtsgewandt und meinen, die Kirche habe den Zug Richtung Zukunft verpasst. Besonders deutlich wird dies z.B. an der Schöpfungsgeschichte. Kaum eine andere Geschichte sorgt immer wieder für so wilde Diskussionen darüber, wer denn nun „Recht“ hat: Die Bibel oder die Naturwissenschaften. Mich ärgern solche Diskussionen, weil sie völlig unsinnig sind und am Eigentlichen vorbei gehen.
Vielleicht haben Sie in der Lesung eben die Sache mit den sieben Tagen vermisst. Und irgendwie hat Gott auch gar nicht gesagt: „Es werde…“. Das liegt daran, dass es in der Bibel zwei Schöpfungsgeschichten gibt. Und die sind total unterschiedlich. Das, was wir eben gehört haben, ist der zweite Schöpfungsbericht. Der erste mit seinem 7-Tage-Schema, mit dem Ihr, liebe Konfis, Euch in den letzten Tagen beim Konfi-Camp beschäftigt habt, ist bekannter. Es ist der jüngere Versuch, die Entstehung der Welt theologisch zu deuten, niedergeschrieben etwa in der Zeit um 500 v. Christus. Dieser Schöpfungsbericht greift die damaligen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse auf, z.B. dass es zuerst im Wasser Leben gab und erst später an Land. Die zweite Schöpfungsgeschichte, die sich in der Bibel unmittelbar an die erste anschließt, ist gut 400 Jahre älter. Hier wird der Mensch vor den Tieren und Pflanzen erschaffen. Über den Zeitraum, den Gott für die Schöpfung braucht, wird nichts gesagt.
Keiner der Verfasser dieser beiden Geschichten hat Gott bei der Erschaffung der Welt über die Schulter geguckt. In beiden „Berichten“ haben Menschen auf ihre Weise versucht auszudrücken, dass diese Welt nicht irgendwo her kommt, sondern Gottes Schöpfung ist. Das wollen die biblischen Schöpfungsgeschichten sagen. Sie stellen nicht den Anspruch zu sagen: „Genau so ist es gewesen.“ Dann gäbe es schon innerhalb der Bibel in den ersten beiden Kapiteln einen Widerspruch. Denn die Unterschiedlichkeit der beiden Berichte liegt auf der Hand. Die Bibel ist damit nicht „falsch“ oder „unwahr“. Sie befasst sich mit Wahrheiten, für die unser wissenschaftlicher Wirklichkeitsbegriff zu kurz greift. Deshalb hatten unsere Mütter und Väter im Glauben auch kein Problem damit, zwei unterschiedliche Geschichten über die Erschaffung der Welt nebeneinander stehen zu lassen, weil sie sich ergänzen und nicht ausschließen. Genauso müssen wir heute nicht jede These der Naturwissenschaften widerlegen. Für uns ist wichtig, dass Gott die Welt erschaffen hat – wie auch immer es genau gewesen sein mag. Dass Gott die Welt geschaffen hat und dass sie kein Zufallsprodukt ist, das ist eine Glaubensaussage. Und die kann die Naturwissenschaft weder bestätigen noch widerlegen. Aber sie hat wichtige Folgen dafür, wie wir die Welt, die Menschen, die Tiere und Pflanzen sehen und wie wir mit ihnen umgehen.
Was sagt nun 1. Mose 2 über die Schöpfung? Im Zentrum des Interesses steht der Mensch, sein Lebensraum und sein Auftrag. Es ist auf den ersten Blick ein ärmliches Bild, das da von unserer Gattung gezeichnet wird: Der Ausgangsstoff unserer Existenz ist Erde. Der Ackerboden heißt auf Hebräisch „Adamah“. Der erste Mensch heißt „Adam“. Der Mensch ist – bis in seinen Namen hinein – total eng mit der Erde verbunden, auf der und von der er lebt. Wenn ein Mensch stirbt, verwest er und wird wieder zu Erde. Was ihn zu einem lebendigen Wesen macht, ist, dass Gott ihm seinen Lebens-Odem einhaucht. Der Atem Gottes, Sein Leben schaffender Geist. Mit diesem Odem ist der Mensch dann allerdings mehr als nur ein Klumpen Erde: Himmel und Erde begegnen sich in diesem Geschöpf, und das gibt ihm besondere Würde.
Gott gibt dem Menschen nicht nur Leben, Er gibt ihm auch einen Lebensraum. Er legt einen Garten an, nimmt den Menschen und setzt ihn hinein. Um die Tiefe dieser Bilder zu verstehen, muss man sich klar machen, dass saftige Gegenden mit Sträuchern und Bäumen im kargen, wüstenreichen Israel die Ausnahme sind. Sie sind kostbare und nur begrenzt vorhandene Lebensgrundlage. „Eden“ – das heißt auf deutsch „Wonne“. Gott schenkt dem Menschen einen Lebensraum, in dem er versorgt ist, der ihn aber auch in die Verantwortung nimmt. Schon vor dem Sündenfall kommt dem Menschen Verantwortung zu.
„Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Auch wenn wir jenseits von Eden leben – oder vielleicht gerade deshalb – wird die Beachtung dieses Auftrags für die Zukunft der Menschheit entscheidend sein. Bebauen und bewahren. Das erste haben wir ganz gut hingekriegt. Seit Jahrzehnten warnen Experten vor einem zu großen Flächenverbrauch. Die Lebens- und Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen werden immer kleiner. Okay, hier im Steeger Tal ist das ein bisschen anders... Im Frühjahr 1971 kam die Idee auf, die „Abseit“ einzuzäunen und Damwild einzusetzen um der Verbuschung entgegenzuwirken. Im Herbst desselben Jahres wurde der Naturfreundeverein gegründet. Seit 50 + 1 Jahren kümmert Ihr Euch um das Wildgehege, in dem momentan neben dem Damwild auch Rotwild und zwei Mufflons leben. Der Verein war bei der Gründung seiner Zeit weit voraus. Es braucht viel mehr Menschen wie Euch, die sich der Verantwortung für unseren Lebensraum, für die Erde, bewusst sind. Auch auf anderer Ebene. Stichwort: Ressourcenverbrauch.
Wenn alle Menschen auf der Welt so leben würden wie wir, dann bräuchte man drei Erden. Das heißt, wir leben um das Dreifache über unsere Verhältnisse. Wer gibt uns das Recht dazu? Hier ist die Kirche, hier sind wir Christen gefragt, daran zu erinnern, dass uns die Erde nicht gehört! „Die Erde ist des Herrn“, heißt es in Ps 24. Und der will auch nach uns noch Menschen in diese Welt setzen können. Will, dass auch in 50, 100 und 150 Jahren Menschen einen lebenswerten Lebensraum vorfinden, und dass sich nicht das Schreckenszenario bewahrheitet, dass weite Teile Deutschlands – darunter auch unser schönes Mittelrheintal, Ende des Jahrhunderts Wüste sind. Auch wenn keiner das Wort „Verzicht“ gerne hört: Es wäre jetzt an der Zeit, endlich damit anzufangen. Wir werden uns einschränken müssen.
Mag sein, dass wir als Kirche erst Recht zum unliebsamen Fremdkörper werden, wenn wir die Bedrohung dieser Erde ernst nehmen und darauf hinweisen. Aber diese Art „Weltfremdheit“ ist dann eine, die von unserem Auftrag her um der Zukunft willen geboten ist, und die nicht daher rührt, dass wir den Zug verpasst haben. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
für den So. Trinitatis (12.06.2022)
Liebe Gemeindeglieder!
Beim heutigen Online-Gottesdienst handelt es sich um eine Aufnahme des Berggottesdienstes in Winzberg mit dem 200jährigen Jubiläum des MGV Eintracht 1822 Oberdiebach e.V. Der Predigt liegt folgender Text aus Apostelgeschichte 16,23-34 zugrunde:
Nachdem man Paulus uns Silas hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, sodass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.
Liebe Gemeinde! Viele Orte eignen sich zum Singen. Der eine singt am liebsten unter der Dusche, der andere im Auto, weil einen da keiner hört. Man kann in der Kirche singen, im Chor, in der Disco oder im Stadion. Die Liste sangesgeeigneter Orte ist lang. Ein Gefängnis würde bei mir allerdings eher nicht darauf stehen. Anders im heutigen Predigttext. Da machen zwei Gefangene ihren Knast zum Konzertsaal. Wie wir eben gehört haben, sind Paulus und Silas nur wenige Tage nach ihrer Ankunft in Europa hinter Gittern gelandet. Gerade mal eine Familie hatten sie zum Glauben an Jesus einladen können, da gab es Stunk. Und jetzt hocken sie in der Todeszelle, die Füße in einem schweren Block festgeschnallt. In so einer Situation sollte man erwarten, dass ihr Gottvertrauen gehörig erschüttert ist. Doch was uns hier begegnet, ist kein erschüttertes Vertrauen, sondern ein erschütterndes Vertrauen. Statt rumzuheulen, fangen die beiden mitten in der Nacht an zu singen. Luther übersetzt: „Sie lobten Gott.“ Aber da steht im Griechischen: „umnoun“. Unser Wort „Hymne“ kommt daher. Lobgesang. Und sie singen, bis die Wände wackeln - buchstäblich.
Singen siegt, liebe Gemeinde. Indem Paulus und Silas sich nicht von der Angst unterkriegen lassen, sondern in der Stunde der Not ihrem Gott Loblieder singen, übergeben Sie sich in die Hände dessen, der in Jesus die Fesseln des Todes zerrissen hat. Ob es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen ihrem Lobgesang und dem Eingreifen Gottes, dazu sagt der Evangelist Lukas nichts. Er erzählt nur ganz locker, dass die Erde bebt. Das Gefängnis stürzt nicht ein. Aber die Erschütterungen lassen die schweren Eisentore aufspringen und den Mörtel aus den Fugen bröseln, sodass die Verankerungen der Ketten herausfallen. Die Geschichte könnte an dieser Stelle zu Ende sein. Die Tore stehen offen, Paulus und Silas könnten herauspazieren und sich ihrer Freiheit freuen. Doch es läuft anders. Die beiden nutzen ihre unverhoffte Freiheit nicht um abzuhauen. Sie sind nicht auf der Flucht, sie sind auf Sendung. Und der Empfänger ihrer Sendung lässt nicht lange auf sich warten: Es ist der Gefängniswärter. Der Schwerpunkt dieser ganzen Geschichte liegt nicht auf der wunderbaren Rettung der Apostel, sondern auf der des Gefängniswärters. Offensichtlich war er auf seinem Posten im Gefängnishof eingeknackt. Als das Beben ihn aus seinem Beamtenschlaf reißt, sieht er seine Felle schwimmen. In Sekundenbruchteilen läuft so’ n Film vor seinem inneren Auge ab: Alle Gefangenen weg, Mörder, Schwerverbrecher laufen frei in der Stadt rum - und er ist der, der das zu verantworten hat. Er sieht sich schon vom Dienst suspendiert, vor Gericht gestellt, verurteilt. Lebenslänglich? Vielleicht sogar Todesstrafe? Er fühlt sich als Versager und fürchtet die Konsequenzen. In der Angst kommt es zur Kurzschlusshandlung. Es scheint ihm angenehmer, mit sich selbst kurzen Prozess zu machen, als das anderen zu überlassen.
Vielleicht kennen Sie das in abgeschwächter Form auch: Da hat man einen Augenblick nicht aufgepasst, gepennt, es passiert etwas - und von einem Augenblick auf den anderen ist nichts mehr, wie es war. Mit dem Fahrrad zu schnell um die Ecke gebrettert - zack, liegt die alte Dame auf dem Boden, die da gerade aus dem Haus kam. Beim Autofahren auf dem Handy rumgedaddelt - patsch, einem anderen reingefahren. Man sagt sich: „Das hätte nicht passieren dürfen!“, und quält sich mit Schuldgefühlen. Manchmal braucht es lange, bis der Selbstwert nach so etwas wieder stabil ist. Je nachdem, was vorgefallen ist, gibt es eben auch Menschen, die finden nach einem solchen „Erdbeben“ in ihrem Leben keinen Lebensmut mehr und glauben, nur der selbst gewählte Tod würde ihnen Ruhe verschaffen. So war’s bei dem Gefängniswärter von Philippi. Er hat das Schwert schon in der Hand, da schreit Paulus aus dem Kerkerfenster: „Lass stecken! Wir sind alle hier!“ Und dann kehren sich die Verhältnisse um: Der Wärter kommt in die Zelle, geht vor den Gefangenen auf die Knie und redet sie an mit „Meine Herren! - Was muss ich tun, um gerettet zu werden?“ Die Antwort ist denkbar kurz: „Glaube an den Herrn Jesus, dann wirst du und dein Haus selig!“ Mich erinnert das stark an das, was Jesus selbst am Anfang Seiner Wirksamkeit gesagt hat: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Das Evangelium - die frohe Botschaft - ist, dass wir sagen dürfen:
1. Gott, ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. Auch wenn ich nicht vollkommen bin.
2. Jesus, ich danke dir dafür, dass ich das auch dann noch sagen darf, wenn ich versagt habe. Wenn ich schuldig geworden bin. Danke, dass Du die Schuld weggenommen und zwischen mir und Gott alles in Ordnung gebracht hast. Dass Du mich nicht ins Leere laufen lässt, dass Du das Verfallsdatum von mir abgemacht und Zukunft für mich hast - ohne Ende. Und
3. Heiliger Geist, ich danke dir, dass Du mich wissen lässt: Die Welt ist in Gottes Händen. Auch wenn sie gerade auf dem Kopf steht. Danke, dass Du mich in die Lage versetzt, Verantwortung zu übernehmen für mein Leben und für diese Welt.
Am Ende lässt der Gefängniswärter sich auf diese frohe Botschaft hin taufen. Und weil er so begeistert ist, Frau und Kind, Magd und Knecht gleich mit. Manchmal setzt Gott Himmel und Erde in Bewegung, um Menschen zu retten. Lässt die Wände wackeln und schickt Himmelsboten in den Knast. Erst vom Ende her gesehen wird klar, warum der Gefängnis-Aufenthalt von Paulus und Silas mit der Gesangseinlage nötig war: Damit der Gefängniswärter das Evangelium hört. Die frohe Botschaft. Am Ende ist er es, der singt. Paulus und Silas haben ihn angesteckt mit ihrem unerschütterlichen Vertrauen zu Gott, sodass er jetzt Loblieder singt, obwohl er nicht weiß, was auf ihn zukommt. Singen siegt.
Bestimmt gibt es Tage, wo Sie, liebe aktive Chormitglieder, eigentlich keinen Bock haben zum Singen zu gehen. Weil Sie den Kopf dicht haben, weil Ihnen irgendwas die Kehle zuschnürt, weil Angst Sie gefangen nimmt (wer wollte das in diesen Zeiten nicht verstehen…), oder weil Ihnen einfach nur der Drive fehlt. Aber irgendwie macht man sich dann doch auf den Weg – sei’ s aus Gewohnheit oder aus Pflichtgefühl. Am Anfang kostet es Überwindung den Mund aufzumachen, aber dann merkt man beim Singen: Da löst sich was! Singen siegt. Über die Unlust, über dunkle Gedanken, über Angst, über Schwermut. Und manchmal steckt es sogar noch andere an. Singen siegt. Weil es uns mit dem Sieger über den Tod verbündet. Ich hoffe, dass niemand von uns jemals in die Verlegenheit kommt, darüber nachdenken zu müssen, ob ein Gefängnis ein geeigneter Ort zum Singen ist. Aber ich wünsche uns das Vertrauen, das Paulus und Silas veranlasst hat, Gott auch in ihrer dunkelsten Stunde noch ein Lied zu singen. Denn Singen siegt. Amen.
Predigt
für den Pfingstmontag (06.06.22)
zu Num 11,1a.10-11.14-17.24-25
Ökumenischer Gottesdienst in Trechtingshausen
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde! Denken Sie auch schon mal: „Früher war alles besser!“? Manchmal erwische ich mich selbst dabei. Wenn ich mich zum Beispiel an den bombastischen Gottesdienstbesuch in meiner Heimatgemeinde in den 80er Jahren erinnere. Meistens ärgere ich mich aber dann im nächsten Moment denke: „Das stimmt doch gar nicht! Früher war nicht alles besser. Und im Übrigen – selbst wenn’s so wäre, es hilft doch nichts! Das Leben ist jetzt.“ Dieses rückwärtsgewandte Gejammere hat schon Mose angeätzt. Und Gott auch. Ich lese aus 4 Mose 11:
„Und das Volk klagte vor den Ohren des Herrn, dass es ihm schlecht gehe. Als nun Mose das Volk weinen hörte, alle Geschlechter miteinander, einen jeden in der Tür seines Zeltes, da entbrannte der Zorn des Herrn sehr. Und auch Mose verdross es. Und Mose sprach zu dem Herrn: Warum bekümmerst du deinen Knecht […], dass du die Last dieses ganzen Volkes auf mich legst? Ich vermag all das Volk nicht allein zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Willst du aber doch so mit mir tun, so töte mich lieber, wenn anders ich Gnade vor deinen Augen gefunden habe, damit ich nicht mein Unglück sehen muss. Und der Herr sprach zu Mose: Sammle mir siebzig Männer unter den Ältesten Israels, von denen du weißt, dass sie Älteste im Volk und seine Amtleute sind, und bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich hernieder kommen und dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst. Und Mose ging heraus und sagte dem Volk die Worte des Herrn und sammelte siebzig Männer aus den Ältesten des Volks und stellte sie rings um die Stiftshütte. Da kam der Herr hernieder in der Wolke und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die siebzig Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und hörten nicht auf.“
Liebe Gemeinde, als sich das zugetragen hat, steckte das Gottesvolk in einer tiefen Krise. „Früher war alles besser!“ jammerten die Leute. „Wären wir doch in Ägpyten geblieben! Da haben wir alles gehabt! Jetzt sitzen wir hier in der Wüste!“ Was sie anscheinend vergessen haben, ist, dass sie in Ägypten Sklaven waren. Als sie noch dort waren, wollten sie unbedingt frei sein und nach Haus ziehen in ihr Land. Als das dann wahr wurde und sie merkten, dass der Weg dorthin durch die Wüste ging, sehnten sie sich prompt wieder zurück. Auf allen Seiten herrschte dicker Frust. Das Volk war wütend auf Mose, der sie aus Ägypten herausgeführt hatte, Gott war sauer auf Sein maulendes Volk und Mose war sauer auf Gott: „Ey, Gott, ich pack das nicht mehr allein! Warum tust du mir das an, «dass du die Last dieses ganzen nörgelnden Volkes auf mich legst?»“
Mose wünscht sich lieber den Tod, als länger die Leitungsverantwortung für dieses Volk haben zu müssen. Jeder Betriebsarzt hätte Mose ein handfestes Burnout-Syndrom attestiert. Zum Glück hat Mose einen Chef, der seine Not ernst nimmt. Gottes Lösungsansatz für Seinen gebeutelten Boten heißt: Delegieren. Er erteilt dem Einzelkämpfertum eine Absage und empfiehlt Mose die Einführung eines Leitungsgremiums. 70 Älteste soll er sich suchen. Das Wort presbuteroi, das in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments an der Stelle steht, besagt nicht, dass die Auszuwählenden alle von Fülle oder Farbe ihrer Haare her so’ ne Frisur haben mussten wie Michael Knipp oder ich. Die presbuteroi waren die Häupter der Großfamilien. Den „Vorständen“ dieser Großfamilien kam in der nomadischen Verfassung des Volks Israel der Titel „Älteste“ zu. Entscheidend für die Wahl war also nicht das Alter, sondern die Rolle. Gesucht wurden Menschen, die Erfahrung hatten mit Verantwortung. Die in ihrem Alltag ihren Mann (und wir können für heute guten Gewissens ergänzen: ihre Frau) standen.
Mose macht sich auf die Suche und tut 70 „Presbyter“ auf, die sich um die Stiftshütte versammeln. Das war das mobile Heiligtum der Israeliten auf dem Weg in das gelobte Land. Eine Zeltkirche quasi. Diese 70 werden berufen, ab sofort mit Mose gemeinsam die Gemeinde zu leiten. Und dabei wird nicht nur die Verantwortung delegiert; auch der Heilige Geist wird „delegiert“ – verteilt auf die neuen Verantwortungsträger. Keine Beauftragung also ohne Begabung. Gott überträgt uns Aufgaben, aber Er befähigt uns auch dazu sie zu meistern. Mose wird dadurch entlastet, aber er verliert damit auch sein Alleinstellungsmerkmal. Er hat den Heiligen Geist nicht mehr für sich gepachtet. Die anderen bekommen Ihn auch.
In einem Kommentar zu dieser Bibelstelle habe ich gelesen: „Eigentlich sollten die Ältesten Mose entlasten, aber dann ist nur noch davon die Rede, dass der Heilige Geist sie in Verzückung versetzt. Hier liegt thematisch ein Bruch vor.“ Ich empfinde das - ehrlich gesagt –nicht als Bruch. Das ist doch die größte Hilfe, die Mose überhaupt passieren konnte, dass sich in dieser festgefahrenen Situation bei der miesen Stimmung Leute finden, die sich begeistern lassen. Die dem allgemeinen rückwärtsgewandten Gejammer und Lamentieren ungehemmte Freude an Gott entgegensetzen. Im Predigttext heißt es, dass die frisch eingeführten Presbyter oder Pfarrgemeinderäte begeistert sind „wie Propheten“, und gar nicht mehr aufhören. Propheten sind Menschen, die trotz allem Frust be-geistert sind. Die mehr sehen. Die mitten in der Wüste das gelobte Land vor Augen haben. Die für sich gewiss sind und anderen Mut machen: „Er ist da, unser Gott! Er ist mit uns unterwegs Richtung Zukunft, auch wenn der Weg dorthin durch die Wüste führt und wir manch Liebgewonnenes zurücklassen müssen.“
Ja, manchmal ist man geneigt zu sagen: „Früher war alles besser!“ Ob das stimmt, sei – wie gesagt – mal dahingestellt. Aber ich glaube schon, dass sich die Kirche im Moment auch in einer Wüstenzeit befindet. Im Krisenmodus. Und da wünsche ich mir für unsere Gemeinden das, was dem Volk Gottes damals geholfen hat: Menschen mit bleibender Begeisterung. Bleibender Begeisterung für Gott, für die Sache Jesu. Ich wünsche mir, dass der Heilige Geist uns auch den prophetischen Weitblick gibt – auf das, was dahinter liegt. Dass uns schwierige Situationen nicht entmutigen und die vielen Herausforderungen uns nicht erschlagen. Dass wir glauben können, dass Gott den Tod überwunden hat. Und dass unser auferstandener Herr dann wohl auch in der Lage sein wird, uns durch unsere Probleme im Leben hindurchzuhelfen –auch durch die Probleme im Leben unserer Gemeinden. Dann können wir uns den Satz: „Früher war alles besser!“ verkneifen. Denn Pfingsten ist, wenn man trotzdem begeistert ist. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
für Pfingsten (So. 05.06.22)
zu Apg 1,8
Liebe Gemeindeglieder!
Beim heutigen Online-Gottesdienst handelt es sich um eine Aufnahme des
Familiengottesdienstes zum 10jährigen Jubiläum der Ev. Kirchengemeinde Vierthäler.
Zu Beginn der Predigt werden die Kinder eingeladen nach vorne zu kommen. Ein
Geburtstagskuchen mit brennenden Kerzen wird herbeigetragen. Die Kinder
dürfen die Kerzen auspusten. Diese gehen aber von selbst wieder an
(es gibt solche Kerzen als Scherzartikel).
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Ups, was ist das denn?! Die Kerzen gehen immer wieder an. Obwohl Ihr sie ausgepustet habt! Komisch, ne? Aber - das passt zu Pfingsten. So war – oder besser gesagt – so ist das mit Jesus und Seiner Kirche auch. Als Jesus am Karfreitag gestorben ist, haben auch alle gedacht: „Jetzt ist es aus!“ Seine Jünger hatten ganz viel Hoffnung in Ihn gesetzt. Jesu hat Licht in ihr Leben gebracht. Er hat Kranke geheilt, Traurige getröstet, Menschen, die keiner mochte, gezeigt, dass Gott sie liebt. Dann wurde Er gekreuzigt. Sein Lebenslicht ausgepustet. Alles, was Jesus gemacht und gesagt hatte, schien damit ausgelöscht.
Aber – drei Tage später war Er wieder da und ist Seinen Freundinnen und Freunden begegnet. Gott hat Jesus auferweckt. Die Flamme war also quasi wieder angegangen. So wie hier auf dem Geburtstagskuchen. Am Anfang war ihr Licht klein. Die Jünger hatten Angst. Die sagten sich: „Wenn wir anderen das erzählen, dass Jesus auferstanden ist von den Toten – die halten uns doch voll für bescheuert! Nicht, dass die uns dann auch noch ans Kreuz nageln, weil wir selbst nach Seinem Tod noch zu Jesus halten!“ Aber Jesus hatte ihnen gesagt: „Ihr braucht keine Angst zu haben! Wartet’s ab.
„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen,
der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein“.
Dann kam Pfingsten. Und die Kraft des Heiligen Geistes kam auf die Jünger. Jetzt stellt euch den Heiligen Geist um Himmels willen nicht wie ein Gespenst vor; irgend so’n Wesen im Nachthemd, das da nachts voll spooky irgendwo rumwabert. Der Heilige Geist ist nichts anderes als Gottes Kraft, die unsichtbar ist, aber trotzdem da. So wie der Wind. Den sieht man auch nicht. Aber man spürt ihn. Und die Jünger haben Ihn damals gespürt, den Heiligen Geist. Auf einmal waren sie Feuer und Flamme und erzählten all den Menschen, die in Jerusalem waren, dass Jesus auferstanden war und den Tod besiegt hatte und dass Gott ganz nah ist. Ihre Angst war wie weggeblasen. Der Heilige Geist gab ihnen die Kraft und den Mut weiterzusagen, was sie mit Jesus erlebt hatten. Das war die Geburtsstunde der Kirche.
Da hatten die Menschen, die Jesus ans Kreuz hatten schlagen lassen, gedacht, die Sache mit Jesus hätte sich erledigt. Die Jünger selbst hatten gedacht, es sei aus. Stattdessen ging es da erst richtig los. Die kleine Gemeinschaft von Leuten, die sich um Jesus geschart hatten, hatte einen unglaublichen Zulauf. Ganz viele Menschen ließen sich anstecken von dem Licht, das Jesus in die Welt gebracht hat. So wie ganz viele Kerzen. Die gute Nachricht von Jesus hat sich so weit ausgebreitet, dass wir heute hier sitzen und Gottesdienst feiern im Namen Jesu und uns Christen nennen. Gottes Geist ist nicht zu stoppen!
Es hat viele Momente gegeben seit damals, wo Menschen gedacht haben: „Jetzt ist es aus! Die Kirche ist am Ende!“ Schon ein paar Wochen nach Pfingsten war das so, weil die Mächtigen, die Jesus gekreuzigt haben, tatsächlich auch Seine Jünger umbringen wollten. Die sind dann aus Jerusalem weggegangen in andere Städte und Dörfer. Aber glaubt nicht, dass die sich da versteckt haben. Nein, die haben dann den Menschen dort von Jesus erzählt. Und siehe da, statt dass sie kaputt ging, breitete sich die Kirche dadurch noch mehr aus.
So ging das immer wieder. Vor 13 Jahren haben wir hier auch gedacht: „Jetzt ist es aus!“ Damals gab es hier noch zwei Kirchengemeinden. Die Erwachsenen wissen das noch. Die eine hieß Bacharach-Steeg, die andere Oberdiebach-Manubach. In Bacharach-Steeg gab es eine Pfarrerin, die hieß Birgit Becker. Und ich war damals „nur“ für Oberdiebach-Manubach zuständig. Aber dann wurde Birgit Becker in die Kirchengemeinde Koblenz gewählt und war weg. Und die Pfarrstelle konnte nicht wieder besetzt werden. Das war ein ziemlicher Schock. Viele haben gedacht: „Das war’s dann wohl! Wie soll das denn gehen?! Mit nur einem Pfarrer?!“
Ganz ehrlich: Ich hab das auch gedacht. Aber – als wir uns das erste Mal getroffen haben mit beiden Presbyterien (mit Leuten aus beiden Kirchengemeinden), haben wir uns auf Anhieb gut verstanden. Die meisten kannten sich noch gar nicht und haben bei dieser Begegnung neue Leute kennengelernt, zum Teil sogar Freundschaften geschlossen. Das war ein echter Gewinn. Wir haben gemerkt: Es wird sich zwar manches ändern, wenn es nur noch eine Pfarrstelle gibt, aber das ist nicht das Ende. Es war also wieder nicht aus mit dem Licht, das Jesus in die Welt gebracht hat. Stattdessen wurde am 1. Juni 2012 die Evangelische Kirchengemeinde Vierthäler gegründet – entstanden durch den Zusammenschluss der Kirchengemeinden Bacharach-Steeg und Oberdiebach-Manubach. Und das hat richtig gut geklappt. Ohne Streit, ohne Chaos, ohne böses Blut. Das war der Heilige Geist am Werk! Heute wird unsere Kirchengemeinde zehn. Und wir sind immer noch eine lebendige Gemeinde. Trotz Fusion, trotz chronischem Geldmangel, trotz vieler Baustellen, trotz Corona. Gottes Geist ist nicht zu stoppen.
Jetzt steht die Kirchengemeinde wieder vor Veränderungen. Manche machen sich Sorgen, wie es weitergehen soll. Glaubt mir: Die Form von Kirche verändert sich, Kirchengemeinden ändern ihre Namen, Pfarrerinnen und Pfarrer kommen und gehen. Aber Einer bleibt: Jesus. Und der sagt uns: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen“! Dieser Geist ist weder zu stoppen noch zu toppen. Bei allen Veränderungen, bei allen Widerständen, bei allem Gegenwind, den die Kirche hat – das Licht, das Jesus in die Welt gebracht hat, geht nicht aus.
Die Kerzen auf dem Kuchen sind inzwischen wirklich ausgegangen. Jedes Bild hat irgendwo seine Grenzen. Kein Vergleich, der nicht hinkt. Bei dem Kuchen ist das sogar ganz gut, dass die Kerzen aus sind. Denn Ihr Kinder dürft jetzt ein Stück davon haben. Die Erwachsenen müssen mit dem Essen etwas warten. Wir bitten erst den Heiligen Geist, dass Er sich weiterhin spüren lässt, und singen das Lied „O komm, du Geist der Wahrheit…“.
Predigt
für den So. Exaudi (29.05.22)
Liebe Gemeindeglieder!
Der heute Online-Gottesdienst anlässlich des Gedenktags der Kirchweihe kommt aus der
Kirche Henschhausen. Der Predigt liegt folgender Text aus Röm 8,26-30 zugrunde:
Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will. Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde! Wissen Sie auch manchmal nicht, was Sie beten sollen? An Themen mangelt es eigentlich nicht. Es ist eher das Problem, die Dinge in Worte zu fassen. Da sitzt man dann da (oder liegt im Bett, je nachdem, wie Sie es mit dem Beten so halten) und hat irgendwie nur Brei im Kopf. Die Sorge um den Zustand unserer Welt tut ihr Übriges. Der grässliche Krieg gegen die Ukraine nimmt kein Ende, Corona auch nicht wirklich, stattdessen machen sich jetzt auch noch die Affenpocken breit. Zehn Monate nach den verheerenden Unwettern an Ahr und Erft nähren die Tornados in Lippstadt und Paderborn die Befürchtung, dass Deutschland zu einem Hotspot des Klimawandels werden könnte. Und die grauenvollen Nachrichten aus Texas setzen dem Ganzen noch das I-Tüpfelchen auf. Das alles hat schon das Potenzial, einem die Sprache zu verschlagen. Auch beim Beten. Der Apostel Paulus kannte diese Erfahrung. Sonst hätte er sich nicht im heutigen Predigttext aus Römer 8 dazu geäußert. Was er da schreibt, finde ich überaus beruhigend und tröstlich. „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen“, schreibt er.
Manches lässt sich mit Worten nicht ausdrücken. Da krampft man sich einen ab, meint, wunders weiß was Tolles sagen zu müssen, aber es „fluppt“ nicht. „Macht nix“, sagt Paulus. Wir brauchen dem lieben Gott keine wohl formulierten Vorträge zu halten. Manchmal tut es auch einfach ein Stoßseufzer, der mehr sagt als 1000 Worte. Gott hört und versteht auch den. Da können wir sicher sein. „Ihr braucht beim Beten nicht viel rumzuschwafeln. Gott weiß eh Bescheid!“, hat auch Jesus schon gesagt. Gott erforscht die Herzen und weiß, worauf der Sinn unseres Geistes gerichtet ist, heißt es im Predigttext. Das könnte man als unangenehm empfinden, vielleicht sogar als bedrohlich, wenn Gott so ein Big-Brother-Typ wäre, der einen nach Geheimdienstmanier beschattet und observiert. Aber unser Gott ist da anders unterwegs. Er weiß nicht nur, worauf der Sinn unseres Geistes gerichtet ist, sondern eben auch, worauf der Sinn Seines Geistes gerichtet ist. Nämlich darauf, dass Er für uns eintritt und unserer Schwachheit Abhilfe schafft, unserer Sprachlosigkeit Worte gibt und unserem Brei im Kopf Konturen.
Im Johannesevangelium wird der Heilige Geist oft als der parakletoV bezeichnet. Das ist eigentlich der Anwalt vor Gericht. Das heißt, Gott stellt uns Seinen Heiligen Geist zur Seite. Und Er stellt uns Seinen forschenden Blick zur Verfügung, damit wir uns selbst besser kennen lernen. Damit wir rankommen an die Tiefen unserer Gefühle. Damit wir Zugang dazu bekommen. Dieser forschende, durchdringende Blick Gottes ist immer zugleich ein freundlicher, liebevoller Blick, der nicht darauf aus ist uns fertigzumachen, sondern uns zu helfen mit unserem Leben fertig zu werden. Gott hat Gutes mit uns im Sinn. Er sieht uns, hat sich uns ausgeguckt, Er hat uns berufen und Er hat was mit uns vor. Er hat uns dazu vorherbestimmt, Seinem Sohn Jesus gleich zu werden. Was nichts anderes heißt, als dass wir Seine Kinder sind! Wohlgemerkt: Kinder. Wir sind Gottes Kinder, nicht Gottes Geheimräte. Unser Platz ist in Seinem Schoß, nicht an Seinem Schreibtisch.
Es gehört zur Erfahrungswirklichkeit eines Christenmenschen, dass sich in unserem Leben und in unserer Welt Dinge zutragen, die wir nicht verstehen. Die für unseren Glauben Störfeuer sind, die wir nicht ohne Weiteres integriert bekommen. Die uns mitunter die Sprache verschlagen. Auch beim Beten. Dann ist es gut zu wissen: Gott versteht uns. Auch wenn wir Ihn nicht immer verstehen. Kinder verstehen auch nicht alle Entscheidungen ihrer Eltern. Aber idealerweise haben sie trotzdem das Vertrauen, dass ihre Eltern es gut mit ihnen meinen.
So ist das in unserem Verhältnis zu Gott auch. Paulus spricht von dem Vertrauen, dass „denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“. In schwierigen Situationen und schmerzlichen Erfahrungen quält man sich ja schnell mit der Frage nach dem „Warum?“ Diese Frage führt aber oft einfach nicht weiter. Zielführender ist es zu fragen: „Wozu?“ Was kann ich mit Gottes Hilfe aus der gegebenen Situation machen, die ich mir nicht ausgesucht habe, aber in der ich mich nun mal jetzt befinde. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich bin nicht der Meinung, dass man sich jeden Mist im Leben schön reden soll und schlimme Erfahrungen religiös vergolden muss. Aber ich glaube schon und habe es durchaus auch erlebt, dass Gott aus dem Mist, der uns im Leben widerfährt, Dünger machen kann. Gott kann aus dem Mist unseres Lebens Dünger machen.
„Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“ Dieses Vertrauen ist ein Kennzeichen der Kinder Gottes. Und wenn ich „uns“ sage, dann heißt das, dass wir vor Gott nicht als Einzelkind da stehen. Den Status der Gotteskindschaft, den teilen wir uns mit vielen vielen anderen, die Gott genauso berufen hat, Seine Kinder zu sein. Wir sind eine große Familie. Eine Gemeinschaft, die trägt. Auch beim Beten. Vor 63 Jahren wurde diese Kirche hier an den Ortseingang von Henschhausen gestellt, damit sie jeden, der hier vorbei kommt, daran erinnert, dass da noch was ist. Dass da wer ist, der uns anbietet, dass wir unser Leben mit Ihm teilen und in Seinem Namen miteinander.
Wenn Sie das nächste Mal nicht wissen, was Sie beten sollen, dann denken Sie daran: Das ist keine Katastrophe. Das liegt dann nicht daran, dass Sie dafür zu blöd sind oder so. Sie brauchen auch nicht zu denken, dass andere das bestimmt viel besser hinbekommen. Nein. Wortfindungsstörungen beim Beten gehören zur christlichen Existenz dazu. Gott weiß das, und Er hilft uns. Durch Seinen Geist, der auch aus dem unaussprechlichsten Stoßseufzer noch ein Gebet machen kann. Und der uns die Vergewisserung gibt, dass wir bei all unserer Begrenztheit trotzdem Seine geliebten Kinder sind, eingebunden in eine Gemeinschaft, die einen gerade auch dann trägt, wenn man selbst keine Worte mehr findet. Wo man getragen wird von den Gebeten anderer oder sich einklinken darf in die Worte anderer.
Manchmal hilft es, einfach dieses Buch zur Hand zu nehmen. In unserem Gesangbuch stehen hinten viele tolle Gebete drin. Nicht alles passt bei jeder Gelegenheit, aber irgendwas passt immer. Ich lade Sie ein, das mal auszuprobieren und zusammen das Gebet unter der Nummer 948 zu beten.
- EG 948 -
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Predigt
für Christi Himmelfahrt (Do. 26.05.22)
zu Apg 1,3-4.8-11 i.V.m. Mt 28,16-20
Gottesdienst in Oberdiebach mit Abendmahl der Konfirmand*innen
Jesus zeigte sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. Und als er mit ihnen beim Mahl war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr – so sprach er – von mir gehört habt. Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. Und als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. (Apg 1,3-4.8-11)
Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. (Mt 28,16-20)
Liebe Gemeinde! Irgendwie ist das heute buchstäblich ein ziemlich abgefahrenes Fest: Christi Himmelfahrt. Manche Zeitgenossen wittern darin eine Kampfansage an den gesunden Menschenverstand und sagen: „Dass Jesus „in den Himmel aufgefahren“ sein soll, geht ja wohl gar nicht! Wer das glaubt, hat sie nicht alle am Christbaum!“ Jetzt ist es aber so, dass drei der vier Evangelien in der Bibel und der Apostel Paulus gar nichts von einer Himmelfahrt berichten. Einzig der Evangelist Lukas hat diese Geschichte aufgeschrieben. Der aber dafür gleich zweimal. Eine Version haben wir gerade gehört, in der ersten Lesung aus Apg 1. Die andere Version steht am Ende des Lukasevangeliums. Die beiden Fassungen sind so unterschiedlich, dass auf der Hand liegt: Es geht dem guten Lukas nicht darum zu sagen: „Genau so ist es gewesen!“ Die Kernaussage von Himmelfahrt ist nicht, dass Jesus der Firma Kone Konkurrenz macht, indem Er Wolken in Aufzüge verwandelt. Himmelfahrt bedeutet: Die Zeit, wo Jesus sichtbar auf der Erde war, ist zu Ende. Jesus ist zurück gekehrt in die Welt Gottes. Dafür steht in der Himmelfahrtsgeschichte die Wolke. Die Wolke ist in der Bibel ein Zeichen für die unsichtbare Gegenwart Gottes. Eine Wolke verstellt den Blick auf etwas, das trotzdem da ist.
Wenn ich bei schlechtem Wetter drüben bei uns im Pfarrhaus aus dem Fenster gucke, kann ich manchmal vor lauter tief hängenden Wolken nicht bis zum Kräuterberg sehen. Jemand, der bei so einem Wetter zum ersten Mal bei mir im Arbeitszimmer sitzt und rausguckt, der kann sich überhaupt nicht vorstellen, wie es auf der anderen Seite vom Tal aussieht. Der würde vielleicht gar nicht vermuten, dass da ein Berg ist. Trotzdem ist der da, der Kräuterberg. Und so ähnlich ist das mit Jesus auch. Wir können Ihn nicht sehen, und trotzdem ist Er da. Dafür steht – wie gesagt – als Symbol die Wolke in der Himmelfahrtsgeschichte. Die ersten Leser der Apostelgeschichte haben das gewusst.
Manchmal kann man die Bibel besser verstehen, wenn man sich ein bisschen über die Hintergründe schlau macht. Es gibt da nämlich noch was: Damals, zur Zeit Jesu, war die Vorstellung, dass herausragende Persönlichkeiten in den Himmel entrückt wurden, total verbreitet. Wenn z.B. ein römischer Kaiser starb, wurde gesagt: „Er ist in den Himmel aufgefahren“. Damit wurde diesem Kaiser bescheinigt, dass er mehr war als ein normaler Mensch. Der wurde dann als Gott verehrt. Wenn man das weiß, dann wird deutlich: Das war damals die totale Provokation, zu sagen: „Jesus ist in den Himmel aufgefahren!“ Keine Kampfansage an den gesunden Menschenverstand, aber eine Kampfansage an den totalitären Kaiserkult. Das hieß nämlich im Klartext: Nicht der Kaiser in Rom wird von Gott zum Weltherrscher ernannt, sondern ein gekreuzigter Wanderprediger aus dem Provinznest Nazareth! Er ist der Herr! Das ist die Kernaussage der Himmelfahrtsgeschichte: Jesus ist der Herr! Und der ist nicht weg, sondern da!
Ich glaube, das muss man einfach wissen, um mit diesem Tag heute was anfangen zu können. Nochmal: Das Motiv „Himmelfahrt“ war im Römischen Reich verbreitet und sagte: „Dieser Mensch hat göttlichen Rang. Er ist der Herr!“ Und das Motiv der „Wolke“ steht für die unsichtbare Welt Gottes. Wir sagen zu dieser unsichtbaren Welt Gottes „Himmel“. Nicht zu verwechseln mit dem Himmel, den wir sehen. Wir haben da als Deutsche ein sprachliches Problem. Die Engländer haben’s einfacher als wir. Die benutzen für diese beiden völlig verschiedenen Himmel zwei verschiedene Wörter: "Sky" und "heaven".
"Sky", das ist das Blaue da oben, wo Flugzeuge fliegen, wo Wolken ihre Bahnen ziehen, wo Satelliten rumkreisen, wo wir nachts die Sterne sehen. "Heaven", das ist die unsichtbare Wirklichkeit Gottes. Ein Himmel, der nicht weit weg ist, sondern uns umgibt, der sowohl da oben ist als auch hier unten, um uns rum und sogar in uns drin. Manchmal merken wir das auch. Wenn man verliebt ist, sagt man: „Ich bin im siebten Himmel!“ Damit meint man ja auch nicht, dass man plötzlich irgendwo hinter’m Jupiter sitzt. Sondern dass man das Gefühl hat, vor lauter Glück bald abzuheben. Das, wohin Jesus bei Seiner „Himmelfahrt“ „aufgefahren“ ist, ist nicht der sichtbare Himmel, nicht "sky", sondern "heaven", die unsichtbare Welt Gottes.
„Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“ Mit diesen Worten verabschiedet sich Jesus im Matthäusevangelium von den Jüngern. Will heißen: „Ich bin immer und überall für Euch da!“ Wäre Jesus Mensch geblieben, wäre das nicht gegangen. Ein Mensch ist an Raum und Zeit gebunden. Er kann immer nur an einem Ort gleichzeitig sein. Gott ist nicht an Raum und Zeit gebunden. Er ist immer und überall da, weil Er keine Grenzen hat. Der Preis dafür ist, dass man Ihn nicht sehen kann. Wenn Lukas sagt, Jesus ist in den Himmel aufgefahren, dann heißt das: Jesus ist jetzt wieder ganz bei Gott. Und Er ist wieder ganz wie Gott – nämlich immer und überall da. Nicht mehr sichtbar, aber dafür auch nicht mehr begrenzt.
Bevor Jesus sich von Seinen Jüngern verabschiedet, verspricht Er ihnen mehrmals: „Ich schicke Euch den Heiligen Geist!“ Der Heilige Geist ist diese unsichtbare und grenzenlose Gegenwart Jesu. Hat nichts mit Gespenstern zu tun, sondern der Heilige Geist ist der Geist, von dem es in 2 Tim 1,7 heißt: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ Der Geist, der uns hilft, wenn wir morgens nicht aus dem Bett kommen, wenn wir denken: „Hilfe, ich pack das nicht!“ Der uns Kraft gibt und uns sagt: „Du schaffst das!“ Der Geist, der uns hilft, liebevoll mit anderen umzugehen und nicht zum Schreckgespenst für andere zu werden. Der Geist, der uns besonnen macht, uns von Zeit zu Zeit dran erinnert, dass es ganz hilfreich ist, wenn man erst das Hirn einschaltet und dann erst den Mund aufmacht. Und der uns dran erinnert, dass wir nie allein sind, sondern uns drauf verlassen können: Jesus ist bei uns.
Also: „Himmelfahrt“ hat nix mit Raumfahrt ohne Rakete zu tun, sondern Himmelfahrt ist ein Anti-Alleinfühl-Fest. Keine Kampfansage an unseren gesunden Menschenverstand. Sondern eine Kampfansage an unsere Angst vor Einsamkeit. Wer daran glaubt, ist nicht von allen guten Geistern verlassen. Im Gegenteil. Jesus sagt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt!“ Das gilt. Ganz gleich, wie abgefahren dieses Fest manch einem vorkommen mag. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Predigttext am Sonntag Rogate aus Lukas 10, 5-13
Und er sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, und der drinnen würde antworten: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf. Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? Oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
Liebe Gemeinde,
der Predigt heute liegt Jesu Gleichnis „Vom bittenden Freund" zugrunde, das Lukas überliefert hat. Bei einigen Gleichnissen kennt man leider den Zusammenhang nicht, in den hinein Jesus seine Beispielgeschichten stellte. Aber hier ist es anders: Mit dem Gleichnis vom bittenden Freund hat Jesus die Gebetsanleitung für seine Jünger anschaulich gemacht. Wieder einmal, so berichtet Lukas, haben Jesu Jünger erlebt, dass sich ihr Meister an einen ruhigen Ort zurückzog und betete. "Als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte".
Nur einer traute sich, das auszusprechen, was ihnen allen auf der Seele lag. Es gab doch schon eine reiche Gebets-Tradition im Judentum, hatten sie denn nicht ein ganzes Gebet- und Singbuch in den 150 Psalmen? Das waren doch viele Gebets-Formulare, in die sie ihre eigenen Sorgen und Nöte, ihren persönlichen Dank und ihre Anbetung hinein legen konnten. Sie wollten ganz bestimmt diese große Gebetstradition nicht für überholt erklären. Aber, liebe Gemeinde, seit die Jünger in Jesu Nachfolge gerufen worden waren, hatten sie viel Neues erlebt: So wie Jesus sich zum Gebet an einsame Orte zurückzog statt öffentlich zu beten, wie sich seine Lehre oft von der offiziellen theologischen Meinung unterschied, so wollten sie auch im Gebet neue Wege gehen, in seine Fußstapfen treten: Lehre uns beten, Herr. Wie oft haben die Jünger ihren Meister im Gebet versunken gesehen. Sie hatten sicher den Eindruck, dass Jesus Gott dabei ganz, ganz nahe war. Das Geheimnis seiner Gebets-Sicherheit, das wollten auch sie gerne erfahren und erlernen. Und er lehrt sie das kurze „Vater unser“!
In diesen zwei Worten „Vater unser“ hat Jesus jede Distanz zwischen dem Angerufenen und den Betenden aufgehoben. So hilfreich und gut uns das heute vorkommt - die Jünger Jesu haben wohl etwas ganz anderes erwartet, sie müssen ziemlich sprachlos gewesen sein. Nicht einmal der impul-sive Petrus ist hier mit einem zustimmenden Wort zitiert. Aber vielleicht dachten sie: Dürfen wir denn so beten? Wird Gott solche Gebete überhaupt an-hören und auch er-hören? Unser Herr Jesus aber las nicht nur die Hintergedanken seiner Gegner, sondern sah den Seinen ins Herz. Es war ihm ein großes Anliegen, sie "gebetstüchtig" zu machen. Und so rahmt er sein Gebets-Muster zum besseren Begreifen mit seinem Gleichnis vom bittenden Freund ein, das wir als Evangelium gehört haben.
Beten lernen ist sehr schwer; hier haben wir das beste Beispiel. Immer noch hebt keiner der Jünger freudig die Arme und sagt "Halleluja, der Allmächtige ist unser bester Freund, bei dem wir nicht vergeblich anklopfen"... Darum fasst Jesus seine Gebets-Lehre in drei Merksätzen zusammen, einem dreifachen Bet-Geheimnis: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Wie schwer und zäh das beten lernen ist, wurde nirgendwo deutlicher als hier. Immer noch steht unserem Herrn Jesus ein Häuflein unsicherer Jünger gegenüber. Dass es so direkt ist, das Beten, das will ihnen gar nicht in den Kopf: Bitten, suchen, anklopfen - und darauf gibt Gott Antwort? Wird er geben, worum wir ihn bitten? Der Rabbi Jesus, der Lehrer des Neuen, er gibt auch darauf Antwort: Wenn ein Kind seinen Vater um einen Fisch oder ein Ei bittet, dann wird der ihm niemals eine Schlange oder einen Skorpion geben! Nun scheint das Aufatmen gekommen zu sein, die Freude: Jesus, Herr, das bedeutet doch, dass Gott über alle Maßen geben wird, aber vor allem wird er den Heiligen Geist geben. Ein gelungenes Gebet hat nichts mit unserer Klugheit und Sprachgewandtheit zu tun - es ist Gott, der unser Gebet erst zum rechten Gebet macht.
Jesus vermittelt seinen Jüngern hier Schritt für Schritt nicht nur eine Gebetslehre, sondern ein ganz neues Gottesbild: Ein wirklicher Freund, sagt er, wird euch schon keine Bitte abschlagen, obwohl er euch aus gutem Grund vertrösten könnte bis zum Morgen. Wie sollte Gott euer Gebet überhören, der doch euer Vater ist, dem ihr vertrauen könnt. Er hat das Heil für euch im Sinn, kein Unheil! Ihr müsst auch keine große Gebetskunst beherrschen, um eures Vaters Ohr zu erreichen. Ihr müsst keine Vorleistungen erbringen, damit ihr überhaupt das Recht habt, den Mund aufzumachen. Beten ist euer Kindes-Recht! Euer Gebet spricht das Herz Gottes an, wenn ihr ihn so vertrauensvoll anruft, wie ich es euch sage: Vater! Jesus hat dieses Vertrauen bewahrt bis zum bitteren Tode. Sein Gebet am Kreuz hat die höchste Vollendung erreicht. Zum traditionellen Abendgebet des frommen Juden gehört ein Vers aus dem 31. Psalm: In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott. Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! So schrieb es auch Lukas für die Christen auf.
Lehre uns beten! Aber, liebe Gemeinde, wie ist es mit der Gebetserhörung? Wie erfüllt Gott unsere Bitten, welches Echo hören wir auf unsere Hilferufe in Angst und Not? Es beten doch gerade in diesen Wochen so viele um Frieden für die Menschen in der Ukraine! Seien wir ehrlich: Bitten wir ihn nicht gerade, was die Kriegstreiber angeht, regelrecht um eine Schlange oder den Skorpion, damit diese Unmenschen aus dem Verkehr gezogen werden? Aber Gott gibt uns das nicht: Er gibt uns stattdessen den Fisch und das Ei, also lebenserhaltende Gaben und lebenserneuernde. Und er gibt uns den Heiligen Geist, damit wir Vertrauen lernen.
Gott erhört uns anders, als wir denken. Gott nimmt die Steine nicht weg, die uns den Lebensweg so schwer machen, aber er gibt uns in schweren Zeiten mehr Kräfte - auf Zeit. Wir müssen uns auch daran gewöhnen, dass Gottes Mühlen langsamer mahlen als wir es gern hätten, aber sie mahlen sicher. Und vergessen wir nicht auch allzu schnell die Guttaten, die Gott wirkt? Denkt nur an die unblutige Wiedervereinigung Deutschlands, auch wenn es mehr als vierzig Jahre gedauert hat ...
Jesus selbst verbürgt sich seinen Nachfolgern dafür, dass der Vater hört und ermuntert damit auch uns: Nicht aufhören, zu beten! Wir sollen uns an unseren Vor-Beter Jesus halten, der in Todesangst um unserer Rettung willen gebetet hat: Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!
Wir wachsen im Gebet über uns hinaus. Wir stehen mit den Füßen zwar noch auf dieser Erde. Aber Jesus will, dass wir in unserer Erdgebundenheit schon die Freiheit der Kinder Gottes haben, dass wir "seinen Draht" zu Gott nutzen, uns an seinen vertrauensvollen Dialog mit dem Vater "dran-hängen". Dazu wird kein Satellit gebraucht, keine Funkantenne - nur ein ernsthaftes Bemühen. Die Gebetsanleitung, die Jesus den Seinen gab, sie ist zur weltweiten Gebetsgemeinschaft geworden und bildet ein Rettungsnetz um unsere erlösungsbedürftige Erde herum. Ein Osterlied sagt es deutlich: Wär ER nicht erstanden, so wär die Welt vergangen. Seit dass er erstanden ist, so lobn wir den Vater Jesu Christ.
Vater! Diese neue Verbindung zu Gott hat Jesus für die Seinen hergestellt, und sie ist todeserprobt! Und darum dürfen wir den Namen "Vater" als Schlüssel benutzen, der unserem Gebet den Himmel erschließt. Im Gebet sind wir sozusagen in Gottes Arm "gebettet". Da sind wir dem Vaterherzen ganz nahe. Er erlaubt uns diese Nähe um Christi willen. Deswegen darf das Gebet auch hartnäckig, ja sogar unverschämt werden, wie Jesus es im Gleichnis erzählte.
Darum ist es mehr als eine gute Tradition, dass wir in unseren Gottesdiensten, in Freude und Leid, gemeinsam das Gebet des Herrn sprechen: Es ist unser großes Recht und vor allem eine große Ehre für uns, mit Jesus zu beten. Sein dreifaches Bet-Geheimnis mit der dreifachen Verheißung möge uns immer wieder zum Beten ermutigen: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden;klopfet an, so wird euch aufgetan.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist alle Vernunft, bewahre
unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn.
Predigt Sonntag Kantate 15.05.2022
Predigttext: Kolosser 3, 12 – 17
„So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.“
Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen.
Liebe Gemeinde!
Kleider machen Leute – so heißt eine bekannte Novelle des Schweizer Schriftstellers Gottfried Keller,
und so sagt es auch der Volksmund. Und in der Tat sagt die Kleidung, die jemand trägt,
viel darüber aus, wie er von anderen gesehen werden möchte. Schon Kinder mögen es, sich zu verkleiden.
Sie probieren aus, wie es ist, jemand anderes zu sein.
Sie schlüpfen in Rollen. Dabei verändern sie nicht nur ihr Äußeres, sondern auch sich selbst: Mädchen werden zur Prinzessin, Jungen brauchen nur ein Schwert aus Holz und einen Umhang aus Stoff – schon sind sie ein Ritter.
Ich kann mich noch gut erinnern, als meine Töchter mit den Sachen ihrer Oma von Früher sich verkleideten, ein schönes Kleid, Schuhe mit Absatz und alles war perfekt.
Auch wir Erwachsene wechseln unsere Kleider in unterschiedlichen Lebenssituationen.
Was ziehe ich an: zur Konfirmation, zum Bewerbungsgespräch, zur Hochzeit?
Was trägt man am ersten Tag eines neuen Lebensabschnitts? Diese Fragen stellen sich immer wieder, besonders an den Übergängen von Lebensphasen. Denn oft beginnen
neue Lebensabschnitte mit dem Anziehen neuer Kleider.
Auch der heutige Predigttext spricht von der Bedeutung einer neuen Kleidung.
Paulus legt uns eine Garderobe ans Herz. Mit neuen Gewändern sollen wir uns einkleiden. Für den Apostel geht es jedoch nicht um einen vorübergehenden Kleiderwechsel oder um ein Gewand, welches unser Lebensgefühl für eine gewisse Zeit positiv verändern kann, sondern er lädt uns ein, Kleidungsstücke anzuziehen, die von Dauer sind.
„Herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld.“
Diese Kleidungsstücke sollen uns zur zweiten Haut werden.
Es sind Tugenden für das Leben von Menschen unter Menschen. Tugenden, die eine Lebenshaltung sichtbar werden lassen, einem neuen Gewand
vergleichbar.
„Auserwählte Gottes, Heilige, Geliebte“: Das sind wir. Gott sieht uns als etwas Besonderes an.
So wie Eltern ihre Kinder mit liebevollen Augen ansehen. Und dieser Blick verändert. Denn es macht einen Unterschied, ob ein Kind mit dem liebevollen Blick seiner Eltern angesehen wird oder mit einem Blick,
der darauf lauert, dass das Kind etwas falsch macht.
Wenn ein Kind spürt, dass man ihm etwas zutraut und dies auch zeigen kann, dann stärkt das sein Selbstvertrauen.
Der erhobene Zeigefinger hingegen schadet mehr als er nützt.
Der Blick, mit dem wir angesehen werden, verändert auch uns. Gottes Blick verändert uns. Und so werden wir das, was wir in Gottes Augen schon sind: Geliebte
Kinder, Auserwählte Gottes, Heilige.
Doch als solche, die schon von Gott geliebt und angenommen sind, sollen wir auch leben.
Paulus beschreibt ganz konkret wie das neue Leben aussieht. „Zieht an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander… und seid dankbar.“
Viele Empfehlungen reihen sich hier aneinander, und vielleicht haben wir auch Mühe mit dem erzieherischen Unterton dieser Worte.
Die Liebe ist das erste Wort. Nicht die Aufforderung zum Kleiderwechsel, sondern der Zuspruch: Ihr seid erwählt.
Ihr seid geliebt. Ihr seid heilig. Gottes Liebe bleibt. Sie ist das Fundament, auf dem wir gehen und stehen.
Diese Botschaft ist das Herzstück des heutigen Predigttextes.
Denn wir wissen, dass wir an der Fülle der Ermahnungen des Kolosserbriefs auch scheitern können.
Denn wir müssen immer wieder neu üben und schaffen es doch nicht immer, den mürrischen Nachbarn freundlich zu grüßen; uns nicht zu ärgern über die Autofahrerin, die uns die Vorfahrt nimmt; jedem gegenüber geduldig und gelassen zu sein, auch wenn die Hektik des Alltags uns überrollt.
Ich weiß auch, dass es ist nicht immer einfach sich korrekt zu verhalten und ertappe mich selbst dabei und weiß das ich auch immer wieder neu üben
muss.
Die Tugenden, die Paulus benennt, stellen uns jedoch in ein Aufgabenfeld, in dem wir uns jeden Tag neu bewegen dürfen. Im Bild des Kleiderwechselns kann das so aussehen: Die neuen Kleider liegen schon in unserem Schrank – bereit zur Anprobe.
Es sind unsere Kleider. Sie gehören zu uns und stehen uns wunderbar.
Wir entscheiden jeden Tag neu, ob wir sie tragen.
Vielleicht ist das eine oder andere Kleidungsstück gefühlt noch etwas zu groß. Vielleicht müssen wir innerlich erst noch hineinwachsen – uns an das neue Kleid gewöhnen.
Aber wir wollenes versuchen und ausprobieren, wie es sich anfühlt, es zu tragen: d.h. freundlich und geduldig zu sein; den Anderen sein zu lassen, ihn zu
ertragen, ihn nicht verändern zu wollen; jedem, der uns begegnet, mit Liebe begegnen; nicht nachtragen, sondern vergeben, wo immer es uns möglich ist.
„Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit“, schreibt Paulus.
Die Liebe ist nicht in die Aufzählung der Forderungen einzureihen, sondern eine Lebenshaltung.
Aus ihr erwachsen und leben alle genannten Haltungen und Tugenden.
Paulus nennt die Liebe ein Band der Vollkommenheit. Sie ist wie ein Gürtel, der hilft, dass die Hose richtig sitzt.
Ohne die Liebe im Herzen würden uns auch die neuen Kleider nicht richtig passen, sie würden verrutschen oder abfallen. Die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält:
Uns und die anderen, eine ganze Gemeinschaft.
Wo Liebe regiert, wird das Leben menschenfreundlich und gnädig.
Die Liebe gehört untrennbar zu den neuen Kleidern.
Sie ist das Accessoire, das dem neuen Outfit ein markantes und persönliches Markenzeichen verleiht.
Wo findet es sich im alltäglichen Leben und wie wirkt es sich dort aus?
Denken wir daran, wie schnell in den vergangenen Wochen Wohnungen eingerichtet worden sind, um geflüchteten Menschen aus der Ukraine ein Zuhause zu geben,
oder an die große Hilfs- und Spendenbereitschaft in unserem Land an vielen Orten.
Überall dort, wo Menschen zusammenstehen und füreinander Sorge tragen, wo Menschen all ihre Kraft aufbringen, um einander zu helfen, strahlt das Band der Liebe Gottes in unserem Leben auf.
Gott spricht zu uns in der Sprache der Liebe und Barmherzigkeit: Ihr seid erwählt. Ihr seid geliebt.
Das gibt uns Kraft, Halt und Orientierung auf unserem Lebensweg.
Liebe Gemeinde!
Doch vielleicht erleben wir Gott ja auch noch ganz anders: Im Klang der Musik, im gemeinsamen Gesang, in der Nähe zu anderen.
„Mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen“, schreibt Paulus.
Besonders der Sonntag Kantate lädt zum Gotteslob ein.
Singen tut der Seele gut – und wie sehr gerade auch unsere Gottesdienste von der Musik leben, hat uns die Pandemie gelehrt. Wir haben es über viele Monate zu spüren bekommen, wie es ist:
Gottesdienste ohne gemeinsamen Gesang.
Corona hat es uns noch klarer gemacht, wie sehr uns die Musik – gerade im kirchlichen Umfeld - fehlen kann.
Singen bringt uns zum Schwingen. „Wer singt, betet doppelt“, sagte einst der Kirchenvater Augustin.
Denn Singen bringt uns in die Nähe Gottes.
Gemeinsame Lieder, geistliche Lob- und Dankgesänge öffnen aber auch unseren Blick für uns selbst und für andere.
Denn miteinander tauchen wir ein in Melodie und Wort, werden eins mit der Musik und spüren, wie sie in den tiefsten Schichten unserer Seele wirkt und uns
verändert: z.B. fröhlich macht und getrost.
Was spricht Gott zu uns in Wort und Melodie?
Ich sehe dich. Ich weiß, was dich beschäftigt. Ich helfe dir, den richtigen Weg zu finden. Was dich belastet, trage ich für dich. Mir kannst du vertrauen. Auch wenn die Glocken läuten zum Vaterunser, spricht Gott zu uns in Wort und Klang. – Diese Worte verbinden mit Jesus Christus. Sie verbinden uns und die ganze Welt. Amen.
Und der Friede Gottes, der weiter reicht, als wir es fassen können, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
für den So. Jubilate (08.05.22)
zu Apg 18,9b-10a i.V.m. Röm 12,21
Gottesdienst in Manubach mit Taufe von Liam und Konfirmation von Charleen
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde! „Fürchte dich nicht…“, haben wir gerade gesungen. Eigentlich sollte man meinen, Menschen, die an Gott glauben, brauchen sich nicht zu fürchten. Soweit die Theorie. In der Praxis gibt es aber genug Dinge, die trotzdem Angst machen. Wenn man sieht und hört, was in der Ukraine abgeht und man sich fragt, wie das weitergeht… Und dann sind da noch die ganz individuellen Ängste und Sorgen. Zum Beispiel vor einer Klassenarbeit oder vor einem Arzttermin, vor einer Herausforderung auf der Arbeit oder vor einem ganz bestimmten Menschen, der uns mit seinem Gehabe einschüchtert oder fertigmacht. Doch, es gibt sie zuhauf: Dinge, die uns Angst machen. Von Zeit zu Zeit brauchen wir den Zuspruch: „Fürchte dich nicht!“ 122 Mal kommt dieser Satz in der Bibel vor: „Fürchte dich nicht!“ oder „Fürchtet euch nicht!“ Das ist die Botschaft der Engel auf den Feldern bei Bethlehem in der Weihnachtsgeschichte. „Fürchtet euch nicht!“ Das sagt der Auferstandene zu den Frauen, die früh am Ostermorgen zu Seinem Grab kommen um zu trauern. „Fürchte dich nicht!“ Das sagt Jesus in einer nächtlichen Erscheinung auch zum Apostel Paulus. Und dieses Wort haben Sie als Taufspruch für Liam ausgesucht – aus Apostelgeschichte 18,9-10:
„Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht!
Denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen dir zu schaden.“
Als ich Sie gefragt habe, warum es Ihnen wichtig ist, Liam taufen zu lassen, sagten Sie: „Damit er geleitet, geführt und getragen wird. Und damit er es ein bisschen leichter hat.“ In dem Taufspruch aus der Apostelgeschichte sehen Sie alle diese Aspekte vereint. „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen dir zu schaden.“ Paulus ist der, von dem wir eben in der Lesung gehört haben. Er ist als Apostel (d.h. als Gesandter) durch die halbe damals bekannte Welt gezogen, hat den Menschen von Jesus erzählt und sie zum Glauben eingeladen. Oft ist er dabei in Schwierigkeiten geraten. Die Botschaft, dass jemand von den Toten auferstanden sein soll, hat schon damals Spott hervorgerufen. Manchmal kam es auch schlimmer, und Paulus und seine Mitarbeiter wurden bedroht oder sogar gefangen genommen und gefoltert. So dramatisch ist es bei uns – Gott sei’s gedankt – nicht. Aber dass man komisch angeguckt wird, wenn man sagt: „Ich geh in die Kirche und lass mein Kind taufen.“ Oder „Ich lasse mich konfirmieren!“, das kann einem schon passieren.
Der Taufspruch von Liam sagt: „Steh mutig zu dem, was Du denkst und was Du glaubst und was Du für Dich als richtig erkannt hast! Du musst Dich nicht wegducken, Du brauchst Dich nicht zu fürchten, sondern kannst sagen, was zu sagen ist. „Niemand soll sich unterstehen Dir zu schaden.““ Ich finde, das ist ein ganz starker Satz. Du stehst unter Gottes persönlichem Schutz, lieber Liam. Und Du darfst und sollst Dich frei und offen zu Ihm bekennen. Frei und offen bekennen – dafür ist Liam im Moment noch zu klein. Das ist heute Dein Part, liebe Charleen. Du wirst gleich konfirmiert, und das ist ein öffentliches Bekenntnis zu Gott und zu Jesus. Das Wort Konfirmation kommt aus dem Lateinischen. „Confirmare“ heißt auf Deutsch: „bekräftigen“, „bestätigen“ oder „festmachen“. Das gilt in einem doppelten Sinn und in einer doppelten Richtung:
1. Du bekräftigst und bestätigst heute Deine Taufe und setzt quasi Deine Unterschrift unter den Vertrag, den Gott Dir damals in die Hand gedrückt hat. 2. Gott bekräftigt Sein Versprechen, dass Er immer für Dich da ist und Dich behütet und beschützt. Und Du darfst Dich an Ihm festhalten und in Ihm festmachen. Du hast Dir als Konfirmationsspruch ein Wort aus Römer 12,21 ausgesucht. Da heißt es:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Als ich Dich gefragt habe, was Dich daran angesprochen hat, sagtest Du, dass Du dieses Wort als Ermutigung verstehst Dich nicht runterziehen zu lassen von dunklen Gedanken und Gefühlen. Dich nicht beherrschen zu lassen vom Bösen, sondern dem Gutes entgegenzusetzen bzw. den Gedanken an etwas Gutes. Was echt Gutes ist diese Zusage aus dem Taufspruch Deines Bruders: „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen dir zu schaden.“ Dieses Versprechen gilt auch Dir und jeder und jedem von uns. An diesem Versprechen darfst Du Dich festmachen – gegen alle Angst, gegen unheimliche Gefühle und böse Erinnerungen oder Gedanken.
Ich will mal konkret machen, wie das praktisch aussehen kann. Manchmal wird man ja morgens wach mit einem Kloß im Bauch bei dem Gedanken an das, was der Tag alles an Unangenehmem für einen bereithält: Zum Bus rennen in der Hoffnung, dass man ihn noch kriegt, 'ne Klassenarbeit vor’m Kopf, vielleicht ein Konflikt mit einem Mitschüler oder einer Mitschülerin… Da hilft es, einen Augenblick auf der Bettkante sitzen zu bleiben und zu überlegen: „Was von dem, wovor ich gestern um diese Zeit Angst hatte, ist am Ende doch gut gelaufen – oder zumindest besser, als erwartet?“ Da wird es immer etwas geben. Und wenn man sich das dann vergegenwärtigt, dann stärkt das das Vertrauen zu Gott, dass Er einem auch durch diesen neuen Tag helfen wird.
Das heißt sich nicht vom Bösen, von Ängsten oder dunklen Gedanken überwinden zu lassen, sondern sie mit der Erinnerung an und mit der Hoffnung auf Gutes zu überwinden. Auf diese Weise kann man auch gelassener mit Konflikten umgehen. Denn die belasten einen erfahrungsgemäß ja immer besonders. Dann zu wissen: „Ich muss mich um Gottes willen jetzt nicht dazu hinreißen lassen, es dem oder der anderen heimzuzahlen, ich muss mich nicht auf das Niveau herablassen, sondern ich darf sagen: „Nein, ich lass mich jetzt hier nicht vom Bösen überwinden, sondern ich kann und werde das Böse mit Gutem überwinden. Weil ich unter Gottes persönlichem Schutz stehe, kann ich da gelassen rangehen.““ Wenn man das probiert, hat man zwar auch als glaubender Mensch nicht gleich ein gänzlich angstfreies Leben, aber zumindest gibt die Angst nicht mehr den Ton an. Sondern Gott.
Eines müssen wir uns immer wieder klarmachen: Der, der in der Auferweckung Jesu den Tod bezwungen hat, der ist auch in der Lage uns bei der Bewältigung unseres Alltags zu helfen. Dieser Gott wird nicht müde uns zu sagen: „Fürchte dich nicht!“ „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen dir zu schaden.“ Und „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Predigt
für den So. Misericordias Domini (01.05.22)
Liebe Gemeindeglieder!
Der heute Online-Gottesdienst anlässlich des Gedenktags der Kirchweihe kommt aus der
Kirche St. Moritz in Oberdiebach. Der Predigt liegt folgender Text aus Joh 21,15-19 zugrunde:
Als sie das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben?“ Er spricht zu ihm: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Lämmer!“ Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Petrus spricht zu ihm: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Schafe!“ Spricht er zum dritten Mal zu ihm: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: „Hast du mich lieb?“, und sprach zu ihm: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Spricht Jesus zu ihm: „Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst.“ Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod Petrus Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: „Folge mir nach!“
Liebe Gemeinde! „Das Warten hat ein Ende!“ Zwei Jahre lang ging kerbetechnisch gar nichts. Zwei Mal musste unsere Kirche ihren Geburtstag alleine feiern – wie bei "Dinner for One“. Zwei Jahre lang haben wir gewartet, dass sich die Verhältnisse wieder normalisieren. Warten kann ziemlich anstrengend sein. Manchmal auch zermürbend, wenn man nicht weiß, wie es weitergeht. Neben dem Warten auf ein Ende von Corona gibt es auch individuelle Situationen, wo man sehnlichst darauf wartet, dass sich die Verhältnisse normalisieren. Wo man nicht weiß: Wie geht es für mich weiter? Zum Beispiel in einer Prüfungssituation, im Abi oder beim Examen. Wenn man sich auf eine Lehrstelle bewirbt oder auf einen Studienplatz. Das ist aber auch so, wenn man in einer Beziehung was vergeigt hat, wenn man jemanden, der einem eigentlich lieb und wichtig ist, so verletzt hat, dass nicht klar ist, ob das jemals noch mal was wird.
In so einer Situation steckte Simon Petrus im heutigen Predigttext, den wir eben gehört haben. Noch mal zur Erinnerung: Simon Petrus war einer der drei engsten Freunde von Jesus. An dem Tag, den wir Gründonnerstag nennen, saß Jesus mit Seinen Jüngern in Jerusalem zusammen und feierte mit ihnen das Passafest. Irgendwann platzte es aus Jesus heraus: „Einer von Euch wird mich verraten! Und Ihr anderen werdet mich alle im Stich lassen, wenn mein letztes Stündlein geschlagen hat!“ Da widersprach Petrus vollmundig: „Nee, Jesus. Mag sein, dass das auf die anderen zutrifft. Aber ich nicht! Und wenn ich mit Dir ins Gefängnis oder in den Tod gehen müsste – meine Freundschaft ist Dir sicher!“ Daraufhin hatte Jesus erwidert: „Ich sag’ Dir was: Heute Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst Du mich drei Mal verleugnen!“
Wenige Stunden später. Jesus wurde inzwischen verhaftet und zum Verhör in den Palast des Hohenpriesters geschleppt. Petrus hatte sich im Schutz der Dunkelheit hinterher geschlichen. Er gesellte sich zu den Knechten des Hohenpriesters, die sich an einem Lagerfeuer im Innenhof wärmten. Da bemerkte ihn einer von diesen Gesellen, guckt ihn an und sagt: „Du warst doch auch mit diesem Jesus unterwegs!“ Aber Petrus sagt: „Nee, Du, da irrst Du Dich!“ Dann kam eine Magd daher, die sagte: „Dich habe ich doch schon mal gesehen. Du gehörst zu diesem Jesus-Clan.“ Wieder sagt Petrus: „Nein, gute Frau, damit habe ich nichts zu tun.“ Daraufhin meinte wieder ein anderer: „Klar warst Du dabei! Du bist auch aus Galiläa! Das hört man doch an Deinem Dialekt!“ Woraufhin Petrus zum dritten Mal Stein und Bein schwört und sagt: „Verflixt und zugenäht, ich kenne den Menschen nicht!“ „Und alsbald krähte der Hahn“, konstatieren die Evangelisten nach dieser Episode. „Und er [Petrus] ging hinaus und weinte bitterlich. Als es Tag wird, schlägt man Jesus ans Kreuz. Petrus hatte keine Gelegenheit mehr sich mit Ihm auszusprechen. Sich zu entschuldigen.
Ich erlebe immer wieder bei Menschen in Trauersituationen, wie belastend es ist, wenn bei einem Sterbefall ein Konflikt oder eine Verletzung ungeklärt im Raum stehen geblieben ist. Das macht den Trauerprozess um ein Vielfaches schwerer.
Dann kam Ostern. Petrus kann es zunächst nicht glauben, dass Jesus auferstanden ist. Aber dann kam Er, als sich die Jünger heimlich versammelt hatten, zu ihnen. Mehrmals. Sicher war Petrus froh zu sehen, dass Jesus lebt. Aber was in der Nacht Seiner Verhaftung gelaufen war, war ja nicht einfach ungeschehen. Das stand noch zwischen ihm und Jesus. Insofern hatte das Warten für Petrus noch kein Ende. Das Warten auf Klärung ihrer Beziehung und der Frage, wie es für ihn weitergeht. Es ist Jesus, der an der Stelle schlussendlich die Initiative ergreift. Nachdem Er Seinen Freunden erneut erschienen ist und mit ihnen gegessen hat, spricht Er Petrus an: „Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb?“ Drei mal fragt Jesus ihn das. Das dürfte wohl kaum ein Zufall sein. Drei Mal. Genau so oft, wie Petrus behauptet hatte, Jesus, nicht zu kennen. Beim ersten Mal fragt Er sogar: „Hast Du mich lieber als die anderen mich lieb haben?“ Auch das ist kein Zufall. Jesus packt Petrus bei der Sonderstellung, die er immer gern für sich in Anspruch genommen hat. Bei seiner vollmundigen Ankündigung: „Wenn Dich auch alle im Stich lassen – ich nicht!“ Petrus ist bescheidener geworden. Er steigt nicht auf die Vergleicherei ein - trotz der Steilvorlage, die Jesus ihm bietet. Auf die Frage: „Liebst du mich mehr, als die anderen mich lieb haben?“ antwortet Petrus: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Als Jesus Petrus zum dritten Mal fragt, ob er Ihn lieb hat, wird Petrus traurig. Was soll er noch tun, außer Jesus zu sagen, dass er ihn wirklich lieb hat?!
Liebe kann man nicht beweisen. Liebe ist darauf angewiesen, dass der andere einem abnimmt, dass man ihn liebt. Aber Petrus hatte sich nun wahrlich nicht als besonders vertrauenswürdig erwiesen. Dass Jesus jetzt ein Fragezeichen dran macht, ist menschlich gesehen allzu verständlich. Nicht immer gelingt es, das Vertrauen wieder herzustellen, wenn ein Mensch einen anderen verletzt hat. Wenn der Verletzte dem anderen dann nicht mehr vertrauen kann, hat der im Prinzip keine Chance. In Seiner Hilflosigkeit sagt Petrus: „Herr, du weiß alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Schließlich hatte Jesus ja auch gewusst, dass er, Petrus, nicht der Held ist, für den er sich selbst gehalten hatte. Genauso würde Er jetzt wissen, dass er Ihn trotz allem lieb hat, obwohl er so übel gepatzt hatte.
Und so ist es schlussendlich auch. Vielleicht wollte Jesus Petrus einfach nur noch mal so richtig auf den Zahn fühlen. Denn jede Seiner drei Fragerunden verbindet Er mit einem Auftrag an Petrus: „Weide meine Schafe!“ Was nichts anderes heißt, als dass Jesus dem Petrus Leitungsverantwortung für Seine Gemeinde, für Seine Kirche überträgt. In der katholischen Tradition ist Petrus der erste Papst. Das irdische Oberhaupt der Kirche. Diese Rolle überträgt Jesus einem, der im entscheidenden Moment nicht genug Hintern in der Hose hatte zu sagen: „Ja, Jesus, den kenne ich. Und ich gehöre zu Ihm.“ Jesus tut das, was Petrus nicht hinbekommen hat: Er hält an ihm fest. Er verzeiht ihm. Und Er traut ihm zu, dass er es besser kann. Das Warten hat ein Ende für Petrus. Das Warten auf Klärung der Beziehung. Das Warten auf die Antwort, ob und wie es für ihn weitergeht. Das Warten auf Vergebung. Jesus sagt ihm gleich dazu, dass das kein Sonntagsspaziergang wird, was Er mit ihm vorhat. Aber die Beziehung zwischen den beiden ist geheilt. Zukunft gibt es nur, wo es Vergebung gibt. Und Vertrauen. Bei Jesus gibt es beides. Dafür steht diese Kirche hier, deren Geburtstag wir heute feiern. Bei Jesus sind Sünder willkommen. Auch unser Versagen kann uns nicht von Ihm trennen. Jesus weiß auch mit uns etwas anzufangen. Er hat einen Plan für uns und unser Leben. Wenn wir Ihm vertrauen, hat irgendwann alles Warten ein Ende. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Predigt
für Ostern (17.04.22)
Liebe Gemeindeglieder!
Der Online-Gottesdienst zu Ostern kommt aus der Kirche St. Moritz in Oberdiebach.
Der Predigt liegt folgender Text aus Mt 27,57 – Mt 28,10 zugrunde:
Am Abend aber kam ein reicher Mann aus Arimathäa, der hieß Josef und war auch ein Jünger Jesu. Der ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu. Da befahl Pilatus, man sollte ihm den geben. Und Josef nahm den Leib und wickelte ihn in ein reines Leinentuch und legte ihn in sein eigenes neues Grab, das er in einen Felsen hatte hauen lassen, und wälzte einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon. Es waren aber dort Maria Magdalena und die andere Maria; die saßen dem Grab gegenüber. Am nächsten Tag, der auf den Rüsttag folgt, versammelten sich die Hohenpriester und die Pharisäer bei Pilatus und sprachen: Herr, wir haben daran gedacht, dass dieser Verführer sprach, als er noch lebte: Nach drei Tagen werde ich auferweckt. Darum befiehl, dass man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten, und der letzte Betrug ärger wird als der erste. Pilatus sprach zu ihnen: Da habt ihr die Wache; geht hin und bewacht es, so gut ihr könnt. Sie gingen hin und sicherten das Grab mit der Wache und versiegelten den Stein.
Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.
Liebe Gemeinde! Wie viel Angst muss dahinter stecken! Eigentlich hatten die führenden Priester und Pharisäer doch am Abend des Karfreitags das, was sie wollten: Jesus war aus dem Weg geschafft. Doch die Furcht vor Ihm war selbst nach Seinem Tod noch nicht vorbei. Römische Besatzungssoldaten sollten das Grab bewachen. Nicht, dass am Ende einer von den Jüngern die Leiche klaut und dann behauptet: „Jesus lebt!“ Eigentlich konnten die führenden Priester und der römische Statthalter nicht viel miteinander anfangen. Aber darin waren sie sich einig: Bloß keine Story von einem Auferstandenen oder sowas! Nichts wäre schlimmer, als dass die Menschen die Angst vor dem Tod verlieren. Die Angst vor dem Tod macht Menschen gefügig und beherrschbar. Nur da, wo Tote tot bleiben, bleiben die Mächtigen mächtig.
Macht ist darauf angewiesen, dass Menschen Angst haben. Das sieht man – Gott sei’s geklagt – an Russland. Wladimir Putin tut nach innen hin alles, um Menschen im eigenen Land einzuschüchtern, die nicht auf Linie sind. Und nach außen verbreitet er mit dem brutalen Vorgehen seiner Truppen in der Ukraine Angst und Schrecken um zu zeigen: „Legt Euch bloß nicht mit mir an!“ Macht ist darauf angewiesen, dass Menschen Angst haben. Und die wirksamste Angst ist die Angst vor dem Tod. Wenn der Tod nicht mehr gilt, gerät die Welt ins Wanken.
Wir haben’ s gerade gehört: Als am Ostermorgen der Bote Gottes kommt und verkündet, dass der Gekreuzigte lebt, bebt die Erde. Gegen Gottes Eingreifen nützen die besten Wachen nichts. Der Sieg des Lebens zieht den Meistern des Todes den Boden unter den Füßen weg. Die Militärmacht fällt in Ohnmacht. Es ist sinnigerweise nicht der Todesengel, der die Menschen in dieser Geschichte das Fürchten lehrt. Sondern der Bote des Lebens, der da ankommt und in göttlicher Vollmacht den Stein einfach wegrollt, mit dem die Geschichte Jesu besiegelt zu sein schien. „Als die Wachen ihn sahen, zitterten sie vor Angst und fielen wie tot zu Boden.“ So liest sich der entsprechende Satz in der Übersetzung der Guten Nachricht. Und die Soldaten, die das Grab bewachen, sind nicht die einzigen, die es mit der Angst zu tun bekommen. Auch die Frauen, die gekommen sind um zu trauern, bekommen Panik. Am Anfang von Ostern steht nicht gleich der große Jubel. Ostern fängt damit an, dass Menschen erleben: Wenn Gott kommt und neues Leben schafft, geraten die vertrauten Verhältnisse durcheinander. Und das macht tatsächlich erst einmal Angst. Es ist zwar eine schmerzhafte und deprimierende Wirklichkeit, dass Tote tot bleiben. Aber eben eine, auf die Verlass ist. „Das einzig Sichere im Leben ist der Tod“, hat mein Lateinlehrer immer gesagt. Mit dieser Überzeugung sind die Frauen aufgebrochen im Morgengrauen des Ostertages um zu trauern, um ihren Gefühlen nachzugehen - am Grab, an dem Ort, der für endgültigen Abschied steht. Und dann bekommen sie ausgerechnet dort gesagt: „Jesus ist nicht hier, er ist auferstanden“. Das stellt die verlässlichste Sicherheit der Welt in Frage.
Was bedeutet das, wenn selbst der Tod nicht mehr sicher ist?! Dann bleibt nichts mehr, wie es ist. Die Aufteilung der Welt in Tote und Lebende, in Herrscher und Beherrschte, in Gewinner und Verlierer ist aufgebrochen. Die vertraute Ordnung der Welt wird ausgehebelt. Dadurch, dass Gott Jesus auferweckt, sind die, die Ihn haben töten lassen, auf’s Blut blamiert. Gott bestätigt, dass Jesus recht hatte. Dass Er recht hatte mit Seiner Art, wie Er die Menschenliebe Gottes in Wort und Tat verkündigt hat. Dass Er recht hatte, wenn Er den Menschen immer wieder zurief: „Fürchtet euch nicht!“ „Weil Gott der Herr ist, braucht Ihr nichts und niemanden zu fürchten!“ Das war die Botschaft in Seinem Leben, und das ist auch die Essenz Seiner Auferstehung.
Die Verhältnisse gera+ten durcheinander, wenn Gott eingreift und neues Leben schafft. Die Botschaft von Ostern lautet nicht „nur“: Jesus lebt! Da ist noch was, worüber man im ersten Moment gerade so weg liest. „Fürchtet euch nicht!“ sagt der auferstandene Jesus zu den Frauen. Und dann: „Geht und sagt meinen Brüdern, sie sollen nach Galiläa gehen. Dort werden sie mich sehen.“ Jesus bezeichnet Seine Jünger als Seine Brüder. Komische Brüder! Allesamt haben sie Ihn im Stich gelassen. Einer aus dem "inner circle“ hat Ihn sogar verleugnet. Normalerweise wäre ein dermaßen unloyales Verhalten Grund genug, solchen Freunden den Laufpass zu geben. Macht Jesus nicht. Er sagt: „Geht zu meinen Brüdern und erzählt ihnen, dass ich lebe.“ Jesus steht zu ihnen, nach wie vor - trotz allem, was passiert ist. Was die Jünger Ihm gegenüber nicht hingekriegt haben, das lebt der Auferstandene: „Ich halte zu Euch, halte an Euch fest, auch wenn Ihr Euch komplett disqualifiziert habt!“
Das heißt: Ostern ist nicht abstrakt. Ostern heißt – wie gesagt – nicht einfach „nur“: „Jesus lebt!“ Sondern: „Er lebt! Er lebt für Euch! Und Er ist für Euch da! Egal, was da vorher war.“ Und wenn man das noch weiter denkt, dann heißt das: Wenn Jesus Seine Jünger Brüder nennt, dann sind sie Kinder Gottes! Also, Sie sehen: die Verhältnisse geraten gewaltig durcheinander, wenn Gott eingreift und neues Leben schafft. Dann ändert sich einiges. Drei große Veränderungen nehme ich mit aus diesem Osterevangelium:
Die erste betrifft Menschen, die es – auf Deutsch gesagt (entschuldigen Sie bitte die etwas herbe Ausdrucksweise) – verkackt haben. Sie dürfen auf einmal hören: „Du kannst versagt haben wie Petrus, als er Jesus verleugnet hat - Gott schenkt dir einen neuen Anfang. Du bist trotz allem Sein geliebtes Kind. Und niemand kann Dir das nehmen. Nicht einmal der Tod.“ Das ist die Botschaft, die darin steckt, wenn der Auferstandene Seine Jünger „Brüder“ nennt.
1. Wer sich von Gott getrennt fühlte durch Schuld und Versagen, erfährt: „Du gehörst zu Ihm.“ Völlig neue Perspektiven tun sich auf. Es geht weiter. Ein Weg zeichnet sich ab, wo alles zu Ende schien.
2. Wer erstarrt war in Angst vor dem Tod und in der Angst vor der Macht derer, die mit dem Tod ihre Geschäfte machen, ist befreit durch die Hoffnung, dass nichts so bleiben muss, wie es ist. Weil Gott in der Auferweckung Jesu Partei ergreift und Recht Recht und Unrecht Unrecht nennt.
3. Wer dachte, die Menschen im Griff zu haben und mit der Angst regieren zu können, der erlebt, dass seine Macht auf wackligen Beinen steht. Mit der Auferstehung Jesu ist jedem Despoten auf dieser Erde sein wichtigster Verbündeter genommen: Der Tod.
Ostern macht den Mächtigen bei ihrem Spiel mit der Angst einen Strich durch die Rechnung. Kein Wunder also, dass die Furcht der führenden Priester und Pharisäer vor dem Mann aus Nazareth damals mit Seinem Tod nicht weg war. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
für den Karfreitag (15.04.22)
Liebe Gemeindeglieder!
Der Online-Gottesdienst zum Karfreitag kommt aus der Kirche St. Peter in Bacharach.
Der Predigt liegt das Evangelium von der Kreuzigung Jesu nach Lukas 23,33-49 zugrunde:
Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie Jesus dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spottetedn und sprachen: „Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.“ Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: „Bist du der Juden König, so hilf dir selber!“ Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: „Dies ist der Juden König.“ Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: „Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!“ Da wies ihn der andere zurecht und sprach: „Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“ Und er sprach: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Und Jesus sprach zu ihm: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Und als er das gesagt hatte, verschied er. Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: „Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!“ Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
Liebe Gemeinde! „…und das Volk stand da und sah zu.“ Was wie eine unscheinbare Randnotiz der Kreuzigungsgeschichte wirkt, sagt so viel über uns Menschen: „…und das Volk stand da und sah zu.“ Da hat sich grundsätzlich nicht viel geändert… Anderer Menschen Leid hat etwas Anziehendes. Wenn es auf der Autobahn gekracht hat, fährt man ein bisschen langsamer um zu gucken, ob man was sehen kann. Wenn im Fernsehen Bilder aus Butscha und Borodjanka kommen, guckt man auch nach sieben Wochen Krieg in der Ukraine doch noch mal hin. Zuschauen, wenn andere leiden, lässt einen erschaudern – wahrscheinlich deshalb, weil man irgendwie zumindest eine uneingestandene Ahnung davon hat, dass es einen genauso gut auch selbst treffen könnte. Aber dem ist ja zum Glück in dem Moment nicht so, und so bleibt man Zuschauer. Unbeteiligt. Man sieht den Schmerz der Betroffenen, aber man kann ja abschalten. Man kann zurückkehren in seine eigene mehr oder weniger heile Welt.
So wie es am Ende der Kreuzigungsgeschichte „alles Volk“ tat, das dastand und zusah, als Jesus gekreuzigt wurde. Ich versuche mir vorzustellen, wer da stand. Da sind zum einen diejenigen, die ganz gezielt gekommen sind, um was zu sehen. Öffentliche Hinrichtungen bedienten damals die Sensationslust. Fernsehen oder Internet gab’s noch nicht; also ging man zur Steinigung oder zur Kreuzigung, wenn man was sehen wollte. Da sind zum anderen Pilger, die des Weges kamen und zufällig zu „Gaffern“ wurden. Dann sind da die Oberen, die die Sache mit der Kreuzigung Jesu angeleiert hatten. Und schließlich die Soldaten, die mit Jesus ihren Mutwillen trieben. Ein illustrer Haufen, der sich da auf Golgatha gesammelt hat und zuschaut, wie Jesus am Kreuz verreckt. Und heute? Nach knapp 2000 Jahren lockt die Kreuzigung Jesu keinen Hund mehr hinter’m Ofen hervor. Für viele ist der Karfreitag ein Tag wie jeder andere. Die einen freuen sich über ein langes Wochenende, die anderen ärgern sich, weil sie heute keine Party machen können. Was bedeutet der Tod Jesu uns? Zwei Sätze aus dieser Kreuzigungsgeschichte beschäftigen mich besonders. Der erste Satz ist dieser: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Man stelle sich das mal vor: Jesus betet für die, die Ihm das antun. Er, der immer und überall geholfen hat, bekommt den Spott und die Grausamkeit der Menschen in einer Weise zu spüren, die brutaler kaum sein könnte. (So ein Tod am Kreuz dauerte viele Stunden.) Und dann bringt Er es noch fertig, für Seine Peiniger zu beten und Gott um Vergebung zu bitten! Er bleibt sich damit unter extremsten Bedingungen treu und lebt das, was Er gepredigt hat: „Liebt eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen.“ Sterbend macht sich Jesus zum Anwalt derer, die Ihn vernichten. Er plädiert vor Gott auf Unzurechnungsfähigkeit, auf verminderte Schuldfähigkeit. „Sie wissen nicht, was sie tun“.
Wissen Sie es wirklich nicht? Die Soldaten damals, die Jesu Klamotten unter sich aufteilen, während Er Todesqualen leidet? Die Soldaten von Butscha, die – strategisch offenbar nicht erfolgreich – ihre Brutalität an Zivilisten rausgelassen haben? Weiß er wirklich nicht, was er tut – Wladimir Putin, der das alles zu verantworten hat? Es geht ja oft ein Aufschrei durch’s Land, wenn jemand, der einen anderen Menschen auf dem Gewissen hat, eine milde Strafe bekommt, weil das Gericht ihn als vermindert schuldfähig ansieht. Und nun kommt Jesus auch mit dieser Masche?! Offenbar weiß Er um die Anfälligkeit des Menschen für das Böse. Um die Gefahr der Verblendung. Wie oft in der Weltgeschichte haben Menschen sich zu Handlangern des Bösen machen lassen in dem Glauben, einer guten Sache zu dienen – Christen bei den Kreuzzü-gen, deutsche Wehrmachtssoldaten bei Hitlers Vernichtungskrieg, Islamisten beim Dschihad, der Patriarch der Russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill I., bei Putins Krieg gegen die Ukraine.
Für sie alle betet Jesus: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Es lässt einem den Atem stocken, wenn man sich klar macht, was das heißt: Dass es um Gottes willen keine Situation gibt, aus der man nicht umkehren könnte in Seine weit geöffneten Arme – in die weit ausgestreckten Arme des Gekreuzigten. Einer in dieser Geschichte nutzt diese Möglichkeit. Einer der beiden Verbrecher, die mit Jesus gekreuzigt wurden. Während der andere in den Spott der Zuschauer einstimmt, realisiert er, dass er sein Leben vor die Wand gefahren hat. Er muss keine große Lebensbeichte ablegen. Es genügt die Bitte: „Jesus, denke an mich, wenn du in dein Reich kommst“. Darauf sagt Jesus zu ihm: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“. Heute noch. Liebe Gemeinde, was wäre das, wenn wir heute noch umkehren würden in die Arme Gottes?! Sie sind noch offen, Seine Arme. Auch für uns. Auch für uns hängen da am Kreuz Befreiung und Vergebung unserer Schuld. Auch wenn niemand von uns an den Gräueltaten von Butscha beteiligt war - in vielen Lebenssituationen, in Familie, Schule oder Beruf werden wir aneinander schuldig. Es geschehen Dinge, die wir nicht mehr rückgängig machen können. Jesus dreht das Rad der Zeit nicht zurück. Aber Er befreit uns von der Last der Schuld und schenkt uns neue Zukunft. Er stellt sich nicht hin und schaut zu, wie wir an unserer Schuld zugrunde gehen, sondern springt für uns in die Bresche und sagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Dass Jesus diese Größe an den Tag legen kann, hängt für mich mit dem zweiten Satz zusammen, der mich im heutigen Predigttext besonders anrührt: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Das waren nach dem Evangelisten Lukas die letzten Worte Jesu vor Seinem Tod. Worte aus dem 31. Psalm, den in Israel jeder als Abendgebet kannte. „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Jesus wusste, wo Er hingeht. Er wusste, wem Er sich selbst in der schlimmsten Situation noch anvertrauen konnte. Er wusste, dass Er zu Gott „Vater“ sagen durfte, und dass dieser Vater stärker ist als der Tod. In deine Hände - mit diesen vertrauensvollen Worten stirbt Jesus. Und so wird das Kreuz ein Zeichen der Hoffnung. Ein Zeichen der Hoffnung darauf, dass es keine Situation gibt in unserem Leben und im Sterben, die in der Lage wäre, uns der Hand unseres Gottes zu entreißen. Er hat den Schrei Jesu gehört. Erhört. Keine drei Tage hat es gedauert, da war Er wieder da, von dem die Mächtigen dachten, sie hätten Ihn sich vom Hals geschafft. Gott gibt nichts verloren. Nicht die, die Er liebt, und auch nicht die, die Ihn hassen. Noch hassen. Denn um Jesu willen hofft Er darauf, dass sie sich einladen lassen zur Vergebung und sich Ihm öffnen und mit Jesus sagen: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Das ist das Leben. Nicht dastehen und zusehen. Amen.
Predigt
für die So. Judica und Palmarum (03./10.04.22)
zu Joh 17,3
Jubiläumskonfirmation in Oberdiebach (03.04.) und Bacharach (10.04.)
Liebe Gemeindeglieder!
Der heutige Online-Gottesdienst kommt aus der Kirche St. Peter in Bacharach.
Liebe Jubilarinnen und Jubilare, liebe Gemeinde! Lang, lang ist’s her. Und vieles hat sich verändert seit damals, seit dem Tag Ihrer Konfirmation. Ich vermute mal, Sie mussten um ein Vielfaches mehr auswendig lernen als unsere Konfis das heute müssen. Die Unterrichtsmethoden haben sich geändert, die Themen, nicht aber das Thema: Nämlich die Frage nach der Mitte und dem Ziel unseres Lebens.
„Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“
Darauf wollte der „Parrunterricht“ Ihnen damals Antwort geben, und darauf will der Konfirmandenunterricht heute Euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, immer noch eine Antwort geben. Vielleicht hat die Frage nach dem, was im Leben trägt und tröstet, für Sie, liebe Jubilare, erst später Gewicht bekommen, weit nach der Konfirmation. Während einer Krankheit vielleicht, in einer Situation, wo sie vor einer schwierigen Entscheidung standen, in einer weltpolitischen Krise wie der, in der wir jetzt stecken, wo man nicht abschätzen kann, was wird, oder nach dem Verlust eines lieben Menschen.
„Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele, beides, im Leben und im Sterben, nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre“, lautet die Antwort auf die Frage 1 des Heidelberger Katechismus’.
Das ist jetzt nicht unbedingt ein moderner Gedanke, dass wir nicht uns selbst gehören. Unser Freiheitssinn suggeriert uns genau das Gegenteil: „Ich gehör’ nur mir! Was ich tue und was ich lasse, was ich glaube und was ich nicht glaube, da hat mir keiner reinzureden.“ Man will sich in Sachen Glauben nicht allzu festlegen. Man weiß ja letztlich auch nicht: „Wer hat Recht?“ Schließlich gibt es noch andere Antworten auf die Frage nach dem Jenseits als die christliche. Vom ewigen Leben reden viele Religionen. Eine Ahnung und Hoffnung, dass mit dem Tod nicht einfach alles aus ist, gibt es in fast allen Kulturen. Es ist heute modern, sich seinen persönlichen Glauben aus den verschiedenen Auffassungen zusammen zu schustern. Ein bisschen von diesem, ein bisschen von jenem… Die Frage ist nur, ob das im Ernstfall tragfähig ist, wenn es hart auf hart kommt. Oder ob das dann nicht doch zu wischi waschi ist, wenn sich wirklich die Frage nach dem letzten Halt stellt: „Was ist denn nun mein einziger Trost im Leben und im Sterben?!“
Ich denke, wenn der Glaube dann tragfähig sein soll, muss er konkret sein. Und an der Stelle hat Jesus echt was zu bieten. In dem Evangelium, das wir eben gehört haben, sagt Er im Gebet zu Gott:
„Das ist das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist,
und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“
Joh 17,3
Das ist konkret, liebe Gemeinde. „Das ist das ewige Leben“. „Das“. Und nicht: „Och jo, vielleicht dieses, vielleicht jenes, vielleicht auch nicht – keine Ahnung…“ Wenn Glaube konkret ist, ist nicht mehr alles gleich gültig. Wer das ewige Leben sucht, muss alles auf eine Karte setzen. Ewiges Leben ist keine Frage des Wissens und der Fakten, sondern des Vertrauens. Und damit eine Frage der richtigen Adresse. „Das ist das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, …erkennen“, sagt Jesus.
Erkennen ist im biblischen Sprachgebrauch nie theoretisch-abstrakt gemeint oder intellektuell. Erkennen ist ein Beziehungsgeschehen. Sinnigerweise finden wir das entsprechende Wort im AT im Zusammenhang mit der Liebe zwischen zwei Menschen. So heißt es z.B. am Anfang der Bibel: „Da erkannte Adam sein Weib Eva und sie wurde schwanger.“ Vom Erkennen, so wie wir es verstehen, ist noch keiner schwanger geworden – ist auch gut so. Dafür muss noch ein bisschen mehr passieren… Aber genau darum geht es. Hier geht es um das, was passiert, wenn ein Mensch sich im Vertrauen ganz fallen lassen kann, alle Distanz aufgibt, sich völlig öffnet und hingibt. Dann entsteht – bestenfalls – neues Leben. Und das kann – auf einer anderen Ebene - auch für das Verhältnis zu Gott ausgesagt werden: Es geht darum, sich zu öffnen, sich vertrauensvoll fallen zu lassen. Erst der, der das wagt, wird Gott wirklich erkennen. Und dann fängt für ihn ein neues Leben an.
Gott kann man nicht vom Standort eines neutralen Beobachters aus kennen lernen. Und damit lässt sich dann eben auch die Frage nach Mitte und Ziel unseres Lebens nicht von der Zuschauertribüne aus beantworten. Man muss raus auf’ s Spielfeld. Man muss sich auf das Leben einlassen. Auf Gott einlassen, sich Ihm anvertrauen, die Tragfähigkeit Seiner Worte prüfen, sich auf Ihn verlassen. Wie in einer Beziehung halt. Ob man mit einem anderen Menschen eine Beziehung aufbauen kann oder nicht, kann man auch nicht durch Theoretisieren feststellen, sondern nur, indem man es wagt, indem man sich auf diesen ande-ren Menschen einlässt. Nur dann wird man ihn wirklich erkennen – richtig kennen lernen.
Gott möchte, dass wir Ihn kennen lernen. Und darum hat er uns einen geschickt, in dem Er erkannt werden will: Jesus Christus. In Ihm hat Gott sich hingegeben. Hat alle distanzierende Hoheit abgelegt und ist einer von uns geworden, hat sich sozusagen auf das Spielfeld unseres Lebens begeben. Damit wir Ihn verstehen, wie Er von uns verstanden werden möchte: Als der Gott, der unsere Nähe sucht, sich schutzlos und klein macht - aus Liebe.
Es gibt ja immer wieder mal Diskussionen über den Absolutheitsanspruch des christlichen Glaubens. Wenn man da im Begriff sein sollte sich zu ärgern, dann sollte man das Eine nicht übersehen: Wir haben es in der Bibel mit einem Gott zu tun, der sich hingibt, der demütig ist, übersehbar. Es geht Ihm nicht darum, Macht auszuüben. Es geht diesem Herrn darum, uns zum Leben einzuladen. Zu einem Leben, das jetzt schon beginnt.
„Das ist das ewige Leben“, sagt Jesus, „dass sie dich erkennen.“ Das ewige Leben fängt jetzt und hier schon an. Ganz konkret. Klingt vielleicht erstmal komisch, aber wer in Jesus Christus Gott erkennt und Ihm vertraut, für den ist das so. Der lebt heute schon ein neues Leben und kann gelassen bleiben in den Veränderungen, die uns das Leben zumutet. Weil er weiß, dass er nicht sich selbst gehört – und dass er damit auch nicht allein und verlassen ist im Strudel der Zeit. Weil er weiß, dass diese Bindung auch da noch hält, wo alle anderen Bindungen an ihr Ende kommen.
Ungeachtet aller Veränderungen im „Parrunterricht“ ist es mir darum wichtig auch heute jungen Menschen zu sagen: Es gibt eine ganz konkrete Antwort auf die Frage: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“ Nämlich: „Dass ich mit Leib und Seele, beides, im Leben und im Sterben, nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.“ Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt für den 6. Sonntag der Passionszeit, Palmarum (10.04.2022)
(Johannes 17, 1 - 8)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater,
und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im 17. Kapitel des Johannesevangeliums, und trägt die Überschrift „Das hohepriesterliche Gebet“.
Ich lese aus der Übersetzung nach Martin Luther die Verse 1 bis 8:
So redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche; denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.
Jesus ist im Begriff, sich zu verabschieden. Noch einmal verweist er im Gebet auf seine göttliche Legitimation, auf das „Eins sein“ mit dem Vater.
Jesus war bereits vor seiner Menschwerdung, bevor, wie er sagt, „die Welt war“, mit des Vaters Herrlichkeit ausgestattet.
In den Jahren seines irdischen Wandelns war er so etwas wie der akkreditierte Botschafter Gottes auf Erden.
Seine Aufgabe war die Verkündigung von Gottes Wort und der Aufbau einer dauerhaften Beziehung zwischen Vater, Sohn und den Menschen, verbunden mit dem Angebot des ewigen Lebens für alle, die an ihn glauben.
Mit seinem Tod als Mensch und seiner anschließenden Auferstehung ist seine Mission auf der Erde erfüllt.
Mit dem hohepriesterlichen Gebet schließt sich für Jesus der Kreis seines Wirkens unter den Menschen als Menschensohn.
Gleichzeitig ist Jesus aber auch in Sorge.
Er weiß, dass es mit seinem Tod am Kreuz für alle seine Gefolgsleute ungleich schwerer werden wird, glaubenstechnisch „auf Linie“ zu bleiben.
Und wenn es für die Jünger schon ohne Jesus schwer wird, wie ungleich schwerer muss es für all die Menschen sein, die ihm nie persönlich begegnen durften, die keine Zeitgenossen und Zeitzeugen seines Wirkens sind und waren.
Je mehr Zeit ins Land geht, desto mehr verblassen Erinnerungen und Überlieferungen.
Denken Sie nur an den Wunsch einer ganzen Generation nach 1945: Nie wieder Krieg!
Und nur 77 Jahre später haben wir wieder einen aggressiven Angriffskrieg in Europa, quasi vor unserer Haustür!
Bestimmt hat auch Jesus sich zu irdischen Lebzeiten gefragt, wie es ohne ihn auf dieser Erde weitergeht mit dem Glauben, der durch ihn noch einmal ganz neu aufgebauten Beziehung zwischen dem Vater, dem Sohn und den Menschen.
Heute können wir sagen, dass diese Beziehung grundsätzlich gehalten hat, auch, wenn sie – wie jede Beziehung – gewissen Schwankungen ausgesetzt war und ist.
Schon immer teilt sich die Menschheit in Gläubige, Zweifler und überzeugte Ablehner des Glaubens und der Lehre Jesu.
Die Frage ist aber: Was wären wir ohne Glauben, wo würden wir ohne Jesus heute stehen?
Trotz des Glaubens, vor allem aber auch für den Glauben wurden unzählige Kriege geführt und Morde begangen.
Das war aber nie Wille und Intention des Herrn.
Er hat für die Liebe und den Frieden gelebt, ja gebrannt, und hat das durch Worte und Taten stets untermauert.
Viele schreckliche Dinge, die in seinem Namen geschehen sind, waren rein menschliches Machwerk und nie in seinem Sinne. All zu oft sind Glaube und Religion, ist Jesus aus machtpolitischen und persönlichen Gründen auf das schändlichste missbraucht worden.
Dafür werden alle Täter ausnahmslos zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er dereinst Gericht hält.
Ohne Glauben wäre aber unsere Welt vermutlich von einer noch ärgeren Entwicklung geprägt worden.
Ohne die 10 Gebote, das Fundament unseres Zusammenlebens, ohne das Wissen, dass da letzten Endes immer noch eine höhere Instanz ist, die am jüngsten Tag Recht sprechen wird, wäre in den letzten 2000 Jahren nach meiner festen Überzeugung noch mehr aus dem Ruder gelaufen, zumal im Namen des Herrn ja auch sehr viel Gutes bewirkt worden ist und wird.
Die menschliche Schwachheit, gekoppelt mit der von Gott übertragenen Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit der Menschen, führt immer wieder zu Fehlern, auch zu viel unnötigem Leid.
Würden wir uns stärker und offensiver an die Vorgaben Jesu halten, sähe das oftmals anders aus.
Jesus sagt im hohepriesterlichen Gebet:
Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.
Und:
Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
Zwei Dinge sind also von besonderer Relevanz:
Zuerst einmal muss ich Vater und Sohn „erkennen“, also anerkennen und meinen Glauben entsprechend ausrichten.
Zum zweiten bin ich natürlich auch aufgerufen, mich an die 10 Gebote zu halten, für Frieden unter den Menschen und Völkern einzutreten.
Ich kann mir persönlich nicht vorstellen, dass Gott sich an den in verschiedenen orthodoxen Kirchen von Wladimir Putin entzündeten Kerzen erfreut, wenn er gleichzeitig einen völlig unnötigen Krieg führt, der eine Unmenge an Menschenleben kostet und unschuldigen Menschen tiefes Leid zufügt.
Ebenso wenig wird Gott gut heißen, wenn der Patriarch von Moskau, Kyrill der I., den aggressiven Überfall auf die Ukraine als einen „Heiligen Krieg gegen das Böse“ tituliert.
Das ist nicht das Erkennen, sondern das völlige Verkennen des Herrn und seiner Botschaft.
Und es ist nicht nur ein Missbrauch gegenüber Gott und seinen Geboten, sondern zusätzlich auch ein Missbrauch von Amt und Verantwortung als kirchlicher Würdenträger.
Mit christlichen Werten und geübter Nächstenliebe hat das absolut nichts zu tun.
Abgesehen davon kann ein Krieg, also die bewusste Vernichtung von Leben, niemals heilig sein. Allein das ist ein Widerspruch in sich.
Noch einmal zurück zum Predigttext:
Mit dem hohepriesterlichen Gebet bittet Jesus Gott Vater, ihm die Rückkehr an seinen angestammten Platz (er sitzt zur Rechten Gottes) zu ermöglichen.
Und er bittet ihn gleichzeitig, auch die ihm anvertrauten Menschen an der Auferstehung teilhaben zu lassen, wenn sie denn sein Wort annehmen, also an ihn glauben.
Dabei ist noch einmal besonders hervorgehoben, dass
„ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast“.
Vater und Sohn sind also eins, und: Der Weg zum Vater führt ausschließlich über den Sohn, nämlich Jesus.
Daran immer zu denken ist für uns Christinnen und Christen ausschlaggebend, ja elementar.
Denn nur, wenn wir im Rahmen unserer Möglichkeiten Jesus folgen, steht uns auch das Himmelreich offen.
Wir können uns also nicht herausreden, und behaupten, dass hätten wir nicht gewusst.
Es ist uns sehr klar vermittelt, und es liegt einzig an uns selbst, danach zu handeln.
Versuchen wir also mit aller uns zur Verfügung stehenden Kraft, unserem Herrn Jesus Christus mit ganzem Herzen zu folgen.
Dann sollte einem ewigen Leben in Gottes Herrlichkeit nichts im Wege stehen.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
3. April 2022 Judika Gottesdienst in Bacharach
Predigttext am Sonntag Judika, Markus 10, 35-45: Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. Jesus sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele. -.-.-.-.-
Liebe Gemeinde,
in meiner Jugendzeit wurden wir nach der Schule für viele Arbeiten gebraucht. Und wenn es dann mal bei uns nicht so gut lief, hörten wir: Ihr seid heute aber wahrhaftig nichts wert!!! In der Passionszeit hören wir dagegen, was wir Gott wert sind! Vor Gott haben wir Spitzenwert!!! Er setzt seinen eingeborenen Sohn für uns ein! Als Lösegeld.
Lösegeld - dieser schreckliche Begriff ist uns geläufig; denn Geiselnahme und Lösegeld-Erpressung sind oft in den Schlagzeilen der Zeitungen in unserer Zeit. Da sind Verbrecher am Werk. Und viele Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden, um die Entführten zu befreien. Oft zu einem hohen Preis. Bei Gott ist das anders: Gott hat uns losgekauft, damit wir in Ewigkeit nicht den Lösegeldforderungen von Tod und Teufel preisgegeben sind. Er zahlte den höchsten Preis, der je auf der Welt aufgewandt wurde: Seinen Sohn – für unsere Freiheit! Der Unschuldige für die Schuldner.
Das muss man sich nicht nur vor Augen halten, sondern sich unter die Haut gehen lassen! Die Zebedäus-Söhne, von denen wir in der Lesung gehört haben, hatten nicht richtig hingehört: Zum dritten Mal sprach der Herr Jesus davon, dass man ihn verurteilen, verspotten, anspeien, geißeln und töten wird. Die Wunsch-Brüder haben nur das Ziel gehört: Ich werde auferstehen … Aber der Weg dahin geht nur durch den Tod! Jesus alleine ist ohne Schuld und kann vom Tod nicht festgehalten werden. Wer wie die Zebedäus-Söhne vor Jesu Passion, seinem Leiden die Augen schließt, der hat sein Leiden, das Lösegeld, ausgeblendet. Deshalb fragt der Herr Jesus sie noch einmal ganz ernst: Könnt ihr das aushalten, was mir bevorsteht? Sie sagen: Ja. Aber, liebe Gemeinde, in keinem Evangelium, keiner Passions-Geschichte werden sie weiterhin mit Namen erwähnt! Auch Petrus war geflüchtet! Unter Jesu Kreuz ist nur der junge Johannes erwähnt, dem Jesus seine Mutter anvertraut.
„Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke“, fragt der Herr die beiden Brüder. Sie behaupten freiweg: Ja! Aber der Herr Jesus wird nicht nur den „Kelch“ des Leidens trinken, das Leid, es wird ihn überschwemmen wie vor Zeiten die Menschen in der Sintflut. Auch für die wird der Gottessohn „bezahlen“. „Könnt ihr euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ Auch da sagen die „Thron-Anforderer“ nicht nein. Dem gehorsamen Gottessohn aber steht die Blut-Taufe bevor, die nur er bestehen kann. In unserer Taufe werden wir nicht ins lebensbedrohliche Wasser versenkt, sondern durch sein Verdienst nur zum Zeichen mit Wasser, das auch Tod bedeutet, benetzt. Aber das schenkt uns das Leben.
Als die zehn anderen Jesus-Jünger das Gespräch hörten, waren sie ärgerlich über die Zebedäus-Söhne. Der Herr Jesus ließ keinen Streit aufkommen, sondern erklärte ihnen allen, was unter seinen Nachfolgern in Zukunft gelten soll: Dienen statt Herrschen. Einander die Füße waschen als Liebesdienst. Anderen Lasten tragen usw.
Als Gegenbeispiel brauchte der Herr Jesus seine Jüngerschar ja nur auf die zu der Zeit herrschenden Könige hinzuweisen, auf Rom, dessen Kaiser sich schon für Götter hielten. Sie unterdrückten mit Gewalt andere Völker, sie pressten aus den Menschen das Letzte heraus. Das alles wird einmal ein Ende haben, verspricht Jesus. Damit deutet der Herr Jesus die große Veränderung an! Sein unschuldiges Leiden und Sterben, Seine Auferweckung von den Toten ist die Neuschöpfung Gottes! Damit soll alles umgewandelt werden – für die ganze Menschheit. Die Erde dreht sich nicht auf den Tod, sondern auf das unerklärliche Leben bei Gott zu.
Wenn die Zebedäus-Söhne während der langen Wanderzeit mit dem Herrn Jesus besser hingehört hätten, wäre ihnen schon einiges davon aufgefallen: Zum Beispiel in Kana, als Jesus für ein junges Ehepaar sein erstes Wunder tat! Er verwandelte Wasser in Wein! Im Abendmahl vor seinem Tod hat der Herr den Wein als sein Blut bezeichnet! Er hat also in Kana schon von seinem Blut geopfert, um den Hochzeitsleuten den Spott der anderen zu ersparen. Den Preis dafür zahlte er selber. Am Kreuz. Aber der Himmlische Vater schenkt ihm dafür den Platz an Seiner Rechten in der Gotteswelt. Diese Worte aus unserem Glaubensbekenntnis kannten die zwei Thron-Forderer ja noch nicht: Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten. Das ist der Lohn des Allmächtigen für seinen gehorsamen Sohn, der Leiden und Tod auf sich genommen hat, um dem Teufel seine Beute abzukaufen!
So was gibt es sonst nur in Märchen, wo der Königssohn ganz schwere Aufgaben erfüllen muss, um die Königstochter aus den Fängen von einem Drachen o.ä. zu befreien. Unser Herr hat kein Schwert in die Hand genommen. Die Kraft seiner Liebe, das war seine Waffe, seiner Liebe zum Vater und zu den sonst verlorenen Menschenkindern. Das ist Jesu Passion, seine Leidenschaft, Gott die verlorenen Kinder wiederzubringen.
Das läuft wie ein Roter Faden durch die Bibel von Anfang an. Es ist schon deutlich zu erkennen im 1. Buch Mose, Kap. 22, in der Nicht-Opferung Isaaks. Abraham muss seinen Sohn nicht opfern! Gott wird das tun! Gott unterscheidet sich dadurch deutlich von den in Abrahams neuer Heimat Kanaan gefürchteten Götzen! Dem Götzen Moloch wurden Kinder geopfert.
In der Annakirche ist noch ein Wandbild zu sehen, das die Nicht-Opferung Isaaks zeigt. Ehe Abraham seinen Gehorsam wirklich beweisen musste, rief Gott das „Halt“! Bei Führungen durch die Kirche sage ich immer: Das ist ein früher Hinweis auf die Passion Jesu: Gottes Sohn opfert sich aus Liebe für das, was wir Tod und Teufel schuldig sind! Und den Lohn dafür, den schenkt der HERR Jesus uns: Das Leben in Gott. Der Gott Israels will keine Menschenopfer! Er will, dass seine Kinder leben! -.-.-.-
Geschichte wiederholt sich ständig, heißt es. Grade in diesen Tagen wird wieder dem Moloch, dem unersättlichen Götzen der Macht, das Leben vieler Menschen geopfert. Ist denn niemand da, der dem Unheil ein Ende bereiten kann? Es ist gut, liebe Gemeinde, sich einmal in Ruhe die Passions-Lieder in unserem Gesangbuch anzusehen: Sie erinnern in Kurzform an Gottes ständiges Handeln für uns: Sein Sohn trägt die Schuld der ganzen Welt: gestern, heute und morgen!!! Wir sind nicht hilflos: Wir können und dürfen angesichts der vielen Brandherde in der Welt an Gottes Liebe appellieren, dem Moloch unserer Zeit das Feuer auszublasen! Und Gott hört …
In früheren Zeiten gab es an Ostern in vielen Kirchen das sogenannte „Oster-Lachen“. Da haben die Christen Tod und Teufel lauthals ausgelacht! Wenn wir angesichts der schlimmen Weltlage zurückhaltender mit unseren Gefühlen sind, so dürfen wir uns alle aber doch sehr wundern und getrost sagen: Wir sind Gott unsagbar viel wert: Seinen eigenen Sohn! Amen
Predigt
für den So. Laetare (27.03.22)
zu 2 Kor 1,3-11
Liebe Gemeindeglieder! Der heutige Gottesdienst kommt aus der Kirche St. Moritz
in Oberdiebach. Der Predigt liegt folgender Text aus 2. Korinther 1,3-11 zugrunde:
Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus! Er ist ein Vater, dessen Erbarmen unerschöpflich ist, und ein Gott, der uns nie verzweifeln lässt. Auch wenn ich viel durchstehen muss, gibt er mir immer wieder Mut. Darum kann ich auch anderen Mut machen, die Ähnliches durchstehen müssen. Ich kann sie trösten und ermutigen, so wie Gott mich selbst getröstet und ermutigt hat. Ich leide mit Christus und in seinem Dienst in reichem Maß. Aber ebenso reich sind der Trost und die Ermutigung, die mir durch ihn geschenkt werden. Wenn ich leide, so geschieht es, damit ihr Mut bekommt und zur Rettung gelangt. Und wenn ich getröstet werde, so geschieht es, damit ihr den Mut bekommt, die gleichen Leiden wie ich geduldig zu ertragen. Ich bin voller Zuversicht, wenn ich an euch denke; denn ich weiß: Wie ihr meine Leiden teilt, so habt ihr auch teil an dem Trost und der Ermutigung, die mir geschenkt werden. Ihr sollt wissen, Brüder und Schwestern, dass ich in der Provinz Asien in einer ausweglosen Lage war. Was ich zu ertragen hatte, war so schwer, dass es über meine Kraft ging. Ich hatte keine Hoffnung mehr, mit dem Leben davonzukommen, ja, ich war ganz sicher, dass das Todesurteil über mich gesprochen war. Aber das geschah, damit ich nicht auf mich selbst vertraue, sondern mich allein auf Gott verlasse, der die Toten zum Leben erweckt. Und er hat mich ja auch vor dem sicheren Tod gerettet – und wird es auch künftig tun. Ich setze die feste Hoffnung auf ihn: Er wird mich auch in Zukunft aus Todesgefahr retten. Dazu helfen auch eure Gebete für mich, und aus vielen Herzen wird dann der Dank für meine gnädige Bewahrung vielstimmig zu Gott aufsteigen.
Liebe Gemeinde! „Wir haben einen Gott, der uns nie verzweifeln lässt.“ Was für ein Satz in diesen Tagen und Wochen, die wahrlich genug Potenzial haben einen verzweifeln zu lassen… Noch vor fünf Wochen hätte ich nie gedacht, dass es in Europa noch mal so einen Krieg geben würde. Das ist ein Rückfall in die finstersten Zeiten des letzten Jahrhunderts. Es macht einen fassungslos, dass ein Mann die Macht hat, Millionen von Menschen mit Leid und Elend zu überziehen und Tausende in den Tod zu schicken. Es ist die Ohnmacht, die das Gefühl der Verzweiflung auslöst. Die Ohmacht gegenüber der Willkür der Gewalt, für die es keine Rechtfertigung gibt, und die trotzdem durch nichts gestoppt werden kann.
Und dann dieser Satz: „Wir haben einen Gott, der uns nie verzweifeln lässt.“ Paulus wusste, wovon er spricht, wenn er das Wort Verzweiflung in den Mund nahm. Er kannte die Ohnmacht gegenüber der Willkür der Gewalt. Im Predigttext spricht er von einer ausweglosen Lage, die er in der Provinz Asien erlebt hat. Das ist im Gebiet der heutigen Türkei. Man nimmt an, dass er auf ein Erlebnis in Ephesus anspielt. Da gab es einen umtriebigen Geschäftsmann namens Demetrius. Der verkaufte Miniaturmodelle des Tempels der Göttin Diana. Als Paulus in Ephesus auftauchte und von Jesus erzählte und behauptete, dass der wahre Gott unsichtbar ist und nicht in Tempeln wohnt, da fürchtete Demetrius um seine Einnahmen und zettelte eine Hetzjagd auf Paulus und seine Mitarbeiter an. Die ganze Stadt war in Aufruhr. Paulus hatte, so schreibt er, in diesem Moment mit seinem Leben abgeschlossen. Die Situation war anders gelagert als das, was uns im Moment an den Rand der Verzweiflung bringt. Bei Paulus war es kein Krieg, sondern die Willkür eines aufgewühlten Mobs. Aber im Endeffekt kommt es auf dasselbe raus: Er sah sich einem wahnhaften Willen zum Töten ausgeliefert. Angesichts solcher Ohnmachtserfahrungen fragt man sich: Wie kann das sein? Warum müssen Menschen so etwas durchmachen - auch Christenmenschen? Paulus hat für sich eine Antwort gefunden: „Das geschah, damit ich nicht auf mich selbst vertraue, sondern mich allein auf Gott verlasse, der die Toten zum Leben erweckt.“ Das ist der Knackpunkt, liebe Gemeinde: Der Glaube an den, der die Toten zum Leben erweckt. Wir haben einen Gott, der uns nie verzweifeln lässt. Weil es eben dieser Gott ist, der die Toten zum Leben erweckt. Ein Gott, bei dem immer noch was geht. Alle Ohnmacht, die Menschen in die Verzweiflung treibt, ist letzten Endes die Ohnmacht gegenüber der Willkür des Todes. Paulus hat dem Tod ins Auge gesehen. Er hatte mit dem Leben abgeschlossen. Dank des beherzten Eingreifens eines Stadtoberen konnte der wild gewordene Mob gerade noch am Schlimmsten gehindert werden. Wie durch ein Wunder blieb Paulus bewahrt. Nicht immer geht es so gut aus. Tausende von Menschen sind in den letzten 32 Tagen in diesem Krieg ums Leben gekommen. Und auch anderswo schlägt der Tod seine Schneisen, nicht nur da, wo Putins Truppen toben.
Unter uns sind Menschen, denen hat eine tödliche Krankheit einen lieben Angehörigen genommen – nach menschlichem Ermessen viel zu früh. „Gekämpft, gehofft und doch verloren“, steht manchmal über Todesanzeigen. Ich bin dann immer ganz deprimiert und frage mich: Ist das wirklich so? Hat der Tod hier den Sieg davongetragen? Und dann merke ich, wie sich Widerstand in mir regt und ich denke: „Nee, das kann doch nicht sein!“ Und ich glaube auch tatsächlich, dass es nicht so ist, liebe Gemeinde.
Gott hat all diesen Menschen – den Verstorbenen aus unserer Gemeinde wie den Opfern dieses abscheulichen Krieges – das Leben nicht gegeben, damit es jetzt im Nichts des Todes verschwindet. Er hat mit all diesen Menschen noch etwas vor. Deswegen feiern wir Gottesdienste anlässlich von Sterbefällen, nicht nur Trauerfeiern. Deswegen denken wir in unseren Gottesdiensten sonntags an unsere Toten. Weil wir sie nicht auf ewig in der Gewalt des Todes wähnen müssen, sondern in der Hand unseres Gottes wissen dürfen. Aufgehoben für ein Neues. Wir haben einen Gott, der die Toten zum Leben erweckt. Das ist die Mitte unseres Glaubens, liebe Gemeinde, der Dreh- und Angelpunkt, mit dem der christliche Glaube steht und fällt. Oft werden ja die Werte als das Wichtigste am christlichen Glauben genannt. Die sind auch ohne jede Frage total wichtig. Aber im Kern steht und fällt unser Glaube mit der Frage nach der Auferstehung.
In der Auferweckung Jesu hat Gott Stellung bezogen. Mit dem, was am Ostermorgen passiert ist, ist aller Willkür der Gewalt die Legitimität entzogen. Wenn es keine Auferstehung gäbe, dann wäre das Unrecht zementiert in alle Ewigkeit. Dann hätten die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft eben geloosed. Wär dann so. Unabänderlich. Aber wir haben einen Gott, der uns gezeigt hat, dass nichts unabänderlich ist. Er hat nicht zugelassen, dass Jesus in der Gewalt des Todes geblieben ist, und Er wird nicht zulassen, dass unsere Verstorbenen in der Gewalt des Todes bleiben. Und auch nicht die, die Opfer der Willkür brutaler Gewalt geworden sind und noch werden. Der Glaube an die Auferstehung ist der Aufstand gegen die Dominanz der Ohnmacht. Paulus teilt diese Erfahrung mit seiner Gemeinde. Er schreibt den Menschen in Korinth: „Ihr seid mit Eurer Verzweiflung und Eurem Leid nicht allein. Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid.“ Und Er teilt die Hoffnung mit seiner Gemeinde. Mit der Hoffnung ist es wie mit der Freude: Wenn man die teilt, wird sie nicht weniger, sondern sie vervielfacht sich. Als Menschen, die an Jesus glauben, sind wir gerade jetzt in dieser bedrückenden Zeit gefragt, unsere Hoffnung zu teilen. Die Botschaft rauszuhauen, dass wir einen Gott haben, der die Toten zum Leben erweckt.
Und noch was hilft gegen die Ohnmacht: Beten. Auch davon schreibt Paulus. Tatsächlich hat man in den letzten Wochen oft den Satz gehört: „Da hilft nur noch beten!“ Stimmt. Aber das „nur“ können wir streichen. Denn das ist so viel. Dass wir uns mit unserer Verzweiflung an Gott wenden können. Und dass wir Ihm die Menschen ans Herz legen können, die der Willkür der Gewalt und der Willkür des Todes ausgeliefert sind. Das ist so viel. Weil wir beim Beten andocken können bei Gott, der uns sagt: „Hey, ich bin auch noch da! Egal, was ist, du brauchst nicht zu verzweifeln.“ Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt zum Gottesdienst in Henschhausen und Steeg
am Sonntag Okuli , 20. März 2022 Text: 1. Könige 19
Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umge-bracht hatte. Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast! Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort. Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iß! Und er sah sich um und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Was-ser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder hin. Und der Engel des HERRN kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iß! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb. ----------
Liebe Gemeinde,
„... und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propeten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte ...“. Wie kam Elia dazu? Da müssen wir zurückblättern. Mit Politik fing das Elend auch da an: Israels König Ahab wollte einen klugen Schachzug durch die Heirat mit der Tochter des phönizischen Königs machen, der ihm jetzt eine Grenze sicherte. Aber Isebel brachte den Baals-Kult und viele Götzen-Priester mit nach Israel! Sie verfolgte und tötete die Propheten Gottes. Nur Elia blieb übrig. König Ahab verließ den Gott seiner Väter. Er folgte dem Naturgötzen Baal nach und mit ihm das Volk! Was tut der Gott Israels? Kommt eine neue Sintflut? Im Gegen-teil. Elia prophezeite dem König: Es wird nicht Tau noch Regen fallen im Lande, bis ich es sage, spricht der HERR. Die Dürre, der langsame Tod trat ein – ohne den lebendigen Gott! Elia musste die Flucht ergreifen, aber er wurde von Gott bewahrt.
Als das Leben in Israel fast verdorrt war, trat der Prophet Elia wieder auf und forderte die Priester des Baal, der ja für Regen zuständig sein sollte, zum Gottesurteil heraus: Jeder soll ein Brandopfer auf seinem Altar richten, aber keiner darf Feuer daran legen. Wessen Gott nun auf die jeweiligen Gebete mit Feuer antwortet, der existiert, der muss künftig allein verehrt werden! Gottes Prophet stand gegen 800 Götzendiener auf dem Berg Karmel! Die schrien und tanzten in Ekstase um ihren Altar herum, brachten sich blutende Wunden bei. Aber da war ja kein Baal, der Blitze senden konn-te. Dann betete Elia; er ließ sein Brandopfer nass machen, und der HERR, der Himmel und Erde gemacht hat, sandte Feuer, das das Opfer verzehrte! Bald danach rauschte der von Gott zu-gesagte Regen herab. Die Götzen-Priester mussten sterben. König Ahab, der das „Gottesurteil“ mit ansah, eilte nach seiner Hauptstadt Samaria zurück und „sagte Isebel alles, was Elia getan hatte ...“.
Elia erfuhr, dass die Königin Isebel ihm Rache schwor. Aber da hat er nicht, wie es der Sonntag Okuli empfiehlt, seine Augen stets auf den HERRN gerichtet, sondern auf einen wütenden Men-schen. Er wählte die Flucht! Aber Gott verlor ihn nicht aus dem Blick. Kein Häscher der Königin, sondern ein Engel weckte ihn sanft: Steh auf, iss! Zweimal musste der Gottesbote erscheinen. Da erst kam der fehlsichtige Prophet auf die Beine und machte den 40-Tage-Weg zum Gottesberg Horeb, dem Sinai. Dort verbarg er sich in einer Felsenhöhle.
In dieser zwar menschenleeren, aber gottvollen Gegend hörte Elia am anderen Morgen: Was machst du hier, Elia? Und da sprudelte es aus ihm heraus, wie er für den Gott Zebaoth, den HERRN der himmlischen Heerscharen die Hand an den Pflug gelegt und geackert hatte. Und dass er flüchten musste vor seiner Todfeindin Isebel. Elia hörte daraufhin: Geh heraus aus der Höhle! Ich werde an dir vorübergehen. Gott so nahe! Wer überlebt das? Aber der Prophet gehorchte und erlebte die Menschenfreundlichkeit Gottes, der nicht in den tobenden Elementen Sturm, Erdbeben oder Feuer kam, sondern in einem sanften Luft-Hauch! Ja, Gott „pustet“ auf die Herzenswunden von Elia (wie Mütter ihre verletzten Kinder trösten)! Und da verhüllte Elia sein Gesicht, um nicht zu erblin-den im Glanz Gottes! Gott fragte noch einmal: Was tust du hier, Elia? Der wiederholt sein Klagelied. Gott aber stimmt nicht in den Jammer über die Abgefallenen ein, sondern hält Elia einen Spiegel vor: Schau hinein! Als du mich anriefst im Kampf gegen die Baals-Priester, damit sich das Herz des Volkes wieder zu mir kehrt, da habe ich Feuer vom Himmel auf deinen klatsch-nassen Altar fallen lassen! Die Baals-Priester mussten sterben, weil ihr Götze ja nichts tun kann. ICH aber habe Wort gehalten und ließ es regnen nach tödlicher Dürre. Du hast mich trotz meiner Feuer- und Wasser-Zeichen verlassen!
Was fängt Gott mit seinem solchen „Nachfolger“ an? Wir können nur staunen: Elia wird nicht aus dem Dienst entlassen, sondern bekommt eine neues, sehr schweres „Feld“ zum „Beackern“. Und der lebendige Gott gibt ihm eine große Verheißung mit auf den Weg: Ich will übriglassen sieben-tausend in Israel, alle Knie, die sich nicht gebeugt haben vor Baal, und jeden Mund, der ihn nicht geküsst hat. Und Elia richtete des Herzens Augen auf den HERRN und folgte dem Auftrag.
Liebe Gemeinde, warum kommt der Prophet Elia in der Passionszeit Jesu im Predigtplan vor? Zwischen Elia und Jesus Christus gibt es auffällige Gemeinsamkeiten: Elia heilte Kranke (auch vom Aussatz), er wirkte Speisungswunder, erweckte Tote (den Sohn der Witwe von Zarpat) und wandte sich den Armen zu. Von Elia ist überliefert, dass Gott ihn im feurigen Wagen in den Him-mel „entrückte“, dass er also nicht starb wie alle anderen Menschen. Das sicherte ihm die besondere Aufmerksamkeit des Volkes zu. Auch in der Zeit Jesu hieß es noch: Wenn Elia wiederkommt, dann ist das Weltgericht nicht mehr ferne.
Aber es kam mit Jesus kein 2. Elia, sondern Gottes Sohn. Er kam als Retter. In Jesus kehrte Gott den kranken, schuldbeladenen Menschen nicht den Rücken zu, sondern zeigte sein Gesicht, das väterliche und liebevolle, das zum Vertrauen, zur getrosten Nachfolge auffordert. Jesus hat kein Gottesurteil gefordert, bei dem seine Gegner hätten sterben müssen. ER hat sich unter alle Men-schenschuld und unter Menschenurteil gebeugt, um den Willen seines Vaters zu erfüllen. Jesus hatte kein befristetes Propheten-Amt, sondern die heilige Sohnes-Pflicht, die er mit Leib und Seele erfüllte – bis zum Tod am Kreuz.
Noch einen Unterschied zwischen Jesus und Elia gibt es: Als Elia seinen Nachfolger Elisa berief, war der beim Pflügen. Der Neuberufene bat: „Lass mich noch heimgehen und Vater und Mutter zum Abschied küssen.“ Elia mahnte ihn zwar an sein neues Amt, ließ ihn aber noch einmal umkeh-ren. Elisa nahm sich Zeit, er opferte zuerst noch ein Joch Rinder und hielt ein Festessen mit seinen Leuten. Dann erst kam er zu Elia und folgte ihm. Der Herr Jesus sagte dem Nachfolge-Willigen auf die Bitte, noch einmal nach Hause zurückzugehen: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Warum dieser Unterschied zwischen Elia und Jesus? Liebe Gemeinde, nach Elia kamen weitere Propheten, die die Menschen auf Gottes Wege zurückriefen. Der Herr Jesus aber hatte keine Zeit mehr, um auf Nachfolger zu warten. ER hatte sein Kreuz vor Augen und ging unbeirrt darauf zu. ER hatte den Kampf nicht mit irdischen Macht-habern zu bestehen, sondern mit Tod und Teufel. ER behielt die Hand am Pflug auf Gottes weitem Feld aus Passion, aus Liebe zu uns, damit wir die Frucht seiner unsäglichen Mühe ernten können!
In unserer Zeit gibt es noch viel schlimmere Götzen als die Baale damals in Israel. Vieles will Macht über uns gewinnen und uns die Seele rauben. Da ist es lebenswichtig, den Unterschied zwi-schen diesen toten „Götzen“ und dem lebendigen Gott zu entdecken, der will, dass wir leben.
Dazu kam der Sohn in die Welt. Er gab und gibt sich zum Opfer hin, damit wir verschont werden. ER ist das Vorbild, dem wir nachfolgen sollen. Das geht nicht mit den Füßen, sondern mit unserer Seele, die sein Wort hört und befolgt.
So tun wir am Passions-Sonntag Okuli das Richtige, wenn wir unseren Blick unbeirrt auf Jesus Christus richten. Denn dass Gott uns bei all unseren Irrwegen und wankender Treue nicht fallen lässt, das ist allein Verdienst des gehorsamen, bis zum Tod am Kreuz treuen Sohnes!
Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen
Predigt
für den So. Reminiscere (13.03.22)
zu Röm 12,17-21
Liebe Gemeindeglieder! Der heutige Vorstellungsgottesdienst unserer diesjährigen
Konfirmand*innen kommt aus der Kirche St. Oswald in Manubach.
Liebe Konfis, liebe Gemeinde! „Wie Du mir, so ich Dir!“ Eigentlich haben wir schon im Kindergarten gelernt, dass das keine so gute Strategie ist, mit Konflikten umzugehen. Aber im Alltag setzt sich diese Devise irgendwie doch immer wieder durch. Wo das hinführen kann, habt Ihr letzte Woche in Kreuznach in dem Film "Girls Club“ gesehen. Ein ganz alltäglicher Zickenterror eskaliert dermaßen, dass es am Ende zu einer Massenprügelei an der gesamten High School kommt.
„Auge um Auge – muss das sein?“ Wie wir eben gehört haben, ist diese Redensart keine Aufforderung sich zu rächen, sondern sich in seinen Rachgelüsten zu bremsen. Das allein ist ja schon schwer genug. Noch schwieriger ist es auf Rache komplett zu verzichten, so wie Jesus das vorgeschlagen hat. Und doch – lohnen würde es sich. Das meint auch der Apostel Paulus. Der schreibt im 12. Kapitel des Römerbriefes:
„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5.Mose 32, 35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25, 21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
Tja, liebe Gemeinde… Wie viel Leid könnte vermieden werden, wenn diese Worte mehr Beachtung fänden: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem.“ Eigentlich braucht uns doch nur einer mit einer dummen Bemerkung in unserer Ehre zu kränken, und schon sind Rachegedanken auch bei uns auf dem Plan. „Das lass ich nicht auf mir sitzen!“ ist in aller Regel der erste Reflex, der sich dann einstellt. „Nicht mit mir!“ Und bevor man sich überhaupt klar wird, was da gerade abgeht, hat man sich schon blitzschnell überlegt, wie man es dem Kontrahenten bei passender Gelegenheit heimzahlen kann. Stolz und gekränkte Ehre sind der Nährboden für Rachegedanken und Vergeltungsgelüste jeglicher Art. Wer unter uns da ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein…
Und nun schreibt Paulus: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem!“ Nicht alle Konfi-Gruppen sind so friedlich wie Eure. In früheren Jahren gab es durchaus auch schon mal Handgreiflichkeiten. Wenn ich dann das Gefühl hatte: „So, jetzt musst Du wohl mal dazwischen gehen!“, dann kriegte ich meistens zu hören: „Boah, der hat aber angefangen!“ In der Regel sag’ ich dann: „Du, das interessiert mich nicht, wer angefangen hat. Viel spannender finde ich, wer von Euch den Mut hat aufzuhören.“ Allerdings setzt die Idee mit dem Aufhören ein Mindestmaß an Versöhnungsbereitschaft auf beiden Seiten voraus. Und das ist leider nicht immer gegeben. Von daher bin ich dem Paulus echt dankbar, dass er so realistisch bleibt. „Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Manchmal ist es – Gott sei’s geklagt – nicht möglich. „Es kann der Frömmste nicht im Frieden leben, wenn’s dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Davon können die Menschen in der Ukraine ein Lied singen. Ich behaupte mal, die Allermeisten auf beiden Seiten – Russen und Ukrainer – wollen einfach nur leben. In Ruhe und im Frieden. Nur - für Frieden braucht es den Willen aller. Für Krieg reicht’ s, dass einer ihn will. Es gibt – auch im Kleinen - Menschen, die scheinen gegen alle Friedensbemühungen, gegen jeden Versuch von Versöhnung resistent zu sein. Wie soll man damit umgehen? Wird man nicht automatisch irgendwann schwach und geneigt, selbst zu den Mitteln der Gewalt zu greifen?
Der Apostel Paulus schreibt: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben. „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“ Ich finde das hoch spannend. Paulus sagt nicht: „Komm, schluck’s runter! Einfach mal ein bisschen Kreide fressen, dann geht’s schon wieder.“ Vielleicht hätten Sie das jetzt eher erwartet. So 'ne gewisse Harmoniesucht ist ja schon irgendwie typisch churchy. Wut und Aggression – so was gibt es bei frommen Menschen nicht. Wir haben uns doch alle lieb! Schön unter den Teppich damit. Nur – irgendwann kommt alles hoch, und dann stolpern wir drüber und wundern uns, warum wir mit der Strategie auf die Nase fallen. Wir sind Menschen aus Fleisch und Blut. Verletzbarkeit, Wut und Aggressionen gehören zu unserer Disposition. Und die sollen wir nicht runterschlucken. Die sollen wir vor Gott bringen.
Mein Vorgänger, der leider vor vier Wochen gestorben ist, hat mal erzählt, dass er in einer Situation, wo ein Mensch ihm wirklich das Leben schwer gemacht und ihm manchen Nerv geraubt hat, dass er das vor Gott gebracht und gesagt hat: „Herr, du hast den geschaffen. Ich hab’ den nicht geschaffen. Jetzt zeig Du mir, wie ich mit diesem Scheusal klar kommen kann.“ Klingt vielleicht ein bisschen unkonventionell, aber so dürfen wir mit Gott reden. Lesen Sie sich mal die Psalmen durch, die sind voll von solchen Gebeten. Es ist allemal besser, Gott kriegt das ab, als der Mensch, um den es geht. Denn Gott kann damit umgehen. Nicht, dass Ihm das nicht wehtun würde. Gott steht ja sozusagen zwischen allen Fronten. Er leidet mit, wenn wir zur Zielscheibe von Verachtung und Unrecht werden, Er leidet aber auch mit, wenn andere zur Zielscheibe unseres Zorns und unseres Hasses werden. Unsere Wut, unsere Rachegedanken, treffen immer auch IHN, weil Er jeden Menschen liebt. Jede Gewalt – ob nur gedacht, ausgesprochen oder ausgeübt - ist ein Nagel im Kreuz Jesu. Der Hass bringt Ihn um.
Aber damit, dass Er sich das gefallen lässt, unterbricht Jesus den Teufelskreis der Gewalt. Sein Kreuz ist sozusagen der Blitzableiter für die tödliche Hochspannung unserer Hassgefühle und Rachgedanken. Mit und an Seinem Kreuz hat Jesus die Spirale von Gewalt und Gegengewalt gebrochen. Er hat lieber für sich den Tod in Kauf genommen, als den zu töten, der’s verdient hätte. Das ist für uns ein Segen. Und Jesus will, dass wir diesen Segen annehmen und weitergeben. In diesem Zusammenhang steht die Aufforderung, auf Rache zu verzichten. Um des Lebens willen.
Auge um Auge – das muss eben nicht sein. Es ist schon ein gutes Stück unsere Entscheidung, ob wir uns von destruktiven, lebensfeindlichen Tendenzen treiben lassen, die auf Vergeltung sinnen, oder ob wir uns mit unserer Not an Gott wenden, der uns fähig macht, die Gewaltspirale zu unterbrechen. Nicht mehr zu sagen: „Wie du mir, so ich dir!“ Sondern die zu werden, die es schaffen, aufzuhören. So, wie wir es schon im Kindergarten gelernt haben. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Predigt 1. Sonntag der Passionszeit (Invokavit)
Predigttext: 2.Korinther 6, 1 – 10
Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen.
Liebe Gemeinde,
hier in Europa ist Krieg! Menschen sind auf der Flucht, bangen um ihr Leben.
Sie retten sich zu den Nachbarn in Polen, wo viele Verwandte haben. Erschöpft kommen sie an, müssen Stunden an Grenzübergängen warten. Anfangs weinen sie, später sind viele zu müde zum weinen. Alles mussten sie zurücklassen.
Eltern, Großeltern, Freunde, die Heimat. Die Angst um die Angehörigen muss schrecklich sein. Die, die diesem Krieg entkommen sind, erst einmal in Sicherheit sind, werden sich die eine Frage stellen:
Warum?
Warum muss dieses Blutvergießen, diese Gewalt sein? Welchen Sinn soll das haben?
Gibt es keinen anderen Weg?
Unter den Geflüchteten ist auch eine junge Frau. Sie hat furchtbare Angst um ihren Freund.
Wird sie ihn wiedersehen? Immer wieder denkt sie an die letzten Momente mit ihm, als sie Hals über Kopf Abschied nehmen mussten. Die beiden lagen sich in den Armen, voller Angst vor der Zukunft, voller Angst um den anderen.
Sie klammerte sich ganz fest an ihn. Kannst du nicht mit mir kommen? fragt sie unter Tränen. Sie weiß dass er das nicht kann. Er muss sein, ihr Land verteidigen. Er muss da bleiben, seine Gesundheit, sein Leben in Gefahr bringen für die Freiheit, für seine Familie, für seine Freunde.
Liebe Gemeinde,
was ist nur los in dieser Welt? Wie empfinden wir die Welt, in der wir leben?
Wie fühlt sich die eigene Gegenwart für uns an? Ist es eine gute Zeit, in der wir leben?
Oder ist es eine schlechte Zeit? Und wovon hängt es ab, wie wir unsere eigene Zeit bewerten? Gute Zeiten? Schlechte Zeiten?
Wird alles immer schlechter? Oder ist alles einfach ein ewiger Wechsel zwischen gut und schlecht?
Was brauchen wir zum Leben? Was brauchen wir wirklich? Was ist notwendig für den Einzelnen und für die Gesellschaft?
Wie fühlt sich die eigene Gegenwart für uns an?
Um eine Deutung der eigenen Gegenwart geht es in dem Textabschnitt, der uns heute als Predigttext vorgeschlagen ist. Ich lese aus 2.
Korinther 6, 1 – 10:
Als Gottes Mitarbeiter rufe ich euch also auf: Gebt Acht, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt! Gott sagt: »Wenn die Zeit kommt, dass ich mich über euch erbarme, erhöre ich euch; wenn der Tag eurer Rettung da ist, helfe ich euch.« Jetzt ist die Zeit der Gnade! Jetzt ist der Tag des Heils!
Weil mir diese Botschaft anvertraut ist, sehe ich darauf, dass mein Verhalten in jeder Hinsicht einwandfrei ist; denn ich möchte nicht, dass der Dienst, der mir aufgetragen ist, in Verruf kommt.
Meine »Empfehlung« ist es, dass ich mich in allem als Diener Gottes erweise: Mit großer Geduld ertrage ich Sorgen, Nöte und Ängste. Ich werde geschlagen, ich werde eingesperrt, sie hetzen das Volk gegen mich auf. Ich arbeite mich ab, ich verzichte auf Schlaf und Nahrung. Ich empfehle mich weiter durch ein einwandfreies Leben, durch Erkenntnis, durch Geduld und durch Freundlichkeit, durch Wirkungen des Heiligen Geistes und durch aufrichtige Liebe, durch das Verkünden der Wahrheit und durch die Kraft, die von Gott kommt. Meine Waffe für Angriff und Verteidigung ist, dass ich tue, was vor Gott und vor Menschen recht ist.
Es macht mir nichts aus, ob ich geehrt oder beleidigt werde, ob man Gutes über mich redet oder Schlechtes. Ich werde als Betrüger verdächtigt und bin doch ehrlich.
Ich werde verkannt und bin doch anerkannt. Ich bin ein Sterbender und doch lebe ich. Ich werde misshandelt und doch komme ich nicht um. Ich erlebe Kummer und bin doch immer fröhlich. Ich bin arm wie ein Bettler und mache doch viele reich. Ich besitze nichts und habe doch alles.
Liebe Gemeinde,
Der Apostel Paulus hat Antworten auf unsere Fragen gefunden. Er kennt etwas, von dem er fest überzeugt ist, dass wir es vor allem
anderen und ganz dringend brauchen. Wenn es etwas gibt, das der Mensch nötig hat, dann ist es die Gnade Gottes. Darum geht es in unserem Predigttext. Wir haben den Text eben gehört: Paulus ermahnt
seine Gemeinde, die Gnade Gottes nicht vergeblich zu empfangen. Und dann ruft er: » Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade! Siehe, jetzt ist der Tag des Heils!«
So qualifiziert Paulus die eigene Gegenwart: Er empfindet sie als eine Zeit der Gnade, als einen Tag des Heils.
Und das, obwohl er gleichzeitig von Trübsalen zu reden weiß, von Nöten und Ängsten, vom Gezüchtigt werden, vom Sterben, vom Traurig sein und vom Arm sein.
Paulus ist keiner von denen, welche die harten und oft grausigen Züge der Wirklichkeit leugnen.
In diesen Tagen beginnt die Passionszeit im Kirchenjahr. Diese Zeit erinnert uns an die Leiden, die Jesus erlitten
hat.
Und sie erinnert uns zugleich daran, dass das Leiden zu unserem menschlichen Leben gehört:
Traurig sein; Sterben müssen; zusehen müssen, wie andere sterben; Angst haben:
All das zeichnet und prägt unser Leben eben auch. Paulus blendet diese Seiten des Lebens nicht aus.
Und dennoch deutet und empfindet er die eigene Gegenwart als eine Zeit der Gnade, als einen Tag des Heils.
Paulus hat es am eigenen Leib erfahren, was es heißt, zu leiden. Er hat es erlebt, ausgeliefert zu sein: den Gewalten der Natur,
den Grausamkeiten der Menschen, der Willkür der Einflussreichen.
Wie kommt es, dass er dennoch die eigene Gegenwart so positiv einschätzt? Eine Zeit der Gnade, ein Tag des Heils?
Offensichtlich sind wir Menschen in der Lage, die Wirklichkeit ganz unterschiedlich einzuschätzen und ganz unterschiedlich zu bewerten. Und je nachdem, wie wir sie deuten und bewerten, erscheint uns die Wirklichkeit ganz anders.
Die Meisten von uns – vielleicht alle - kennen das aus eigenem Erleben:
Je nachdem, wie wir gestimmt sind, erscheinen uns die gleichen Sachverhalte unterschiedlich:
Was wir an einem Tage genießen, bereitet uns an dem anderen Verdruss oder wenigstens Langeweile.
Alles hängt von unserer Stimmung ab. Sind wir unglücklich, so trägt alles zu unserem Unglück bei.
Nichts taugt dann etwas. Sind wir glücklich, dann trägt alles irgendwie bei zu unserem Glück.
Und obwohl die Welt, in der wir leben, objektiv die gleiche bleibt, ändert sich unsere Wahrnehmung grundlegend:
„Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.“
Es kommt auf die Stimmung an, in der wir das erleben, was uns widerfährt.
Was für einzelne Momente gilt, das gilt auch für das Leben als Ganzes:
Es gibt da unterschiedliche Grundstimmungen dem Leben und der Welt gegenüber.
Und je nachdem, wie wir im Grunde unseres Herzens gestimmt sind, nehmen wir alles ganz unterschiedlich wahr.
Ändert sich unsere Grundstimmung, dann ändert sich unser ganzes Leben.
Das ist wie bei einem verstimmten Instrument: Auch der beste Organist, Organistin kann einer verstimmten Orgel keine schöne Musik entlocken. Egal, welche
Tasten anschlagen werden, egal, wie sehr man sich müht:
Das hört sich einfach alles nur schlecht an. Ich denke manchmal:
Wir Menschen sind wie solch ein Instrument: Es kommt darauf an, ob wir richtig gestimmt sind.
Der Apostel Paulus ist das klassische Beispiel dafür:
Er wurde umgestimmt: Früher hat er gemeint, dass er den Wert seines Lebens durch Anstrengung gewinnen müsse.
Aber in der Begegnung mit Christus hat er erfahren, dass ihm der Wert seines Lebens ganz umsonst zugesprochen wird. In der
Begegnung mit Christus ist ihm aufgegangen: Ein anderer hat schon alles Wesentliche für Dich getan.
Der gekreuzigte Christus ist Paulus als Auferstandener begegnet.
Es muss ein dramatisches Erlebnis gewesen sein, was ihm da in der Nähe der Stadt Damaskus widerfahren ist.
Durch dieses Erlebnis hat sich ihm seine grundlegende Lebensstimmung völlig verändert.
Und noch etwas anderes ist dem Paulus bei seiner Begegnung mit Christus aufgegangen :
Das Leiden trennt nicht von Gott.
Das war ja die Meinung des Paulus, bevor Christus ihm begegnet: Den hat Gott verlassen. Wer so leidet und so schrecklich stirbt, der kann ja nur von Gott verlassen und
verstoßen sein.
Nun sieht er es anders.
Dass Christus den Tod erlitten hat, bedeutet nicht, dass Gott sich von ihm losgesagt hat.
Gott hat den Gekreuzigten vom Tode auferweckt, hat „ja“ zu ihm gesagt.
Gott zieht sich nicht von denen zurück, die leiden. Gott ist nicht nur bei jenen, denen es gut geht.
Davon berichten viele: Dass sie gerade in den Zeiten des Leidens merken, wie Gott ihnen nahe ist.
Gott ist nicht nur bei jenen, denen es gut geht.
So sieht das offensichtlich auch Paulus, wenn er trotz aller Mühen und Plagen und Leiden daran festhält:
„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“
Auf diese Worte und hoffen und vertrauen wir.
Jesus hat viele kleine und große Wunder zur Versöhnung möglich gemacht.
Jesus hat so vielen Menschen einen Weg zum Frieden und zur Versöhnung gezeigt.
Denken wir an die Friedensgebete, die friedliche Revolution in der DDR. Aus wenigen Menschen die sich zum Gebet versammelten, sind Tausende geworden die auf die Straßen gingen, sich für Frieden, Gerechtigkeit und mehr Freiheit einsetzten. Damit haben sie einen ganzen Unrechtsstaat gekippt, eine Mauer gestürzt und ein Volk wieder vereint.
In diesen Tagen haben 100 000te Menschen für den Frieden demonstriert.
Machthaber eines Unrechtstaates wurden besiegt, mit den Wegen die uns Jesus gezeigt hat.
Mit den Sonntagen des Kirchenjahres gehen wir jetzt nach Jerusalem.
Wir wollen in diesen Tagen des Krieges die Geschichten von Jesus hören. Wir werden die Flüchtenden aufnehmen, und helfen, wo es nur geht. Immer im Wissen um unsere Begrenztheit, unsere Endlichkeit, und doch gestärkt, leidensfähig. Engagiert im Leben, unterwegs im Zeichen des Glaubens auf dem großen Weg in Gottes Ewigkeit. Amen.
Und der Friede Gottes, der weiter reicht, als wir es fassen können, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt für den Sonntag vor der Passionszeit (Estomihi), 27.02.2022, (Markus 8, 31 - 38)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater,
und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
harte Worte Jesu haben wir eben in der Evangeliumslesung vernommen.
Allein die Beschimpfung des Petrus als „Satan“ klingelt noch regelrecht in unseren Ohren.
Der Tenor des Textes ist klar, er lautet: Entweder, oder!
Entweder, die Jünger folgen Jesus bedingungslos, oder sie lassen es komplett bleiben.
Banal formuliert: Duschen ohne nass zu werden geht nicht!
Petrus und die anderen Jünger werden quasi zu einer Entscheidung gedrängt, ich möchte fast sagen: Genötigt! Warum?
Die theologische Lehre geht heute grob gesagt davon aus, dass die Jünger mit der klaren Ankündigung Jesu zu seinem persönlichen Leidensweg schlichtweg überfordert waren, empathisch, wie auch intellektuell.
Und Jesus? Der sah möglicherweise die Nachfolgewilligkeit seiner Jünger gefährdet, und reagierte daher mit äußerster Schärfe auf den Versuch des Petrus, nach milderen Möglichkeiten für den weiteren gemeinsamen Weg zu suchen.
Hinzu kommt natürlich auch, dass sich die Jünger damals in keiner Weise das weitere Geschehen vorstellen konnten, die Abläufe und Ereignisse, die wir heute kennen.
Bekanntlich ist man ja erst immer im nachhinein schlauer.
Die Reaktion des Petrus auf die von Jesus angekündigten weiteren Geschehnisse sind in soweit nachvollziehbar.
Jesus sorgt seinerzeit mit der Forderung nach glasklarer, konsequenter Entscheidung für seinen Weg zumindest einmal für starke Zweifel bei seinen Mitstreitern.
Bei Petrus führen diese Zweifel zu regelrechter Verzweiflung, und Jesus muss ihn deshalb sehr harsch „zur Ordnung“ rufen, um ihn „bei der Stange“ zu halten.
Auch uns geht es bis heute ja so, wenn wir mit der Forderung nach einer klaren Entscheidung konfrontiert werden. Wir fühlen uns bedrängt, und ringen um Aufschub und Alternativen.
Ein „entweder, oder“ entspricht nicht so wirklich der menschlichen Natur. Wir sind immer versucht, weitere Lösungsmöglichkeiten zu finden. Das ist auch nicht unbedingt verkehrt. Aber manchmal gibt es tatsächlich nur schwarz oder weiß, da kommen wir mit Grautönen einfach nicht weiter.
Ich kann nicht für ein klimaneutrales Europa werben, und anschließend Atomkraftwerke als alternative Übergangslösung präsentieren. Das ist schlichtweg Unfug.
Das gilt auch für unseren Glauben. Entweder ich nehme all das ernst, was Jesus auch mir vorgibt, oder ich lasse mich erst gar nicht darauf ein.
Ich kann mich nicht als gläubiger Christ bezeichnen, und parallel Tag für Tag meine Mitmenschen übervorteilen oder in sozialen Netzwerken schlecht machen. Das passt einfach nicht!
Genauso wenig kann eine Kirche über Jahrzehnte Missbrauchsvorwürfe verschweigen und vertuschen. Das hat mit gepredigter, tätiger Nächstenliebe rein gar nichts zu tun. Das ist einfach verantwortungslos und widerspricht den Lehren Jesu in jeder Form.
Auch heutige politische Ereignisse gehören in eine solche Betrachtung, zumal der Weg Jesu in damaliger Zeit ja auch stark von politischen Umständen beeinflusst war.
Aktuelle, beispielhafte Problemstellung: Kann ich mit China und Russland Geschäfte machen, wenn ich Menschenrechte, Pressefreiheit und Frieden ernst nehme?
Stichwort Gas: Ist unser Wohlergehen in energetisch-wirtschaftlicher Hinsicht als Bundesrepublik über Kriegshandlungen, Völker- und Menschenrechtsverletzungen zu stellen?
Jesus würde das mit Sicherheit klar verneinen!
Auch wir, auch unsere Entscheidungsträger wissen, dass das eine mit dem anderen nicht vereinbar ist.
Deshalb hat man sich lange mit klaren Worten auch so unendlich schwer getan. Man hätte gerne beides gehabt: Friedenswahrung und gute Geschäfte. Das geht aber nur, wenn alle beteiligten Gesprächs- und Handelspartner dazu bereit sind. Ist diese Bereitschaft nicht gegeben, können Kompromisse bis zu einem gewissen Punkt für Annäherung sorgen. Als faule Kompromisse können sie aber auch Mitschuld tragen am Verrat an einer Sache, an Menschen, und allen christlichen Werten.
Andererseits: Können wir solche Kraftakte überhaupt immer wieder leisten? Können wir unser ganzes Leben hindurch stets konsequent sein?
Und wenn nicht: Sind damit Kompromisse als eine eher schlechte Form von Vereinbarungen zu werten?
Im Rahmen unseres Miteinanders auf dieser in vielerlei Hinsicht sehr begrenzten Erde wird es ohne Kompromisse nie gehen. Trotzdem wird es uns nicht gelingen, es allen Parteien in einer Konfliktsituation recht zu machen. Damit stecken wir in einem permanenten Dilemma. In einem Kompromiss finden wir natürlich Ansätze von Meinung, Haltung und Gewichtung, aber die eigene Position erfährt logischerweise eine gewisse Abschwächung.
Trotzdem muss ein solcher Kompromiss nicht unbedingt schlecht sein.
Wenn wir aber lediglich mit schönen Worten umkleiden, was erkennbar falsch ist, wenn wir mit leeren Phrasen Unrecht entschuldigen, dann sind wir als Meister fauler Kompromisse entlarvt.
Das wäre für mich dann der Fall gewesen, wenn Russland nach dem Überfall auf die Ukraine nicht mit dem zumindest einstweiligen Stopp der Bundesregierung für Nordstream 2 sanktioniert worden wäre.
Dieser Schritt war meines Erachtens unumgänglich, auch, wenn wir uns damit selber Probleme einhandeln.
Kommen wir zurück zu unserem Evangeliumstext!
Oft werden ja Dinge leider erst dann wirklich ernst genommen, wenn drastische Worte, oder gar Taten unseren oft begrenzten menschlichen Verstand dazu bewegen, umzudenken oder aktiv zu werden.
Erst dann, wenn es oft eigentlich schon zu spät ist, reagieren wir so, wie wir es eigentlich schon viel eher hätten tun sollen.
Jesus schlägt mit seiner verbalen Härte einen dicken Pflock ein.
„Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.“
Das heißt:
Niemand soll am jüngsten Tag behaupten, er hätte nichts gewusst!
Wenn wir uns also bewusst für Jesus entscheiden, dann können wir beispielsweise in Gesprächen mit Freunden und Bekannten unser Christ sein nicht verheimlichen, oder so tun, als wenn uns das alles nichts angeht, nur, um dem Mainstream unseres Umfeldes genüge zu tun. In einer solchen Situation erwartet Jesus von uns „klare Kante“.
Wenn ich Jesus verleugne, wird auch er mich verleugnen. Nicht umsonst hat Jesus darauf hingewiesen, dass der Weg zum Vater einzig über ihn führt!!
Unsere Schwachheit ist Jesus natürlich bekannt. Und damit auch das menschliche Problem, falsche Kompromisse einzugehen und damit manchmal auch falsche Entscheidungen zu treffen. Trotzdem gilt es, sich immer wieder einen Ruck zu geben, um eigene Verhaltensweisen und angelegte Verhaltensmuster zu hinterfragen.
Ich kann nicht nur dann Christ sein, wenn es mir gerade in den Kram passt, wenn es mir gut geht, wenn es gerade mal „läuft“.
Wir Menschen sind ja ausgesprochen erfindungsreich im kreieren von Ausreden.
Deshalb wiederhole ich noch einmal, was Jesus sinngemäß sagt: Ich stehe nur dann zu dir, wenn du auch zu mir stehst. Das ist wichtig, denn: Nur über Jesus führt auch der Weg zum Vater, also zu Gott selbst.
Was bleibt uns also zu tun?
Wir Menschen machen nun einmal Fehler. Und unser Schöpfer ist immer bereit, uns diese Fehler zu verzeihen. Voraussetzung dafür ist, dass wir unsere Fehler vor Gott eingestehen und ehrliche Reue zeigen.
Es gibt aber auch völlig eindeutige Grundsätze, deren Missachtung nicht mit dem Hinweis auf leider fehlerhaftes Verhalten negiert werden können.
Dazu gehört für mich eindeutig zu Jesus zu stehen, wenn ich mich für ihn entschieden habe.
Dann ist es mir auch egal, wenn ich deshalb von anderen Menschen belächelt oder gar angefeindet werde.
Im Gegenzug spüre ich ja auch die Nähe des Herrn und seine Stärke und Stütze.
Fazit meiner heutigen Ausführungen:
Vieles in unserem Leben wird von Kompromissen begleitet. An manchen Punkten angelangt merken wir aber auch, dass kein Kompromiss möglich ist.
Dann sind wir berufen, eine klare Entscheidung zu treffen.
Wenn uns das situativ besonders schwer fällt, sollten wir auf unser Innerstes hören und Gott um Hilfe bitten.
Wir können uns auch fragen, was Jesus an unserer Stelle getan hätte. Die Antwort steht dann oft sehr klar vor unseren Augen.
Dazu bedarf es natürlich auch einer ordentlichen Portion Mut. Aber dieser Mut wird uns nicht verlassen in dem Wissen, das der Herr an unserer Seite steht, dass er mit uns ist, wenn wir in seinem Namen unser Leben gestalten.
Ein altbekannter Gemeinplatz lautet: „Mut wird belohnt!“
Bezogen auf Jesus stimmt das, inklusive lebenslanger Garantie.
Deshalb: Trauen wir uns ruhig zu, im Sinne Jesu zu entscheiden und zu handeln.
Dann sind wir automatisch auf der wirklich sichern Seite.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
für den So. Sexagesimae (19./20.02.22)
zu Hebr 4,12-13
Liebe Gemeindeglieder! Der heutige Gottesdienst kommt aus der Kirche St. Georg
in Winzberg. Der Predigt liegt folgender Text aus Hebräer 4,12-13 zugrunde:
Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft geben müssen.
Liebe Gemeinde! Ich hab’ Ihnen was mitgebracht: (Schwert hervorholen). Jetzt fragen Sie sich wahrscheinlich: „Was will der denn damit? Mit dem stumpfen Ding?“ Sie haben Recht. Das ist ein stumpfes Schwert. Ganz im Gegensatz zu dem, womit wir es hier zu tun haben: (Bibel hochhalten). Wir haben es eben gehört: „Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“, sagt der Verfasser des Hebräerbriefes.
Gottes Wort - schärfer als ein Schwert. Manchen geht das nicht so recht auf. Die finden dieses Buch (Bibel hoch halten) eher trocken und verstaubt als lebendig und kräftig. Sie sind auf alles Mögliche scharf. Aber das Wort Gottes lässt sie eher kalt. Und doch glaube ich, dass einige von Ihnen durchaus schon die Erfahrung gemacht haben: „Das Wort Gottes ist lebendig.“ Vielleicht merken Sie: „Mir tut das gut, wenn ich in den Gottesdienst gehe und in der Bibel lese. Da kommt was rüber von der schöpferischen Kraft, die schon am Werk war, als Gott sprach: „Es werde Licht!“ Da wird’s auch bei mir hell. Und es tröstet mich und macht mich lebendig, wenn ich höre, dass Jesus am Abend vor seinem Tod gesagt hat: „Ich lebe; und ihr sollt auch leben!““ Und auch die Erfahrung können Menschen bestätigen: „Das Wort Gottes ist kräftig.“ Kräftig genug um ein Menschenleben zu verändern. Auch heute noch bekommen Menschen aus dem Wort Gottes die Kraft, lieb gewonnene Gewohnheiten dranzugeben, ja, Lebensziele zu ändern, weil sie merken: „So, wie ich das bis jetzt gestaltet habe, ist das mit dem, was Gott für mein Leben will, nicht zu vereinbaren.“
Gottes Wort hat die Kraft, Menschen zu verändern. Aber das kann natürlich auch wehtun. Und dann merken Menschen, was das bedeutet (Schwert hochhalten): „Das Wort Gottes ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert.“ Gottes Wort ist kein religiöses Wellnessprogramm. Es hat durchaus unbequeme Seiten. Es ist nicht das Sahnehäubchen auf dem Schokoladeneis der Spaßgesellschaft, sondern es stellt sich quer, wenn wir im Begriff sind uns von Gott zu entfremden. Deshalb deckt es auf, was wir lieber nicht ansehen wollen, spricht an, was wir nicht hören wollen. Mit dem Ziel, uns zu unserer geschöpflichen Bestimmung zurückzurufen. Wenn unsere persönliche Lebenssituation nicht so ist, wie wir sie uns wünschen, und wir ans Nachdenken kommen und auf einmal merken, wie weit wir uns von der Quelle unseres Lebens entfernt haben - vielleicht will Gott uns dann gerade daran erinnern, wozu wir eigentlich gedacht sind: Sein Ebenbild zu sein. In Beziehung zu stehen zu Ihm, der unendlich viel für uns investiert hat – ich sag’ nur: Jesus. Gottes Wort erinnert uns in den gott- und selbstvergessenen Phasen unseres Lebens daran, dass dieses Leben ein Ziel hat.
Ein paar Zeilen vor unserem Predigttext wird dieses Ziel ganz konkret benannt: Zur Ruhe kommen bei Gott. Am Ende unserer Wege bei Ihm ankommen. Für immer die Mühsal unseres Lebens hinter uns lassen. In unserem neuen Zuhause - bei Ihm. Gottes Wort wird dann unbequem, wenn wir im Begriff sind, uns zu verlaufen und an dem vorbei zu leben, wozu wir gedacht sind. Und dann merken wir: Das geht „durch Mark und Bein“. Das Wort Gottes „dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens“, heißt es im Predigttext. Wenn man das im Wortsinn konsequent zu Ende denkt, dann bedeutet das für den Menschen, den’s trifft, das Ende. Eigentlich geht das gar nicht. Seele und Geist, Gefühl und Verstand lassen sich nicht sauber voneinander trennen. Und Mark und Bein (wörtlich: Gelenke und Mark) voneinander zu scheiden, das ist eher was für den Metzger.
Ich verstehe diese drastischen Bilder so: Das Wort Gottes dringt bis in die tiefsten und geheimsten Schichten unserer Person vor, die so verborgen sind, dass wir sie selbst nicht so richtig durchschauen. Dann jedoch, wenn uns das Wort Gottes trifft, bleibt nichts mehr verborgen. Da heißt es hinsehen: „Wer bin ich wirklich? Was geht da vor, tief in meinem Inneren, wo ich selbst kaum Einblick habe?“ Und das kann wehtun, wenn im Licht des Wortes Gottes das Bild zerbricht, das man von sich selbst hatte. Da kann man dann auch schon mal das Gefühl kriegen: „Das zerreißt mich. Das nimmt mich komplett auseinander.“
„Gottes Wort ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens“, sagt der Predigttext. KritikoV (gespr. Kritikos) heißt das griechische Wort, das Luther mit „Richter“ übersetzt hat. D.h. Gottes Wort urteilt kritisch über die Gedanken und Regungen unseres Herzens. Für uns ist das Wort „Kritik“ negativ besetzt. Kritik kann aber auch wohlwollend sein, konstruktiv, nicht auf Vernichtung ausgerichtet, sondern auf Veränderung. In diesem Sinne ist Gottes Wort ein Richter, ein Kritiker unserer Gedanken und Sinne. Aus der Psychotherapie wissen wir: Erst wo ein Problem erkannt und benannt ist, ist Änderung und Besserung möglich.
Gottes Wort sagt und zeigt, was ist - schonungslos, aber nicht gnadenlos. Gott sieht hinter unsere Masken und Fassaden und all das, was wir aufgebaut haben um uns zu verstecken - aus Angst erkannt zu werden. Sein Wort spricht uns darauf an – und wir können mit dem Versteckspiel aufhören. Gottes richtendes Wort will uns nicht hinrichten, sondern wieder herrichten. Es macht uns nicht sprachlos, sondern fähig Rechenschaft zu geben. „…kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen“, heißt es im Predigttext. Gott ruft uns: „Mensch, wo bist du?“ Damit wir Ihm antworten können: „Herr, hier bin ich. Ich habe mich versteckt, weil ich mich schäme. Ich weiß, es ist einiges im Argen. Bitte hilf mir, es besser zu machen!“ Gottes kritisches Wort zielt auf unsere selbstkritische Ant-Wort. Es macht uns fähig, uns zu ver-ant-worten. Und das heißt ja nichts anderes, als dass wir mit Gott wieder in Beziehung treten.
Mit anderen Worten: Diese scharfe Angelegenheit, mit der wir es hier zu tun haben (Bibel hochhalten) - Gottes Wort - eröffnet uns eine doppelte Chance: Einerseits wieder neu auf das große Ziel ausgerichtet zu werden, darauf, am Ende unserer Tage bei Gott zur Ruhe zu kommen. Und andererseits, schon hier und jetzt mehr Leben zu haben. Nicht beziehungslos dahinzudümpeln, ständig auf der Flucht, sondern in lebendigem Kontakt mit Gott unsere Tage zu gestalten. Dieses Wort unseres Schöpfers lädt uns jeden Tag neu zum Leben ein. Und ganz ehrlich, liebe Gemeinde, ich weiß nicht, was daran stumpf sein soll. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
für den So. Septuagesimae (13.02.22)
zu Jer 9,22-23
Liebe Gemeindeglieder! Der heutige Gottesdienst kommt aus der Kirche St. Anna
in Steeg. Der Predigt liegt folgender Text aus Jer 9,22-23 zugrunde:
So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.
Liebe Gemeinde! Ich weiß nicht, welche Gefühle das Wort „Konkurrenz“ in Ihnen auslöst. Für mich ist „Konkurrenz“ eine zwiespältige Angelegenheit. Einerseits sagt man: „Konkurrenz belebt das Geschäft!“ Stimmt ja auch. Die Konkurrenz hält die Marktwirtschaft in Gang. Sie zwingt Hersteller und Anbieter, auf Qualität zu achten, sich auf den Kunden einzustellen und trotzdem mit den Preisen auf dem Teppich zu bleiben. Aber wir kennen auch die andere, zerstörerische Seite der Konkurrenz: Das Preisdumping, bei dem kleine und mittelständische Unternehmen nicht mehr mithalten können. Viele Landwirte hat das schon die Existenz gekostet. Und die Winzer hier am Mittelrhein können auch ein Lied davon singen…
Diese Ambivalenz zieht sich durch. Konkurrenz kann ein Ansporn sein, ein regelrechter Leistungsmotor. Sie kann Menschen aber auch kaputtmachen. Zumal in unserer Zeit, in der in den so genannten „sozialen“ Medien alles und jeder bewertet wird: Jeder Arzt, jeder Lehrer, jedes Restaurant. Das meiste hängt eigentlich heute davon ab, wie man sich verkaufen kann, wie man sich in Szene setzt, sich präsentiert, ob man sich zu „rühmen“ weiß, wie es beim Propheten Jeremia heißt. Manche können das besonders gut, die machen andere nieder. Andere können das nicht so gut, die machen sich selbst nieder. Wo Menschen gehen und stehen, wird verglichen und bewertet. Und nun stellt Gott im heutigen Predigttext dieses ganze Spiel in Frage und sagt durch den Propheten Jeremia: „Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.“
Es ist menschlich und es ist okay, wenn man auf Dinge, die man erreicht hat, stolz ist. Es wird aber unmenschlich, wenn wir unser Ego aufpolieren, indem wir auf andere herabschauen. Da tut dann doch schon mal die Frage Not: „Mensch, was hast Du denn getan für das, was Du bist und hast?!“ Okay, Weisheit kommt ein gutes Stück weit durch ehrgeiziges Lernen, Stärke durch Training, Reichtum durch fleißiges Arbeiten. Das ist schon so. Aber da muss drum herum viel stimmen, damit das klappt. Und auf diese Rahmenbedingungen haben wir herzlich wenig Einfluss!
Für Weisheit braucht es Bildung. Bei uns hat jeder Zugang zu Bildung. Aber das war nicht immer so, und das ist längst nicht überall so. Und auch in unserem Land sind die Bildungschancen längst nicht für alle gleich. Das hat die Pandemie einmal mehr gezeigt. Für Stärke braucht es – je nachdem, welche Stärke man meint – körperliche, geistige oder seelische Unversehrtheit. Aber was kann ein Mensch dafür tun, dass er gesund zur Welt kommt? Und Reichtum schließlich – oder sagen wir: Wohlstand – ja, meine Güte, was haben wir denn dafür getan, dass wir hier in Deutschland geboren worden sind?! Das ist nicht auf unserem Mist gewachsen. Das ist ein Geschenk. GNADE. Was wir draus machen, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Voraussetzungen und die Rahmenbedingungen sind uns geschenkt.
Darum sagt Gott: „Macht mal halblang. Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der Herr bin.“ Im Grunde ist damit jeder Selbstbeweihräucherung der Boden entzogen. Wer wirklich klug ist, weiß, dass er nicht selbst das Maß aller Dinge ist, nicht der Nabel der Welt, sondern kennt den, dem er letztlich alles zu verdanken hat, was er ist und hat. Und der „definiert“ sich in diesen Worten aus Jeremia 9 als der, „der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden.“ Drei große Worte. Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit. Gehen wir das mal durch.
Barmherzigkeit. Wie wir gerade gesehen haben, ist das etwas, wovon wir alle leben, womit aber gern gegeizt wird. Manchmal bin ich echt geschockt, wie viel Missgunst das Miteinander in unserem Land zerfrisst. Wir haben so viel. Und trotzdem ist da immer diese Angst, zu kurz zu kommen. Jemand anders könnte mir was wegnehmen oder könnte es zu leicht haben. Wie viel Neid verstellt Menschen den Blick darauf, dass das Leben an sich schon ein Geschenk ist, und lässt Konkurrenz zum Vernichtungskampf werden. Bei Gott steht die Barmherzigkeit an erster Stelle. Und Er will sie üben – ausüben und mit uns wohl auch noch einüben – auf Erden.
Recht. Das ist das zweite, worüber Gott sich in den Worten des Propheten selbst „definiert“. Auch so ein Thema. Recht ist nicht nur das, was mir zusteht, was ich „verdient“ habe und einklagen kann. Recht ist zuerst und vor allem ein Rahmen, der menschliches Leben überhaupt erst möglich macht, weil er es schützt. Der den Schwächeren vor der Willkür des Stärkeren schützt, der den einen in die Pflicht nimmt als Bruder des anderen. Insofern ist Recht immer auch etwas, das ich dem anderen schuldig bin, nicht nur er mir.
Und dann ist da drittens schließlich die Gerechtigkeit. Der abendländische Gerechtigkeitsbegriff ist wesentlich geprägt von dem Bild jener römischen Göttin Iustitia, die mit verbundenen Augen die Waage in der Hand hält und richtet. An für sich ist das ja nicht schlecht - eine unparteiische Richterin, die die Person nicht ansieht. Nur - sie sieht eben gar nichts. Sieht nicht, dass es um Menschen geht. Unser Gott richtet nicht blind. Er sieht den Menschen. Sieht, wer er ist. Sieht, was ihm fehlt. Sieht, was er braucht. Gottes Gerechtigkeit fragt nicht: „Wie kannst Du mir gerecht werden?“ Sondern Gott fragt: „Wie kann ich dir gerecht werden? Was brauchst du von mir, damit du leben kannst – mit Sinn, mit Substanz und mit Zukunft ohne Ende? Das ist ja die befreiende Entdeckung der Reformatoren gewesen. Gerechtigkeit enthält bei Gott immer zugleich Zuwendung. Das ist der Unterschied zur Iustitia. Ein Unterschied, der unter Umständen über Leben und Tod entscheidet.
Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit. „Solches gefällt mir, spricht der Herr.“ Daran hat Gott Spass. Ich wünsche uns, dass Er mit uns noch viel übt. Solange, bis es uns auch Spaß macht, barmherzig zu sein, Recht nicht nur einzuklagen, sondern zu gewähren, Gerechtigkeit nicht blind und kalt zu fordern, sondern zu suchen – nicht nur beim anderen, sondern für ihn. Vielleicht macht dann irgendwann allen das Leben wieder mehr Spaß. Gott sieht uns Menschen an. Klug ist, wer sich das zu Herzen gehen lässt. Denn weil wir bei Gott unser Ansehen haben, brauchen wir uns nicht selbst zu beweihräuchern, brauchen wir weder uns noch andere in kranker Konkurrenz nieder zu machen. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Predigt
für den 4. So. v. d. Passionszeit (06.02.22)
zu Mt 14,22-33
Liebe Gemeindeglieder! Der heutige Gottesdienst kommt aus der Kirche St. Peter
in Bacharach. Der Predigt liegt folgender Text aus Matthäus 14,22-33 zugrunde:
Jesus drängte die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: „Es ist ein Gespenst!“, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: „Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!“ Petrus aber antwortete ihm und sprach: „Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.“ Und Jesus sprach: „Komm her!“ Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: „Herr, rette mich!“ Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“
Liebe Gemeinde! Ein bisschen Fake-News verdächtig wirkt das schon, was wir gerade gehört haben. Dass Jesus über das Wasser geht, erscheint manch einem ähnlich absurd wie gewisse „alternative Fakten“, die von Verschwörungstheoretikern in die Welt gesetzt werden. Wenn man sich den Predigttext aus Mt 14 genauer ansieht, merkt man allerdings, dem Evangelisten geht’s nicht darum die Story als Sensation zu verkaufen. Wenn Jesus damals am See Genezareth eine Show hätte hinlegen wollen, hätte er das ja tun können. Dann hätte Er am Ende Seiner Predigt am Seeufer zu der Menge gesagt: „So, Leute, ich bin dann mal weg!“, hätte sich umgedreht, auf dem Weg gerade noch dezent so' n Boot beiseite geschubst nach dem Motto: „Brauche ich nicht!“ und wäre leichten Fußes über’ s Wasser auf die andere Seite rübergelaufen. Tut Er aber nicht. Die Geschichte im heutigen Predigttext spielt sich im Privacy-Bereich von Jesus und Seinen Jüngern ab. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit sozusagen; in der vierten Nachtwache, wie der Evangelist berichtet, also irgendwann nach 3 Uhr nachts. Seit Stunden kämpfen die Jünger verzweifelt in ihrem Boot gegen Wind und Wellen an. Da sehen sie plötzlich eine Gestalt auf dem See. Keiner kapiert, wer das ist. Keiner feiert Jesus als Superman. Alle halten sie Ihn für ein Gespenst. Jesus hat richtig Mühe sie zu beruhigen: „Ey Leute, keine Panik, ich bin’s!“ „Ich bin’s!“ In diesen kurzen Worten klingt der Gottesname an. Als Mose Gott bei Seiner Berufung am brennenden Dornbusch nach Seinem Namen gefragt hatte, da war das Gottes Antwort: „Ich bin der Ich-bin-da!“ „Seid getrost, ich bin’s. Ich bin da. Ich lasse euch nicht im Stich.“
Petrus findet als erster seine Contenance wieder und sagt: „Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser!“ Das ist interessant. Petrus sagt nicht: „Oh cool, ich will auch mal!“ Sondern: „…befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.“ Petrus weiß, dass nur das Wort Jesu ihn tragen kann, wenn kein fester Boden da ist, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht und höher, wenn man nach menschlichem Ermessen eigentlich nur untergehen kann. Er weiß, dass Er dieses Wort braucht: „Komm her!“ So wie es dieses Wort gebraucht hat, damit überhaupt was wurde – ganz am Anfang, wo Gott sprach: „Es werde Licht!“ Und es ward Licht. Und Jesus gibt Petrus Sein Wort und ruft ihn und sagt: „Komm her!“ Petrus steigt aus dem Boot und begibt sich auf das Wasser. Solange er auf Jesus zugeht und auf Ihn schaut, ist alles gut. Aber dann ändert sich sein Focus. Er spürt den Wind im Gesicht, sieht den Sturm, der das Wasser aufpeitscht und prompt geht er unter. In seiner Verzweiflung schreit er: „Herr, rette mich!“ Wieder klingt ein Name an. Diesmal der Name Jesu, der übersetzt nichts anderes heißt als: „Gott rettet!“ Sofort streckt Jesus Petrus die Hand entgegen, zieht ihn wieder hoch und bestätigt damit, was Sein Name verspricht. Gott rettet. Auch die Zweifler lässt Jesus nicht untergehen. Auch die nicht, die sich von dem, was vor Augen ist, stärker beeindrucken lassen als von Seinem Wort, die menschlicher Erfahrung mehr vertrauen als göttlicher Verheißung. Zwar muss Petrus sich die Frage gefallen lassen: „Warum hast du gezweifelt?“, aber gerettet wird er trotzdem.
„Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor Jesus nieder und sprachen: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“ Das ist die Pointe an dieser Geschichte. Nicht ein Aufsehen erregendes Spektakel, sondern die Erkenntnis, dass Jesus Gottes Sohn ist. Dass in Ihm kein anderer als der Schöpfer selbst zur Welt gekommen ist, der Himmel und Erde, Luft und Meer geschaffen hat, den trockenen Boden wie Seen und Meere. Und dass dieser Wanderprediger aus Nazareth die Vollmacht Gottes in sich trägt.
Wahrscheinlich haben Sie sich schon gefragt, was ich wohl von der ganzen Geschichte halte. Will ich Ihnen gerne sagen: Ich glaube, dass Gott diese Welt geschaffen hat – wie auch immer das naturwissenschaftlich ausgesehen haben mag. Aber irgendwo müssen ja Materie und Energie ihren Ursprung genommen haben, und da glaube ich eben, dass da Gott am Werk war, ebenso wie bei allen weiteren Entwicklungen in dem, was wir Evolution nennen. Und ich glaube, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, und dass Ihm nichts unmöglich ist. Dass der, der die Naturgesetze geschaffen hat, ihnen selber nicht unterworfen ist. Insofern habe ich kein Problem mit dieser Geschichte. Sie können mich jetzt für naiv halten, aber ich traue Jesus zu, dass Er über’s Wasser gehen konnte. Wenn Er in der Lage war, den Tod zu besiegen, sollte das eine Seiner kleineren Übungen gewesen sein… Aber darum geht es eigentlich nicht. Dass Jesus da zu Fuß über den See latscht, ist ja kein Selbstzweck. Er kommt um zu helfen. Zu retten. Der Predigttext hat Seine Spitze nicht in einem übernatürlichen Wunder, sondern in der Message, dass wir immer und zu jeder Zeit und auch in der größten Not mit Jesus rechnen dürfen.
Zwei Dinge nehme ich mit aus dieser Geschichte. Erstens, dass Jesus Seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern heute wie damals sagt: „Ich bin da, wenn Euch die Nacht umgibt. Ich bin da, wenn Ihr Euch von Gott und der Welt verlassen fühlt, wenn euch der Wind entgegensteht, wenn es stürmisch zugeht in Eurem Leben, wenn die Wogen des Lebens über Euch zusammenbrechen, wenn alles außer Kontrolle geraten ist, wenn Ihr solche Angst habt, dass Ihr Gespenster seht!“
Und das zweite ist diese Episode mit Petrus, der in dem Moment untergeht, wo er seinen Blick nicht mehr auf Jesus richtet, sondern auf den Wind und die Wellen. Anders gesagt: Wo er sich mehr mit den Problemen beschäftigt als mit seinem Herrn. Aufgebrochen war er mit dem Blick auf Jesus, von dem er gelernt hat, dass alle Dinge möglich sind bei Gott. Aber als er anfängt drüber nachzudenken, dass das, was er da gerade tut, ja eigentlich gar nicht sein kann, zieht’s ihn runter. Wenn wir immer nur auf unsere Probleme starren wie das Kaninchen auf die Schlange, dann kriegen die Probleme Oberwasser. Aber das muss um Gottes willen nicht sein, liebe Gemeinde.
Realist ist, wer mit Gott rechnet. Das ist etwas völlig anderes, als irgendwelchen Verschwörungstheoretikern auf den Leim zu gehen, die die Welt spalten und nicht retten, die Menschen Hass ans Herz legen und nicht die Liebe, die die faktische Wirklichkeit leugnen müssen, um ihren Quatsch zu verbreiten. Realist ist, wer mit Gott rechnet. Wer das tut, muss nämlich gerade nicht die Realität leugnen, sondern kann in der Wirklichkeit, wie sie ist, wissen, dass unser Herr da ist – bei uns, und uns wie den Jüngern damals auf dem See zuspricht: „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!“ Das sind keine Fake-News, sondern Good-News. Zu Deutsch: Gute Nachrichten. Oder, um es mit dem griechischen Wort zu sagen: Evangelium. Amen.
Gottesdienst am letzten So.n.Epiphanias 30.1.2022 Fest der Verklärung Christi
Predigttext: 2.Petrus 1, 16-19: Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge. Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.
Liebe Gemeinde, Christus kommt wieder, deshalb kann man den Dingen nicht einfach ihren Lauf lassen. Sein Wort darf auf Erden nicht verstummen, bis Sein Tag da ist. Dafür kämpft der Apostel Petrus. Sein Brief ist zeitlich nicht genau einzuordnen. Es müssen aber schwere Zeiten für die Nach-folger Jesu gewesen sein. Irrlehrer sind am Werk. Den frühen Christen werden andere Wege zum Heil angepriesen, die viel leichter zu gehen wären als in der Nachfolge Jesu.
Der Teufel ist am Werk, deshalb gibt Petrus ein Geheimnis preis, das er mit seinem HERRN erlebt hat: die Verklärung Jesu ins Licht der Ewigkeit! Deshalb schreibt er: Lasst euch nicht von den ach-so-Klugen irgendwelche Märchen erzählen! Es gibt keine Selbsterlösung des Menschen; allein in Jesus Christus ist Heil zu finden! Gott hat dem verklärten Sohn sogar zwei Zeugen zur Seite ge-stellt, nämlich Mose, der das Gesetz aus Gottes Hand empfing, und den Propheten Elia, den Streiter gegen den Götzen Baal und seine Diener. Gott gab es Petrus, Jakobus und Johannes sozusagen mit „Brief und Siegel“, dass Jesus der Christus ist, sein Auserwählter!
Den 2. Petrus-Brief nennt man das Testament des Apostels. Er hat ein kostbares Erbe weiter zu geben. Seine "Nachkommen" will er vor seinem Tod für die Bewahrung und Vermehrung des Werkes Jesu Christi gewinnen! Es war ein Hör- und ein Seh-Erlebnis, das den drei Jüngern ge-währt wurde. Sie hörten Gottes Stimme und sahen Jesus schon getaucht in das Licht der Ewigkeit! Und aus einer Wolke, die Gottes Gegenwart bedeutet, hörten sie die Worte: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Petrus, Jakobus und Johannes, die drei Zeugen, hat das fast umgehauen! Das werden die nie vergessen, könnte man denken. Aber Petrus hat keinen Hehl daraus gemacht, dass gerade er bei der Gefangennahme Jesu kläglich versagte, obwohl er so viel von Jesus wusste. Die Angst hatte ihn blind gemacht, sie hatte das Erlebnis auf dem Berg überlagert. Er hatte es nicht geschafft, hinter dem Gefangenen den "verklärten" Jesus zu sehen und Gott alles zuzutrauen. Petrus kennt sich, und er kennt seine Christen. Er weiß, wie schwer es denen fallen muss, sich vor Irrlehrern zu schützen, die Jesus nicht persönlich erlebt ha-ben. Aber der Fischer vom See Genezareth tut jetzt das, was sein Meister ihm aufgetragen hat: Er wirft das Netz aus, um Menschen für Jesus zu fischen, er weidet Lämmer und Schafe, damit sie nicht den Seelen-Räubern in die Hände fallen.
Petrus redet Klartext: Wir sind keinen ausgeklügelten Fabeln (Lehrgeschichten!) gefolgt, nicht den griechischen Philosophen nachgelaufen", so höre ich ihn. "Wir waren mit Jesus von Nazareth un-terwegs, der sich als Christus erwiesen hat - vor unseren Augen. Diesem Jesus ging es nicht darum, einen Platz unter den Denkern, den Philosophen zu haben, sondern er wollte Diener der Mühseligen und Geplagten sein, Irrende zurechtbringen und Ausgegrenzte zu Gott zurück holen. Blinden gab er neue Sicht, die sollt ihr auch haben, sagt Petrus: Dieser Jesus ist der, den die Propheten verkündig-ten - wir sahen schon auf dem Berge Mose und Elia an Jesu Seite stehen. Er ist das Licht für alle, die im Finstern wandeln. Meinem Herrn Jesus Christus ging es darum, unter den Menschen viele Zeichen des auf Erden anbrechenden Himmelreiches zu setzen.
Die Verklärung Jesu war für die drei Jünger ein Augen-(Blicks-)Geschenk. Sie konnten es nicht, wie wir heutzutage, mit dem Handy festhalten. Sie hatten keine vorzeigbaren Beweise dafür. Jesus hatte auch nur drei Jünger beiseite genommen, denen gewährte er die Ausnahme-Stunde auf dem heiligen Berg. Er machte sie dadurch zu auserwählten "Sehern". Sie sahen dreidimensional: Die Vergangenheit in Mose und Elia, die Gegenwart und die Zukunft im Licht der Ewigkeit an dem verklärten Jesus. Welches Geschenk hatte Jesus ihnen mit dieser Stunde auf dem Berg gemacht! Es ging um etwas anderes als "schöne Aussicht". Es ging um "Einsicht", um Klarheit, auch und grade für dunkle Zeiten, die unweigerlich über die Jüngerschar hereinbrechen würde, die Zeit des Leidens und des Todes Jesu und ihre spätere Arbeit in seiner Nachfolge.
Gerade zur Zeit der Briefabfassung, wo viele Irrlehrer die relativ "jungen" Christengemeinden verunsichern wollen, da steht dieses Erlebnis auf dem Berge in Petrus wieder auf. Und er redet Klartext: Die Irrlehrer haben ihre Weisheit und Einsicht entweder von anderen Lehrern übernom-men oder sie sind ihrer Phantasie entsprungen, sie sagen euch Menschenklugheit weiter. Aber Jesus Christus empfing Ehre und Preis von Gott – schon als Taufgeschenk. "Dies ist mein lieber Sohn", so klang es nicht erst auf dem Berg der Verklärung, schreiben die Evangelisten, sondern schon über dem demütig im Jordan-Wasser vor Johannes stehenden Täufling Jesus. Diese Worte hatten in Israel guten Klang: Dies ist mein lieber Sohn, das galt im alten Israel für gesalbte Könige, die als Herrscher auf dem Thron saßen, die sich dienen ließen, die Kriege führten und zwangsläufig fremdes Blut an den Händen hatten. Aber der Mann im Jordan, von dem Gott sagte: Dies ist mein lieber Sohn, der war von anderer Art: Er ließ sich nicht dienen, saß nicht mit heiligem Öl gesalbt auf einem Thron, sondern stand im Jordan-Wasser in der Reihe der bußfertigen Sünder. Als Vorbild, dem sie nachfolgen sollten.
Wenn ich an den schreibenden Petrus denke, dann stelle ich mir vor, dass sein Herz blutete bei dem Gedanken, dass sich Christen von ihrem Herrn weglocken lassen, um den Hirngespinsten von Irr-lehrern nachzulaufen. Petrus schreibt sehr ernst; denn er weiß, dass er nicht mehr lange leben wird. Umso mehr müht er sich, die Christen von tödlichen Wegen zurückzubringen. Wer den Falschen nachfolgt, der läuft ins Nichts! Bleibt an Jesus, dem Auferstandenen dran!
Petrus und die anderen Apostel waren ja Garanten und Zeugen dafür, dass es nicht nur Jesu Ver-klärung für ein paar Augenblicke auf dem heiligen Berg gegeben hat, sondern dass er endgültig ver-wandelt, fertig für Gottes zukünftige Welt, nach seiner Auferstehung noch eine Weile unter ihnen war. Der Auferstandene war schon umgeben vom Licht der Ewigkeit unter ihnen gewesen. Das hatte sie erst befähigt, sich mit der Botschaft von der Erlösung zu den Menschen schicken zu lassen.
Überzeugt euch selbst, dass alle Worte der Propheten geradezu auf Jesus hinführen, der der Chris-tus ist, fordert Petrus auf. Zieht eure Vergleiche selbst. Jesus hat keine spitzfindigen, nebulösen Reden gehalten, um Menschen hinters Licht zu führen. Im Gegenteil: Er öffnete vielen die Augen für Gottes Liebe und Barmherzigkeit, für seine Nähe zu den Leidenden. Jesus sprach nicht nur vom anbrechenden Himmelreich, an seinen Taten konnte man es schon sehen. Und das Einmalige ist eben, ihr hin- und hergerissenen Christen zwischen den Irrlehrern und Jesu Lehre, dass wir Zeugen des auferstanden Christus sind. ER wird wiederkommen in Herrlichkeit - nicht die Irrlehrer.
Was wird sich ein Mann, der diese Art Testament schreibt, mehr wünschen, als dass seine Leser und "Erben" die Worte von Jesus Christus aufnehmen, seinem Leben nach-sinnen, ihm vertrauen lernen, bis die Sache Jesu zu ihrer eigenen Sache geworden ist! Petrus könnte seinen Brief dieser Tage geschrieben haben. Unzählige Irrlehren werden in unserer Zeit als seligmachend angepriesen. Da weiß ich Besseres für euch, schreibt Petrus. Es gibt nur einen, nach dem ihr euch aufmachen sollt. Jesus Christus ist kein Fabelwesen, irgendwie zurecht phantasiert. ER ist wahrhaftiger Mensch - und wahrhaftiger Gott! Es ist schwer zu verstehen, noch viel schwerer zu glauben. Petrus weiß das wie kein anderer. Obwohl er hautnah lange Zeit mit Jesus zusammen war, obwohl Jesus ihn vor falschen Schlüssen und Reaktionen immer wieder warnte - er blieb ein schwacher Mensch, er versagte kläglich, als die Leidenszeit Jesu begann. Aber Petrus beruft sich auch nicht auf seine Stärke, er beruft sich allein auf den, der sich als Gottes Sohn erwies.
Das ist das unbeschreiblich kostbare Gut, das er uns in seinem Testament vermacht: Jesus ist der Sohn Gottes, auf den sollt ihr hören. Wer ihm nachfolgt, der wird nicht in die Irre gehen, auch nicht im Jahr 2022. Amen
Predigt
für den 3. So. n. Epiphanias (So. 23.01.22)
zu Mt 8,5-13
Liebe Gemeindeglieder! Der heutige Gottesdienst kommt aus der Kirche St. Oswald
in Manubach. Der Predigt liegt folgender Text aus Matthäus 8,5-13 zugrunde:
Als Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn und sprach: „Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen.“ Jesus sprach zu ihm: „Ich will kommen und ihn gesund machen.“ Der Hauptmann antwortete und sprach: „Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's.“ Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: „Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“ Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: „Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast.“ Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.
Liebe Gemeinde! Nur zweimal wird im Neuen Testament erzählt, dass Jesus sich über etwas wundert: Einmal - im Markusevangelium - wundert Er sich über den Unglauben in seiner Heimatstadt Nazareth, und hier, im heutigen Evangelium aus Mt 8, wundert Er sich über den Glauben des „Hauptmanns von Kapernaum“. Das ist ja auch ein interessanter Typ. Ein Hauptmann, der an seinem Knecht hängt! An einem Sklaven. Nötig hätte er das nicht. Sklaven galten als Gegenstand. Wahrscheinlich hätte er an jeder Ecke einen neuen gekriegt. Als Arbeitskraft war er ersetzbar. Aber offenbar nicht als Mensch. Da liegt eine persönliche Bindung vor. Er ist ihm ans Herz gewachsen. Fast könnte man sagen, dieser Hauptmann ist der perfekte Chef. Menschlich, fürsorglich, besorgt um den Gesundheitszustand seines Untergebenen. Erstaunlich nur, dass er auf seiner Suche nach Hilfe nicht zum Truppenarzt des Heeres geht, sondern zu dem Juden Jesus.
Der Hauptmann ist Kommandant einer römischen Militäreinheit. Er steht im Dienst der ungeliebten Besatzungsmacht, die Israel erobert und unterworfen hatte. Er selbst muss kein Römer gewesen sein; man vermutet, er war Syrer. Auf alle Fälle aber aus jüdischer Sicht ein Heide. Ein Ungläubiger. Und dieser römische Militärfunktionär kommt nun zu Jesus und – redet ihn mit „Herr“ an. „Kyrie“, sagt er. Das ist nicht einfach nur eine Anrede, so wie wir sagen: „Guten Tag, Herr Roos, oder „Hallo, Herr Seckler!“ „Kyrios“ ist ein Herrschaftstitel. Eigentlich hätte der Hauptmann das nur zu seinem Chef sagen dürfen. Man merkt also: Er blickt zu Jesus auf. Er stellt auch keine Forderung – als Kommandant der Besatzungsmacht hätte er das durchaus gekonnt. Sondern er bittet Jesus. Als Jesus ihm anbietet mitzukommen, wehrt er ab: „Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, dann wird mein Knecht gesund.“ Der Hauptmann will Jesus keinen Stress machen. Er achtet die religiösen Gefühle der Bevölkerung im besetzten Land. Er weiß, dass Jesus sich nach den Vorschriften des Alten Testaments unrein machen würde, wenn er zu ihm, zu einem Heiden, ins Haus kommt. Er will Ihn nicht in Konflikte bringen.
Trotzdem wirkt dieser Mann nicht unterwürfig oder gar anbiedernd. Sein Auftreten ist durchaus selbstbewusst, denn an sich selbst macht er deutlich, was er Jesus zutraut. Er sagt: „Schau mal, bei dir ist das doch ähnlich wie bei mir: Ich hab Leute unter mir, und die müssen mir gehorchen. Wenn ich zu einem meiner Soldaten sag: „Komm her!“, dann kommt der. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig.“ Aber der Hauptmann ist sich durchaus auch der Grenzen seiner Macht bewusst. Angesichts der Krankheit, unter der sein Knecht leidet, ist er ohnmächtig. Darauf hat er keinen Einfluss. „Aber den hast Du, Jesus“, sagt er. So wie ich mit einem Wort meine Soldaten springen lassen kann, so kannst du diese Krankheit in die Wüste jagen!“ Und Jesus wundert sich. „Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden“, sagt er zu denen, die mit ihm unterwegs sind.
Glaube begegnet manchmal da, wo man ihn am wenigsten vermutet. Mir passiert das ab und zu bei Besuchen. Da begegne ich Menschen, die habe ich im Leben noch nie in der Kirche gesehen. Aber im Gespräch merke ich: Da ist ein ganz tiefer Glaube (denn das merkt man schon, ob jemand nur fromm tut, oder ob er Gott wirklich etwas zutraut). Glaube begegnet manchmal da, wo man ihn am wenigsten vermutet. Problematisch ist natürlich der Umkehrschluss. Ich bin sicher, ich hätte das als totalen Affront empfunden, wenn ich damals dabei gewesen wäre – als einer von den Jüngern - und mir das hätte anhören müssen: „Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden“. Sie haben doch an Ihn geglaubt, Seine Jünger. Sonst wären sie Ihm nicht nachgefolgt. Und sie waren Israeliten. Vielleicht wollte Jesus sie herausfordern. Vielleicht hat Ihm die Bedingungslosigkeit und die Demut imponiert, mit der dieser Fremde Ihm die Vollmacht zutraute, einem Menschen zu helfen.
Furchtbar jedenfalls ist, dass die christliche Kirche später hergegangen ist und aufgrund dieses Satzes und anderer Sätze behauptet hat, Gott habe Israel verworfen und die Kirche an seine Stelle gesetzt. Diese Behauptung hat sich über Jahrhunderte in den Köpfen der Menschen festgesetzt und den Boden für Auschwitz mit bereitet. (Am Donnerstag ist es 77 Jahre her, dass dieses KZ, der Inbegriff des Nationalsozialistischen Vernichtungswahns, befreit wurde.) Wir tun gut daran, Jesu Worte nicht als ein Urteil über Israel zu hören, bei dem wir uns selbstgefällig zurück lehnen können, sondern als Mahnung an uns. Denn Jesus spricht die an, die Ihm nachfolgen! Vielleicht würde Jesus heute sagen: „Solchen Glauben habe ich in meiner Kirche bei keinem gefunden!“ Wie steht es denn bei uns mit dem Glauben? Was trauen wir Jesus zu – in unserem Leben? Im Blick auf die, um die wir uns sorgen? Im Blick auf all die Lähmungen und Qualen, die uns vor Augen sind? Im Blick auf die Pandemie und all ihre Begleiterscheinungen? Liegen wir Jesus in den Ohren mit der Bitte um Hilfe? Mit dem Bekenntnis: „Sprich nur ein Wort – und die Dinge werden sich zum Guten wenden?“ Bei allem Respekt vor der Notwendigkeit, Dinge kritisch zu hinterfragen und wissenschaftlich redlich zu bleiben, habe ich doch manchmal den Eindruck, wir haben uns eine derartige Theologie der Skepsis aufgebaut, dass wir sicherheitshalber von Gott gar nicht mehr viel erwarten.
Jesus wundert sich über den tiefen Glauben des Hauptmanns. Vielleicht gäbe es in unserem Leben mehr Wunder, wenn wir Jesus mehr Gelegenheit gäben, sich auch über unseren Glauben zu wundern… Vielleicht wundert – oder beeindruckt Ihn auch, dass es diesem Mann nicht um sich selbst geht. Er kommt ja quasi mit einer Fürbitte zu Ihm. Tut das Letzte und Größte, was ein Mensch für einen anderen tun kann: Er bringt seinen kranken Knecht vor Jesus. Vielleicht will Jesus uns auch dazu herausfordern: Für andere zu glauben. Für die, die sich so sehr mit ihrem Leben quälen, dass sie platt am Boden liegen. Dass sie nicht mehr selbst zu Jesus kommen können. Und für sie vor Gott einstehen. Und darauf vertrauen, dass Seine Möglichkeiten noch nicht am Ende sind.
Natürlich müssen wir bei allem Bitten damit rechnen, dass Gott frei ist, anders zu handeln, als wir es gerne hätten. Das kann sein. Deswegen hat Jesus selbst ja gebetet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Auf jeden Fall aber dürfen wir niemanden aufgeben. Und sollten wir uns gelegentlich über den Unglauben anderer wundern – so wie Jesus sich über den Unglauben der Men-schen in Nazareth gewundert hat – dann lasst uns nicht über sie Gericht halten, sondern für sie beten. Wer weiß, vielleicht wundern wir uns dann auch noch manches Mal darüber, was uns an unerwartetem Glauben begegnet. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt
für den 2. So. n. Epiphanias (So. 16.01.22)
zu Ex 33,17b-23
Dankgottesdienst für die 70 und 75jährigen aus den Jahren 2020-2021
Liebe Gemeindeglieder! Der heutige Gottesdienst kommt aus der Kirche St. Anna
in Steeg. Der Predigt liegt folgender Text aus 2. Mose 33,17b-23 zugrunde:
Der HERR sprach zu Mose: „Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.“ Und Mose sprach: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Und er sprach: „Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ Und er sprach weiter: „Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ Und der HERR sprach weiter: „Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.“
Liebe Gemeinde! Der Wunsch Gott sehen zu können, ist so alt wie die Menschheit. Auch Mose kannte diesen Wunsch. Der arme Kerl war am Tiefpunkt seiner Karriere, als er jenes Gespräch mit Gott hatte, von dem wir eben in der ersten Lesung gehört haben. Mose – der Mann, dem Gott keinen geringeren Auftrag gegeben hatte, als ein ganzes Volk aus der Sklaverei in die Freiheit zu führen. Und wie das so ist, wenn man Verantwortung hat – irgendwas geht immer schief. Nachdem der Auszug aus Ägypten endlich vollbracht war, kam nicht etwa hinter der nächsten Kurve das gelobte Land, sondern – 40 Jahre Wüstenwanderung. Und wie das so ist, wenn man Verantwortung hat - vielleicht kennen Sie das aus Ihrem Beruf oder aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder auch von zuhause: Irgendeiner ist immer am meckern. „Lieber Sklave in Ägypten als tot in der Wüste!“ schimpften die Israeliten, als das erste Mal das Wasser knapp wurde. Und machten den armen Mose dafür verantwortlich.
Die ganze Misere gipfelt schließlich am Berg Sinai. Während Mose oben auf dem Berg die Zehn Gebote entgegen nimmt, reißt unten dem Volk der Geduldsfaden: „Wer weiß, ob der da je wieder runterkommt?! Jetzt ist der schon 40 Tage da oben! Wie lange sollen wir denn warten? Und überhaupt – der mit seinem komischen Gott, den noch kein Mensch gesehen hat – das ist doch alles viel zu vage. Wir machen uns unseren eigenen Gott.“ Und schwups war das goldene Kalb gegossen. Schon von weitem ahnt Mose nichts Gutes, als er vom Berg zurückkommt. In seiner Wut und Enttäuschung zertrümmert er die Steintafeln mit den Geboten und macht das Volk samt seinem Bruder und Stellvertreter Aaron zur Schnecke. Und jetzt? War’s das? Nein. Gott beauftragt denselben Mann wieder. Aber der kann nicht mehr. Heute würde man von einem Burnout sprechen. In der Situation sagt Mose zu Gott: „Ey Gott, wenn Du willst, dass ich dieses Volk weiter führe, dann lass mich deine Herrlichkeit sehen!“
Wer wollte das nicht verstehen? Was wäre das für eine Hilfe, wenn Gott sich wenigstens mal zeigen würde, wenn Er uns schon in Situationen schickt, die uns mehr als eine Nummer zu groß erscheinen. Dann könnte man sagen: „Ja, ich weiß, den gibt es. Ich weiß es, weil ich Ihn mit eigenen Augen gesehen habe!“ Darum diese Bitte: „Gott, lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Gott reagiert mit Verständnis. Aber in der Sache bleibt es dabei: Gott kann man nicht sehen. Wie sollte das auch gehen, liebe Gemeinde? Alles auf der Erde unterliegt der Begrenzung von Raum und Zeit. Alles, was wir sehen können, definieren wir über Länge mal Breite mal Höhe. Gott unterliegt dieser Begrenzung nicht. Mit Länge mal Breite mal Höhe kommt man Ihm nicht bei. Wie sollte man Ihn dann sehen können? Das ginge nur, wenn wir selbst aus der Begrenzung von Raum und Zeit heraustreten würden. Doch der Preis dafür ist der Tod. Darum gilt heute dasselbe, was Gott dem Mose damals zur Antwort gegeben hat: „Kein Mensch wird leben, der mich sieht.“
Aber – und das ist das Tröstliche – das ist nicht das letzte Wort in dieser Sache. Wir können Gott zwar nicht sehen, aber wir können Ihm hinter her sehen - in dem Sinne, dass wir in Seinen Spuren lesen können. Gott ist nicht sichtbar. Aber die Folgen Seines Wirkens, die sind sichtbar. Das ist wie beim Wind, liebe Gemeinde. Den können Sie auch nicht sehen. Aber Sie sehen, wie er Zweige hin und her bewegt und Blätter vor sich her pustet. So ist das mit Gott auch: Wir sehen nicht Ihn. Aber Seine Spuren. Im Rückblick.
Wenn Sie, liebe Jubilarinnen und Jubilare, durch Ihr Haus oder Ihre Wohnung gehen und schauen: „Wie viel Platz habe ich zum Leben? Was stehen das für Möbel? Welche technischen Geräte habe ich, die mir das Leben leichter machen? Wo wasche ich mich morgens?“ Und dann zum Vergleich gedanklich mal zurückgehen in Ihre Kindheit und überlegen: „Wie viel Platz hatte ich damals? Wie sah zu der Zeit das Mobilar aus? Was für Elektrogeräte gab’s da? Wie habe ich mich seinerzeit gewaschen?“ Ich glaube, dann ist ziemlich schnell klar, dass uns im Laufe Ihrer Lebenszeit ein unfassbarer Wohlstand geschenkt wurde, den sich zur Zeit Ihrer Jugend niemand hätte träumen lassen. Das ist Gott hinterher gucken. Das sind Spuren, die Er in Ihrem Leben hinterlassen hat.
Vielleicht denken Sie auch noch an andere Erfahrungen, wo Sie im Nachhinein erkannt haben: Da bin ich Gott begegnet. Zum Beispiel bei der Geburt eines Kindes. Vielleicht aber auch in einer Situation, die Ihnen, während Sie drin steckten, ganz und gar nicht so vorkam. Es sind oft gerade die Grenzerfahrungen in unserem Leben, in denen Gott uns nah kommt. Das kann eine berufliche Katastrophe sein, die uns wie Mose zwingt, unser Leben zu überdenken. Eine Krankheit. Die Corona-Pandemie. Oder das Scheitern einer Beziehung, das von einem Lebensentwurf nur noch einen Scherbenhaufen zurücklässt. Manchmal fragt man sich nach so einer Krise: „Wie habe ich das eigentlich durchgehalten?“ Und dann merkt man im Rückblick: Da war eine Kraft am Werk, die nicht aus mir selbst kommt. Das sind Fußspuren Gottes in den Niederungen des eigenen Lebens. Und manchmal geht es noch darüber hinaus, und wir stellen nicht nur fest, dass Gott uns durch die schwersten Stunden durchgetragen hat, sondern uns auch daran hat wachsen lassen.
Es ist Gnade, liebe Gemeinde, wenn Gott uns solche Erkenntnisse schenkt. Und so klar Er sagt, dass wir Ihn nicht sehen können, so klar verspricht Er uns eben diese Gnade. „Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen“, sagt Er zu Mose. Wir können Gott zwar nicht sehen, aber Er sieht uns. Klingt vielleicht erstmal beunruhigend; wie im Krimi, wenn die Delinquenten bei der Kripo da in diesem Glaskasten sitzen, dessen Wände von innen wie ein Spiegel wirken, aber von außen durchsichtig sind. Ist ein doofes Gefühl. Aber der, der – im Bild gesprochen – da draußen steht und rein guckt – Gott -, schaut mit gnädigen Augen auf uns. Der fragt sich nicht: „Wie kriege ich den klein?“ Sondern: „Wie kriege ich den / wie kriege ich die da raus?“
Wir können Gott zwar nicht sehen, aber wir leben unser Leben im Angesicht Seiner Gnade. Er kennt uns. Er weiß, wer wir sind, und Er weiß, wie wir dran sind. Und so unbegreifbar und unsichtbar dieser Gott ist – aus Gnade hat Er für uns Hand und Fuß bekommen in Jesus Christus. In Ihm hat der grenzenlose Gott sich klein gemacht und begrenzt, damit wir sehen, wie Er zu uns steht: Dass Er mit uns geht und unser Leben mit seinen Begrenzungen, mit seinen Tiefen und Härten teilt. Der unsichtbare Gott ist trotzdem da und trotzdem bei uns. Er sieht uns, und wir dürfen in Seinen Spuren lesen und unser Leben als Weg verstehen, den Gott mit uns geht. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Predigt
für den 1. So. n. Epiphanias (09.01.22)
zu Jes 42,1-9
Liebe Gemeindeglieder! Der heutige Gottesdienst kommt aus der Kirche St. Peter
in Bacharach. Der Predigt liegt folgender Text aus Jesaja 42,1-9 zugrunde:
Siehe, das ist mein Knecht, den ich halte, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung. So spricht Gott, der HERR, der die Himmel schafft und ausbreitet, der die Erde macht und ihr Gewächs, der dem Volk auf ihr den Atem gibt und Lebensodem denen, die auf ihr gehen: Ich, der HERR, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand. Ich habe dich geschaffen und bestimmt zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden, dass du die Augen der Blinden öffnen sollst und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen und, die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker. Ich, der HERR, das ist mein Name, ich will meine Ehre keinem andern geben noch meinen Ruhm den Götzen. Siehe, was ich früher verkündigt habe, ist gekommen. So verkündige ich auch Neues; ehe denn es sprosst, lasse ich's euch hören.
Liebe Gemeinde! Manchmal hat man den Eindruck: Wer am lautesten schreit, bekommt die größte Aufmerksamkeit. Wer am meisten Furore macht, macht auch am meisten von sich reden. Und umgekehrt: Je reflektierter jemand ist, je besonnener und differenzierter, desto geringer die Chance gehört zu werden. Das gilt nicht nur für die Berichterstattung in der Corona-Pandemie, das gilt nicht nur auf der Bühne der großen Politik, dasselbe Phänomen findet sich auch in Klassenräumen und Kantinen, auf Schulhöfen und auf Social Media. Da leidet so mancher „ruhiger Vertreter“ still vor sich hin und fragt sich: „Warum fahren eigentlich immer alle auf die größten Blender und Schaumschläger ab? Merkt denn keiner, dass das nur aufgeblasene Hohlfrüchte sind? Warum sieht mich denn keiner? Warum erkennt niemand, was ich für Qualitäten habe?“ Und wer gläubig ist, fragt sich vielleicht, wo Gott da eigentlich steht.
Der heutige Predigttext – die erste Lesung vorhin – gibt dazu eine klare Positionsbestimmung. Da ist von einem die Rede, der nicht die Kriterien eines Alphatierchens erfüllt, das das Klassengeschehen oder die Nachrichten beherrscht. „Er wird nicht schreien und rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen“, heißt es von diesem Menschen. Keiner, der Furore macht. Ein wahrer Leisetreter vor dem Herrn. Einer, der einen Fable hat für die, die sonst keiner wahrnimmt, die Mauerblümchen und die Stillen im Lande. Einer, der selbst die Erfahrung kennt, verkannt zu werden, der aber absolut loyal ist. Der ruhig und still, aber entschlossen für das Recht eintritt. „Siehe, das ist mein Knecht, den ich halte, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat“, sagt Gott über diesen Menschen. Gott selbst hat diesen Fable für die Schwachen. Bei Ihm kommen auch die zu ihrem Recht, die sonst permanent übersehen und übergangen werden, die keine Stimme haben und keine Lobby. Deshalb findet dieser Mensch, den Gott hier als Seinen Knecht anspricht, Gottes Wohlgefallen, weil Er sich eben diese Solidarität Gottes mit den Schwachen zum Lebenselexier macht.
Nun bekommt man in der Regel keinen großen Applaus, wenn man sich für Schwache stark macht. Wer sich für das Recht kommender Generationen einsetzt mit dem Hinweis darauf, dass wir unseren Kindern und Enkeln die Erde nicht als verstrahltes und vermülltes Treibhaus zurücklassen dürfen, bekommt den Hass derer zu spüren, die mit unserer aktuellen Art zu leben und zu wirtschaften gut fahren. Dagegen anzustinken kostet ähnlich viel Kraft und Mut wie auf dem Schulhof Partei zu ergreifen für einen Außenseiter, auf dem alle rumhacken. Da ist es schwer, Kurs zu halten und sich nicht beirren zu lassen. Aber der Knecht Gottes aus dem Predigttext, der auf diesem Kurs unterwegs ist, hat Gottes Rückendeckung. Auch, wenn es nicht gut um ihn aussieht - Er „wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte.“
Historisch lässt sich leider nicht mehr klären, wer dieser „Knecht Gottes“ war, über den es im Buch des Propheten Jesaja vier liedähnliche Texte gibt; einer davon unser Predigttext. Aber die frühe christliche Kirche hat diese Texte von Anfang an auf Jesus bezogen und in Ihm diesen „Knecht Gottes“ gesehen. Im Evangelium von der Taufe Jesu gibt es eine eindeutige Anspielung auf den Jesajatext, nämlich wo Gott sagt: „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“
So ganz geht die Gleichsetzung Jesu mit diesem Gottesknecht nicht auf, das sei ehrlicher Weise dazugesagt. Fängt schon bei der Begrifflichkeit an: Bei Jesaja nennt Gott diesen Menschen „Knecht“. Bei Seiner Taufe spricht Gott Jesus als „Sohn“ an. Bei Jesaja sagt Gott, er habe diesen „Knecht“ geschaffen. Die Weihnachtsgeschichten von Lukas und Matthäus berichten hingegen, dass Jesus vom Geist Gottes gezeugt wurde, nicht geschaffen, womit die Wesenseinheit und die enge Verbindung zwischen Gott und Jesus und deren Gleichrangigkeit herausgestellt wird. Trotz alledem passt die Beschreibung jenes Unbekannten aus Jesaja 42 verblüffend genau auf Jesus, der die Hinwendung Gottes zu den Stillen und Schwachen gelebt hat. Jesus war nicht um Seinen eigenen Ruhm besorgt, sondern ist für Gottes Recht auf dieser Erde eingetreten, das eben auch dem Lebenschancen einräumt, über dem die Welt den Stab bricht. „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Bei Jesus gibt es keine verlorenen Fälle, liebe Gemeinde. Bei Jesus gibt es keine verlorenen Fälle, sondern eine glasklare Option für alle geknickten und gebrochenen Persönlichkeiten. Und genau in diesem Deal steckt Gott. Das ist das unfassbare an Weihnachten, dass der, der Himmel und Erde gemacht hat, und ohne den kein Mensch auch nur einen einzigen Atemzug tun könnte, dass der sich so klein macht und sich eben für diesen Weg entscheidet. Es ist nicht Gottes Wille, von oben nach unten durchzuregieren, mit harter Hand durchzugreifen und alle aus dem Weg zu räumen, die nicht nach Seiner Pfeife tanzen. Sein Favorit ist der sensible Typ, der Unauffällige, der Leise, der aber treu und loyal eintritt für das Recht, so wie Gott es sieht und versteht: Das Recht eines jeden Menschen sein zu dürfen. In Jesus begegnet uns Gott. Er will Seine Ehre keinem anderen geben, heißt es bei Jesaja. Alles andere als dieser Weg, den Jesus geht, wäre Götzendienst. Alle Verehrung von Schreihälsen und Wichtigtuern, alles Anbeten von selbsternannten Führern und Heilanden ist eine Abkehr von Gott.
Die Hinwendung zum Einzelnen, so wie Jesus sie gelebt hat, das Interesse gerade auch an den Randfiguren der Gesellschaft – das bringt Heil in diese Welt. In Jesus ist der bei Jesaja beschriebene Typ gekommen, der die Augen der Blinden öffnet, die Gefangenen aus dem Gefängnis führt und die Menschen im Dunkeln zum Leben im Licht befreit. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt Jesus in der Jahreslosung für 2022 aus Joh 6,37. Darum bezeichnet Gott Ihn als „Licht der Heiden“, weil Seine Sendung nicht einem exklusiven Adressatenkreis gilt, sondern allen – also inklusiv ist. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Die Botschaft Jesu gilt jedem Menschen: „Du darfst sein!“ Sie gilt auch den Krachschlägern und Wichtigtuern. Sie müssen nur lernen, dass Gott höher steht als sie und dass andere auch ein Recht auf ein würdiges Dasein haben. Es sind nicht nur Hirten nach Bethlehem gekommen, sondern auch Könige. Aber die drei hohen Herren aus dem Morgenland gehen vor dem Kind in der Krippe auf die Knie – in einer Reihe mit den Normalos, die vor ihnen da waren.
Gottes Aufmerksamkeit ist allen sicher. Das tröstet mich, wenn ich mich mal wieder des Eindrucks nicht erwehren kann, dass die Lauten die meiste Aufmerksamkeit kriegen und die Wichtigtuer andere an den Rand zu drängen versuchen. Jesus hat gezeigt, wie Gott dazu steht. Amen.